Landschaftsarchitektur
„Den Globus vor dem totalen Zusammenbruch retten“

Der Ciliwung River im Bereich des Viertels Kampung Bukit Duri | Jakarta | Indonesien
Der Ciliwung River im Bereich des Viertels Kampung Bukit Duri | Jakarta | Indonesien | Foto: © Jörg Rekittke

Die Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin Regine Keller sucht nach Lösungen, die den heutigen Ansprüchen in der Stadt, aber auch im ländlichen Raum entsprechen. Im Zentrum steht dabei die Lebensqualität des Menschen.

Die Ausstellung draußen im Architekturmuseum München thematisiert die Herausforderungen an die Landschaftsarchitektur angesichts einer globalen Verstädterungswelle, geprägt von Umweltbelastungen, sozialer Ungleichheit, räumlicher Ungerechtigkeit und politischer Instabilität. Neben Regine Keller zeigen hier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus insgesamt fünf Universitäten ihre Forschungsergebnisse.

Frau Keller, betrachten wir Landschaft als Erholungsraum für die Menschen, so steht in städtischen Zentren Natur versus Urbanität. Welche Möglichkeiten gibt es, in immer dichter werdenden Städten genügend Ausgleichs- und Erholungsflächen zu schaffen?
 
Nachdem die Mehrzahl der Menschen inzwischen in Städten und nicht mehr auf dem Land lebt, ist der Zugang in die freie Landschaft erschwert. Durch erhöhte Mobilitätsangebote hat man in den vergangenen Jahrzehnten versucht, den Zugang in die freie Landschaft zu schaffen. Natürlich erzeugt das andere Probleme, nämlich die Zerschneidung von Landschaften durch Verkehrsinfrastrukturen und eine hohe Kohlendioxid-Produktion. Deshalb entstand – nach dem Vorbild der klassischen Moderne – die Idee, in immer dichter werdenden Städten mehr Erholungsflächen zu schaffen. Durch immer stärkeres Nachverdichten, wächst der Druck auf die vorhandenen Freiflächen. Wir müssen diese qualifizieren, was bedeutet, sie mit Angeboten auszustatten, die den Aufenthalt im Freien attraktiver machen und das bedeutet auch, neue Flächen zu finden, wie zum Beispiel Dachgärten.
 

Changde/China: Wassergeprägte Stadtlandschaft entlang des Chuanzi-Flusses
Changde/China: Wassergeprägte Stadtlandschaft entlang des Chuanzi-Flusses | Foto: © Lothar Fuchs
Es gibt ja einerseits rein städtische Erholungsflächen, wie Parks und Gärten aber auch Doppelnutzungen, bei denen Funktionen, die infrastrukturell für eine Stadt notwendig sind, mit gestalteten Freiräumen verbunden werden. Wie hat sich das Aufgabenfeld der Landschaftsarchitekten hier verändert?
 
Das ist ein Trend, der in den 2000er-Jahren Einzug gehalten hat. Die Verdichtung unserer Städte fordert neue Lösungen und hier bringen solche Doppelnutzungen einen großen Vorteil. Die Idee ist aber viel älter: Schon der Central Park in New York City enthält einen riesengroßen Speichersee, um den der Park angelegt wurde. Also gab es diesen Vorschlag, grüne Infrastruktur mit Freizeitnutzung zu koppeln schon sehr früh, aber im Zuge der Entwicklungen von Megastädten nimmt das jetzt richtig Fahrt auf. Hinzu kommt, dass wir mit unseren Ingenieurkenntnissen auch besser im Stande sind, Orte zu qualifizieren, die bisher absolute No-Go-Areas waren, wie zum Beispiel Müllhalden, die natürlich für viele Jahrzehnte aus der Nutzung herausgenommen waren. Wir bekommen diese Orte heute toxikologisch und ingenieurstechnisch in den Griff und können dadurch neue Aufenthaltsräume schaffen.
 
Hier arbeiten Landschaftsarchitekten mit anderen Disziplinen zusammen?
 
Ja, unsere Arbeit ist wirklich multidisziplinär. Da müssen Bauingenieure und Toxikologen, Hydrologen und Geologen sehr eng zusammenarbeiten, um so ein landschaftliches Konstrukt gut ins Werk setzen zu können.
 
