Zur Erinnerung an Herbert Achternbusch
Gott, Bier und die Welt

Herbert Achternbusch (rechts) mit Andreas Ströhl 1999 in Oberneustift, Niederösterreich
Herbert Achternbusch (rechts) mit Andreas Ströhl 1999 in Oberneustift, Niederösterreich | Foto: Jana Vymazalová

Im Januar 2022 starb Herbert Achternbusch. Er war ein deutscher Maler, Filmemacher und Autor. Andreas Ströhl, Leiter des Goethe-Instituts Nordamerika, kannte ihn gut. Er erinnert sich an gemeinsame Reisen durch Griechenland, unzählige gemeinsame Biere, an einen großen Künstler und einen guten Freund. Das folgende Gespräch hat Verena Hütter am 27. Januar 2022 im Goethe-Institut Washington D.C. mit Andreas Ströhl geführt.

Andreas, wo bist Du Herbert Achternbusch zum ersten Mal begegnet?

Wir haben uns zum ersten Mal 1997 im Goethe-Institut in Prag getroffen. Ich habe Herbert Achternbusch schon als Schüler und Student bewundert, wollte mich aber nicht aufdrängen. Ich hatte wahnsinnige Ehrfurcht und Respekt vor ihm, und was hätte ich auch zu sagen gehabt. Aber als ich in Prag war, als Referent für Kulturprogramme am Goethe-Institut, habe ich dort in den Neunzigerjahren ein gewisses Nachholbedürfnis befriedigt was Filmreihen betrifft und Retrospektiven von Wim Wenders, Werner Herzog, Volker Schlöndorff und anderen gezeigt. Und als ich mit den bekanntesten Namen durch war, habe ich eine Retrospektive von Achternbusch organisiert. Wir haben ein Theaterstück von ihm übersetzen lassen, und eine der besten Galerien der Stadt hat seine Bilder gezeigt. Und er kam nach Prag, und wir haben uns auf Anhieb gut verstanden.

Und später habt ihr beide in München gewohnt und euch dort regelmäßig getroffen?

Bevor wir gemeinsam in München waren, waren wir erstmal gemeinsam in Finnland. Dort haben wir uns so richtig intensiv angefreundet. Der Regisseur Aki Kaurismäki hatte jahrelang versucht, Herbert Achternbusch zu seinem Filmfest nach Sodankylä im Norden Finnlands einzuladen. Auf meine Vermittlung hin und dank eines Bierdeckels, auf den Aki gekritzelt hatte: „Herbert, keep your style and live“ fuhren wir dann wirklich. Ich habe das Treffen der beiden Genies mit einer Hi8-Kamera dokumentiert. Bald darauf wurde ich nach München versetzt, um den Filmbereich der Zentrale des Goethe-Instituts und später das Münchener Filmfest zu leiten. Und in dieser Zeit haben wir uns mindestens zwei Mal pro Woche im Weißen Bräuhaus getroffen.

Im Weißen Bräuhaus ist einer meiner Lieblings-Kunstkataloge entstanden: „Ein Bier geht um die Welt“, da hat Achternbusch Biere aquarelliert. Dort habt ihr euch getroffen, und worüber habt ihr gesprochen?

Buchstäblich über Gott und die Welt. Ich würde es vielleicht noch ergänzen: über Gott, Bier und die Welt – das waren die Hauptthemen. Gott, Bier, Griechenland und die Welt.

Warum Griechenland?

Herbert war philosophisch sehr interessiert und hatte gründliche Kenntnisse in griechischer Philosophie, Mythologie und Geschichte. Im Grunde war für Herbert Achternbusch alles eine philosophische Frage – eine Frage der Art und Weise und des Ausmaßes des Leidens an der Welt. Das ist auch der Gegenstand des Films, den ich damals über ihn und Aki Kaurismäki in Finnland gedreht habe. Da sind zwei hoch sensible, kreative Alkoholiker aufeinander getroffen, das hat mich fasziniert. Und solche Themen haben uns weiterbeschäftigt – Leben und Sterben, Jugend und Alter, Gott und die Welt, Weißbier und Helles.

Um Bier geht es auch in einem seiner Filme: „Bierkampf“.

Um Bier geht es in vielen seiner Filme, aber „Bierkampf“ macht das überdeutlich. Da hat er ein neues Genre erfunden – die Dokumentation einer Intervention. Er geht aufs Oktoberfest und provoziert im Bierzelt Leute, die so betrunken sind, dass sie sich kaum noch im Griff haben. Das Ganze ist eine riesige Slapstick-Nummer, und es grenzt an ein Wunder, dass Achternbusch nicht verprügelt wurde; wie auch sein damaliger Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein sagte, der das Ganze mit einer tragbaren 16mm-Kamera aufgenommen hat.

