Jazz 2017
Auf zum Diskurs

Angelika Niescier, Albert-Mangelsdorff-Preisträgerin 2017
Angelika Niescier, Albert-Mangelsdorff-Preisträgerin 2017 | Foto (Ausschnitt): Arne Reimer

Je mehr der kreative Output der deutschen Jazzszene durch die Politik auf Bundesebene und in den Ländern Anerkennung findet, desto mehr bringen sich die Jazzmusiker auch in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs ein. Die Anerkennung durch die Öffentlichkeit sorgt für Selbstbewusstsein in der Szene: Deutsche Jazzmusiker nahmen 2017 nicht nur an vielen relevanten Debatten teil, sondern initiierten diese durchaus streitlustig auch selbst.

Bevor der mit 15.000 Euro dotierte Albert-Mangelsdorff-Preis/Deutsche Jazzpreis 2017 durch die Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) überhaupt verliehen werden konnte, gab es Reden. Ältere Herren ließen sich auf der Bühne im Haus der Berliner Festspiele in einer Handvoll von Grußworten und einer Laudatio darüber aus, was die Preisträgerin Angelika Niescier alles dafür getan habe, um Jazz aus Deutschland zu „feminisieren und geschlechtergerechter“ aufzustellen. Als die Kölner Saxofonistin am Schluss selbst um eine Dankesrede gebeten wurde, gab es von ihr aber nur ein harsches: „jetzt nicht mehr“ als Antwort.
 
Niescier machte am 3. November das einzig Richtige, nach einer sich in die Länge ziehenden Preisverleihung im Rahmen des Jazzfests Berlin: Mit ihrem New Yorker Trio mit Chris Tordini (Bass) und Tyshawn Sorey (Drums) spielte die 1970 in Polen geborene, seit 1981 in Deutschland lebende Musikerin ihr Preisträgerkonzert, das keine Fragen offen ließ, warum sie eine würdige Gewinnerin ist. Die knapp formulierten, komplexen Themen der Saxofonistin öffneten weite Flächen, in denen das freie, expressive Spiel der Imaginationskräfte den Improvisationsfluss bestimmte.

Jazz-Frauen

Die Situation von Musikerinnen ist jedoch in der Jazzszene tatsächlich virulent. Es ist dem Engagement der Frauen im UDJ-Vorstand geschuldet, dass dieses auch gesellschaftlich wichtige Thema 2017 immer wieder auf die Diskursagenda des deutschen Jazz gehoben wurde – in Panels und auf Podiumsdiskussionen. Auch das Magazin Jazz thing hat fünf Musikerinnen unterschiedlichen Alters zum Roundtable-Gespräch gebeten. Dabei sollte der Status quo der Situation von Frauen im Jazz erörtert werden. Themen wie der anderswo kontrovers diskutierte „Gender Pay Gap“ spielen zwar keine Rolle. Eine vor allem strukturelle Benachteiligung von Frauen im Jazz gibt es dennoch: An keiner der 18 Musikhochschulen mit einer Jazzabteilung ist zum Beispiel eine Instrumental-Professorin angestellt, nur wenige Frauen arbeiten als Jazzredakteurinnen etwa in den ARD-Anstalten und selten findet man Veranstalterinnen von Jazzfestivals und -konzerten hierzulande. „Stichwort ,Buddys‘“, hob die Berliner Pianistin Julia Hülsmann hervor: „Das ist mein Buddy, mit dem lässt sich tagsüber arbeiten und abends an der Theke stehen. Dieses Denken müssen wir Frauen durchbrechen – am ehesten mit einer Quote, weil Männer ihre Schlüsselpositionen freiwillig nicht aufgegeben.“
 
Mit gutem Beispiel geht dabei das Jazzfest Berlin voran. Im April sorgte Thomas Oberender, der dieses Festival verantwortende Intendant der Berliner Festspiele, für eine Überraschung, als er die Nachfolge des 2017 scheidenden künstlerischen Leiters, des englischen Journalisten Richard Williams, präsentierte: Nadin Deventer wird ab der kommenden Ausgabe drei Jahre lang das Programm des Jazzfests Berlin gestalten. Damit ist die 40-jährige Kulturmanagerin nicht nur die erste Frau auf dieser Position. Vielmehr ist sie auch gut 20 Jahre jünger als ihre Vorgänger. Oberender verspricht sich eine vorsichtige Neuausrichtung des Hauptstadtfestivals: „Als studierte Jazzmusikerin hat sie ein untrügliches Gespür für Qualität und als Kuratorin den Drang, Jazz als progressive Kunstform erlebbar zu machen – experimentell, klug und politisch engagiert.“

Teilhaben

Wenn es jemanden gibt, der für das Jazzjahr 2017 hervorgehoben werden muss, dann ist es diesmal eine Initiative: die IG Jazz Berlin, 2011 von Hauptstadtmusikern gegründet und seitdem Ansprechpartnerin für den Berliner Senat in Fragen der Jazzförderung. Beharrlich und unnachgiebig in der Sache, dennoch kompromiss- und gesprächsbereit in der Diskussion: So zeigte sich die IG Jazz Berlin, nachdem im November 2016 Till Brönner mit der Idee an die Öffentlichkeit gegangen war, in der Hauptstadt ein House Of Jazz zu etablieren. Den Handstreich des prominenten Trompeters, dieses nationale kulturpolitische Leuchtturmprojekt in Sachen Jazz auf dem Gelände der Alten Münze in Berlin Mitte, für deren Renovierung der Bund 12,5 Millionen Euro bezahlen will, zu realisieren, konnte die IG Jazz abwehren – auch deshalb, weil deren Forderung, in den politischen Entscheidungsprozess um Brönners House Of Jazz eingebunden zu werden, von der Politik gehört wurde.
 
