Praxistipp
Kreatives Schreiben im DaF-Unterricht: Den Lernenden eine Stimme geben

Kreatives Schreiben
Mit KI generiert

Wir sind alle kreativ

„Schreiben ist langweilig! Schreiben ist schwer! Ich bin doch gar nicht kreativ!“
So etwas Ähnliches haben viele Lehrkräfte schon gehört, die Methoden des kreativen Schreibens im Sprachunterricht ausprobiert haben. Zahlreiche Ängste sind mit dem Schreiben und dem Kreativsein verbunden. Doch die gute Nachricht ist: Sie sind alle völlig unbegründet. Kreatives Schreiben ist nicht schwierig, es macht Spaß und ist ein Boost für den Spracherwerb – auch schon auf niedrigem Sprachniveau.

Mehr Motivation im Sprachunterricht

Kreatives Schreiben bietet den Lernenden die Möglichkeit, eigene Gedanken und Ideen auszudrücken, mit der Sprache zu experimentieren und neue Welten zu erschaffen – handlungsorientierte Sprachverwendung im besten Sinne des Wortes also. Die Lernenden erleben sich als selbstwirksam und das Schreiben bekommt eine Bedeutung, die weit darüber hinausgeht, ein Mittel zum Spracherwerb zu sein. Genau das ist der Schlüssel zur Motivation. Und mehr Motivation bedeutet: mehr Interesse, mehr geistige Ressourcen, die das Gehirn zur Verfügung stellt und somit mehr Erfolg beim Sprachenlernen.

Schreibanlässe als Anregung für die Fantasie

Viele Lernende haben die sprichwörtliche Angst vor dem weißen Blatt: Sie fürchten, dass ihnen nichts einfällt, wenn sie einen kreativen Text schreiben sollen, umso mehr in der Fremdsprache Deutsch. Und genau dafür gibt es die wunderbare Welt der Schreibanlässe: Mit ihnen kann man der Fantasie ein bisschen auf die Sprünge helfen. So regen vorgegebene Textanfänge oder Textenden dazu an, sich die Geschichten vorzustellen, die dazugehören. Rollen- und Situationskarten bringen ganz unterschiedliche Figuren zusammen, und es macht Spaß, sie interagieren zu lassen. Bilder aktivieren die Fantasie und lassen Geschichten im Kopf entstehen. Musik berührt intuitiv und regt Gedanken, Vorstellungen oder auch längst vergessene Emotionen an. Der Fantasie der Lehrkräfte sind hier keine Grenzen gesetzt, und man kann sich, wenn einem selbst gerade nichts einfällt, auch mal von der KI helfen lassen.

Kreatives Schreiben und KI

Ein einfacher Prompt reicht, und ChatGPT & Co erstellen Schreibanlässe jeglicher Art. Vielleicht sind nicht alle gleich gut und interessant, aber die Menge macht es: Es findet sich immer der eine oder andere passende in der Liste, die die KI erstellt. Seien es Schreibaufgaben zu einem bestimmten Thema, zu Aspekten des Wortschatzes oder zum „Brainjogging“ – Übungen, die die Kreativität stärken. Oder aber Anlässe für fantasievolle Geschichten oder Schreibspiele aller Art. Daneben regen auch selbst gestaltete KI-Bilder und Hörimpulse zum Schreiben von kreativen Texten an. Ein maßvoller Einsatz von KI kann auch beim Korrigieren und Überarbeiten von kreativen Texten eine praktische Ergänzung sein.

Schreiben lernt man durch Schreiben

Immer mehr Lernende sehen Sprachkurse primär als Vorbereitung für standardisierte Prüfungen – und kreatives Schreiben zuweilen als Ablenkung von diesem Ziel. Doch Wortschatz, Grammatik, Landeskunde, komplexe Sprachverwendung, Textkohärenz und die Fähigkeit zur Reflexion lernt man nicht nur durch das Üben „prüfungsrelevanter“ Texte. Oft ist es wichtiger, DASS geschrieben wird, als WAS geschrieben wird. Denn Schreiben lernt man vor allem durch Schreiben. So schulen auch kreative Geschichten die Schreibfähigkeit und helfen für Prüfungen, selbst wenn dort andere Textsorten abgefragt werden. Geschrieben wird dabei in ganz unterschiedlichen Formaten, kurz oder lang, individuell oder kollaborativ, als kleine Übung zwischendurch, im Unterricht, als Hausaufgabe oder in Form von größeren, den Kurs begleitenden Projekten.