São Paulo/Brasilien: Der Tamanduateí ist seit 1957 komplett kanalisiert und verläuft teilweise durch Rohre
São Paulo/Brasilien: Der Tamanduateí ist seit 1957 komplett kanalisiert und verläuft teilweise durch Rohre | Foto: © Marcus Hanke, Institut für Landschaftsarchitektur, Leibniz Universität Hannover
Solarparks, Windparks, technische Schutzbauten, wie Deiche und Dämme und natürlich auch Verkehrsbauten, Straßen und Schienen gehören in die Disziplin der Ingenieure. Welchen Einfluss können Landschaftsarchitekten hier nehmen?
 
Wir beschäftigen uns vor allem mit der ästhetischen Auswirkung dieser neuen Energielandschaften, denn wir merken natürlich, dass diese Infrastrukturen zwar in der Energiewende hochwillkommen sind, dass sie aber ästhetisch schwierig umzusetzen sind. Die „Verspargelung der Landschaft“ durch Windparks führt immer zu Diskussionen. Wie schafft man es, dass diese Struktur nicht negativ wahrgenommen wird? Das ist die Kunst, bei der Landschaftsarchitekten mit Landschaftsbildanalysen und qualitativen Studien den Wert einer Landschaft ermitteln und danach fragen, wo solche Strukturen am besten zu platzieren sind. Dass wir sie brauchen, darüber ist die Gesellschaft sich ja mittlerweile einig – nur am liebsten bei den anderen und nicht bei einem selbst.
 


Die Ausstellung „draußen“ betrachtet Landschaftsarchitektur auf globalem Terrain. Hier stehen zerstörte Flächen, ausgebeutete und ausgetrocknete Landschaften im Focus. Sind das die Themen mit denen sich Landschaftsarchitekten heute auseinandersetzen müssen?
 
Die Ausstellung präsentiert Forschungsprojekte von fünf Universitäten, die Situationen in internationalen Megastädten zeigen, wie man es nicht machen sollte. Sie führen uns vor Augen, was passiert, wenn wir das System Landschaft missachten. Zum Beispiel der Ciliwung River in Jakarta, der die Müllentsorgung dieser Stadt ist oder die Hügel von Medellin in Kolumbien, die durch die Besiedelung ständig abrutschen und immer wieder Tausende von Menschen unter sich begraben. Diese informellen Siedlungen stellen ein großes Problem dar, da sie an Orten entstehen, an denen man eigentlich nicht siedeln sollte, weil eben der Hang rutscht oder weil die Ebene schon immer überflutet wird … Dorthin verschlägt es natürlich die Ärmsten der Armen. Ihre selbstgemachten Infrastrukturen zeigen uns, welche Fähigkeiten Menschen entwickeln, mit dieser Notsituation umzugehen. Sie zeigen aber auch was passiert, wenn man den Ressourcenkreislauf zwischen Stadt und Umfeld unterbricht. Den daraus folgenden ökologischen Kollaps, den wir in diesen Fallbeispielen darstellen, untersuchen wir sehr genau und versuchen Lösungsansätze zu entwickeln. Wir glauben, dass dies eine der vornehmsten Aufgaben unserer Zunft ist: unseren Globus vor dem totalen Zusammenbruch zu retten.
 

Regine Keller © Foto: Ulrike Myrzik Regine Keller Foto: Ulrike Myrzik
Regine Keller ist seit 2005 Inhaberin des Lehrstuhls für Landschaftsarchitektur und öffentlicher Raum an der Technischen Universität (TU) München und Mitinhaberin der Keller Damm Kollegen GmbH Landschaftsarchitekten Stadtplaner. Nach dem Studium der Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München arbeitete Keller an Theatern in Salzburg und München. Anschließend machte sie eine Lehre im Garten- und Landschaftsbau und studierte dann Landespflege an der TU München. Regine Keller ist Mitglied in der Bayerischen Architektenkammer, im Bund Deutscher Landschaftsarchitekten, im Werkbund, in der DASL, Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste sowie der Akademie der Künste Berlin und Teil der Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts.

Die Ausstellung draußen – Landschaftsarchitektur auf globalem Terrain im Architekturmuseum der TU München läuft noch bis zum 20. August 2017. Der gleichnamige Katalog herausgegeben von Andres Lepik in Zusammenarbeit mit Undine Giseke, Regine Keller, Jörg Rekittke, Antje Stokman, Christian Werthmann ist bei Hatje Cantz erschienen.

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