Dass Brönners Traum ausgeträumt zu sein scheint, hat indes nicht nur mit den Aktivitäten der IG Jazz zu tun. Vielmehr ist es Berlins Kultursenator Klaus Lederer, der sich seit seinem Amtsantritt Mitte Dezember 2016 hartnäckig weigert, dieses seiner Meinung nach Danaergeschenk des Bundes anzunehmen. „Selbstverständlich freuen wir uns über das Engagement des Bundes an der Kulturlandschaft Berlins“, so der Linken-Politiker. „Abgesehen davon, dass noch überhaupt nicht sicher ist, ob diese Gelder des Bundes fließen werden, lassen wir uns nicht vom Haushaltsausschuss des Bundestages vorschreiben, was mit der Immobilie geschehen soll. Das ist der Kritikpunkt, weil er unserem eigenen Ansatz und unserem Verständnis, nach eigenen Kriterien und partizipativ zu entscheiden, entgegensteht.“
 
Was in Berlin in den Sternen steht, ist in Nordrhein-Westfalen Wirklichkeit. Der Stadtgarten wird 2017 je zur Hälfte erst mit 400.000, ab 2018 mit 600.000 Euro durch das Land NRW und die Stadt Köln gefördert – mit dem Ziel, diese Spielstätte, die seit gut 30 Jahre von der Musiker-eigenen Initiative Kölner Jazz Haus verantwortet wird, in ein „Europäisches Zentrum für Jazz und aktuelle Musik“ zu verwandeln. Möglich machen diese Summe das NRW-Kulturfördergesetz und der Kölner Kulturentwicklungsplan, in denen die musikkulturelle und kulturpolitische Bedeutung des Stadtgartens explizit hervorgehoben werden. Kuratoren-Reihen, Musikerresidenzen, Klanglabore: Das sind unter anderem die Eckpunkte, nach denen das Stadtgarten-Programm nun gestaltet wird.

Neustart

Mit dem Stadtgarten hat Reiner Michalke, einer der beiden Leiter dieser Spielstätte, sein Ziel, ein innovatives Musikprogramm mit einer finanziell satt ausgestatteten Förderung durch die öffentliche Hand zu gestalten, erreicht. In Moers aber, wo Michalke zehn Jahre lang das seit 1972 stattfindende Festival für improvisierte Musik programmiert hatte, schmiss er im Sommer 2016 den Büttel hin: genervt vom Dauerbeschuss des moers festivals durch die Lokalpolitik. Die städtische Moers Kultur GmbH, die das Festival veranstaltet, konnte sich nach dessen Demission erst spät im Jahr auf eine Nachfolge Michalkes und die des Geschäftsführers einigen: Im Dezember 2016 trat erst der in Moers aufgewachsene Bassist Tim Isfort sein Amt als neuer künstlerischer Leiter an, gefolgt von Claus Arndt als Geschäftsführer der Kultur GmbH im Januar.
 
Das Hauptprogramm in der Moerser Festivalhalle Anfang Juni verriet durchaus eine eigene Handschrift des neuen Organisationsteams – mit Konzerten von The Bad Plus, Brian Blade, De Beeren Gieren oder Cocaine Piss. Doch in den Wochen zuvor tönte Isfort auch, er wolle dieses international renommierte Fest für aktuelle Musik endlich mit der Grafenstadt versöhnen und über Pfingsten eine Vielzahl Performances und Happenings an verschiedenen Plätzen und Orten im Stadtzentrum organisieren – bei freiem Eintritt. Das macht für ihn ebenso wie dem neuen Geschäftsführer als Moerser zwar Sinn. Dennoch müssen sich Isfort und Arndt die Frage nach dem Warum gefallen lassen. Das moers festival war in seiner gut 40-jährigen Geschichte noch nie im Stadtleben verankert, immer schon stand es in Opposition zur Bürgerschaft dieser „kleinen“ Großstadt am westlichen Rand des Ruhrgebiets, auch und gerade aus seiner Widerständigkeit zog es stets die kreativen Impulse für das Festivalprogramm.

Querkopf

Der SWR Jazzpreis ist die älteste Auszeichnung für improvisierte Musik in Deutschland. 2017 hat der 1984 im brandenburgischen Lübben geborene Schlagzeuger Christian Lillinger diesen Preis bekommen. „Christian Lillinger ist eine Ausnahmeerscheinung des deutschen Jazz“, so die Jury bei der Bekanntgabe im April: „Couragiert und ideenreich sucht er beständig nach Erweiterungen seines Ausdrucksspektrums – und steht ein für das Nonkonformistische der Kunstform Jazz. Lillingers furioses Schlagzeugspiel ist ebenso klangbewusst wie virtuos und darüber hinaus stilistisch ausgesprochen vielgestaltig.“
 
Neben vielen im Kollektiv geleiteten Ensembles ist sein mit je zwei Bässen, Bläsern und Harmonieinstrumenten besetzte Septett Grund tatsächlich die einzige Gruppe, bei der auch der Name Christian Lillinger davorsteht. 2018 feiert er den zehnten Geburtstag seiner Band: mit der Veröffentlichung des Albums COR Anfang Januar. Produziert hat dieser kreative Querkopf sein Album mit einem Techno-DJ, der auch die Grund-Musik gemischt hat: mit einer klanglich brutalen Plastizität, die so überhaupt nicht ins akustisch weiche Jazzklischee passen will. Zudem wird COR auf Lillingers neuem, eigenen Label Plaist Records erscheinen: als Vinyl-LP!

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