Raum für Kreativität schaffen

Schreiben wird oft als formale und regelorientierte Kompetenz erlebt, mit vielen möglichen Fehlerquellen und verbunden mit der Sorge, schlecht bewertet zu werden. Beim kreativen Schreiben ist die Aufgabe der Lehrkraft also, es aus diesem engen Korsett zu befreien und Raum zur Entfaltung zu geben. Wichtig ist dabei eine
angstfreie Atmosphäre, in der die Lernenden ihre Scheu vor Neuem abbauen. Mit wertschätzendem Feedback, vorsichtiger Korrektur, unterschiedlichen Sozialformen und genügend Zeit, um Gedanken und Geschichten entstehen zu lassen.

Texte überarbeiten

Auch professionelle Autoren überarbeiten ihre Texte mehrfach, bevor sie in den Druck gehen können. Es ist also wichtig, den Lernenden zu vermitteln, dass es nicht darum geht, gleich in der ersten Version einen perfekten Text zu schreiben, dass vielmehr Textfeedback und Korrektur integrale Bestandteile des Schreibens sind. Dabei ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Textüberarbeitung nichts ist, was man quasi automatisch mit dem Schreiben mitlernt, sondern eine Fertigkeit, die man sich erarbeiten und dann immer wieder üben muss.
Eine gute Möglichkeit dafür sind kollaborative Überarbeitungszirkel, in denen Lernende sich gegenseitig Feedback zu ihren Geschichten geben. So entwickeln sie einen neuen Blick auf Texte – auf die anderer und in weiterer Folge auch auf die eigenen. Das nützt dann auch beim Schreiben im Rahmen standardisierter Prüfungen.

Kein Luxus-Programm

Kreatives Schreiben ist kein Luxus im DaF-Unterricht, sondern ein lebendiger Zugang zur Sprache. Es gibt Lernenden die Möglichkeit, sich auszudrücken, eigene Gedanken zu formulieren und Freude am Schreiben zu entwickeln. Dabei wird nicht nur die Sprache besonders effizient gelernt, es entsteht auch eine emotionale Verbindung zur Zielsprache. Die Lernenden werden zu Autor:innen ihrer eigenen Geschichten, mit ihrer eigenen Stimme in einer lebendigen Sprache.
 

  • Kreatives Schreiben fördert Motivation und Selbstwirksamkeit: Lernende drücken für sie bedeutsame Inhalte aus und bauen eine persönliche Beziehung zur Zielsprache auf.
  • Schreibanlässe aktivieren die Fantasie: Durch kleine Hilfestellungen wird der Einstieg ins kreative Schreiben erleichtert.
  • Kreatives Schreiben und KI: Chatbots und Bildgeneratoren überraschen mit spannenden Schreibanlässen.
  • Schreiben lernt man durch Schreiben: Kreative Texte schulen schriftlichen Ausdruck, Kohärenz und Sprachgefühl.
  • Mehr Kreativität in angstfreier Atmosphäre: Wertschätzender Umgang mit den Texten und Ideen der Lernenden baut Schreibhemmungen ab.
  • Texte überarbeiten: Durch einen kritischen Blick auf eigene und fremde Texte profitiert man auch in anderen Lern-Situationen.


Urs Luger lebt als freier Schriftsteller in Wien. Nach langjähriger Unterrichtstätigkeit in Deutsch als Fremdsprache in unterschiedlichen Ländern leitet er heute weltweit Schreibprojekte und produktionsorientierte Kreativworkshops für Deutschlernende, sowie Fortbildungen für Lehrkräfte, mit einem Schwerpunkt auf kreativem Schreiben in seinen unterschiedlichen Facetten und Theater.

www.daf-kreativcoach.com

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