Ist „Bierkampf“ Dein Lieblingsfilm?

Schwer zu sagen. Herberts Filme sind sehr unterschiedlich. Ich würde sagen, „Die Atlantikschwimmer“ ist mein Lieblingsfilm … aber „Servus Bayern“ eigentlich auch. „Der Komantsche“, „Bierkampf“, „Das Andechser Gefühl“ – halte ich alle für Meisterwerke.

In einem Interview mit Radio Bremen hast Du gesagt, dass Herbert Achternbusch ohne Vater aufwuchs, und das stünde stellvertretend für eine Generation und sei prägend für seine Kunst gewesen.

In Deutschland gab es zwei Höhepunkte des Filmschaffens: die UFA-Zeit vor dem Dritten Reich und dann die Siebzigerjahre mit dem Neuen Deutschen Film. Ich glaube, dass die Filmemacher*innen, die den Neuen Deutschen Film geprägt haben, das Motiv der Suche nach dem Vater verband. Das spiegelte, was sich gesamtgesellschaftlich in dieser Generation im Westen von Deutschland abspielte: die Suche nach den Kriegsvätern, und zwar nicht nur nach denen, die im Krieg gestorben waren, sondern auch nach denen, die den Krieg angezettelt hatten und Nazis waren.

Herbert Achternbusch ist in München geboren und im Bayerischen Wald aufgewachsen. Sein Vater war ein Zahnarzt, der sich erst um Herbert gekümmert hat, als Herbert schon erwachsen war. Und die Mutter war sehr unglücklich, sie hat Selbstmord begangen, und Herbert wuchs bei seiner Großmutter auf. Neben dem abwesenden Vater spielte also auch die Auseinandersetzung mit der Mutter eine große Rolle. Aber die Suche nach dem Vater und dem Vaterland verband ihn mit den anderen Filmemacher*innen seiner Generation – von Edgar Reitz über Alexander Kluge, das waren die älteren, bis zu den jüngeren: Werner Herzog, Wim Wenders, Volker Schlöndorff.

Sie verband die Suche nach den Vätern und auch die Suche danach, welche Art von Kunst man in Deutschland überhaupt noch machen konnte ...

... welche Art von Kunst man nach Auschwitz überhaupt noch machen konnte. In einem seiner Filme trinkt Herbert Achternbusch sechs Millionen Schnäpse: einen Schnaps für jeden ermordeten Juden. Das hat viele Leute verstört, dass da einer, der nicht mal Hochdeutsch kann, und der im Wald aufgewachsen ist, auf einem Bauernhof, zu solchen Mitteln greift. Herbert war auf den ersten Blick kein Intellektueller. Das täuscht natürlich. Aber er passte so gar nicht in diese 68er-Welt. Das hat die Leute irritiert.

Und ihn hat das aber nicht gestört?

Ich weiß es nicht. Er hat manchmal, glaube ich, schon gelitten. Aber gelitten hat er weniger daran, dass er nicht genug Ruhm bekommen hat, sondern jemand wie er leidet einfach an der Welt. Einmal wurde ihm eine Filmförderrate nicht ausbezahlt, weil einer seiner Filme, „Das Gespenst“, angeblich religiöse Gefühle in der Bevölkerung verletzte, obwohl sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche den Film wärmstens empfahlen.

Er spielt in dem Film Christus, steigt vom Kreuz und geht auf Wanderschaft – mit einer Nonne.

Genau. Mit seiner damaligen Lebensgefährtin Annamirl Bierbichler, der Schwester von Sepp Bierbichler. Er hat damals zehn Jahre gegen die Bundesregierung geklagt und sich am Ende durchgesetzt und die Förderrate bekommen. Da ging es um 75.000 Mark. Dieser Film ist von einer poetologischen Kraft, die ihresgleichen sucht. Bei Paul Wühr gibt es eine ähnliche Szene, in der der Autor versucht, ins Werk zu kommen. Der Autor ist die einsame Instanz. Er schafft sich Figuren, damit er nicht mehr so einsam ist. Und dann merkt diese Instanz aber, dass es für den Autor keine Kommunion mit den Figuren geben kann. Das ist Herberts Blick auf Jesus. In seinem Film sieht man, wie Jesus mit Maria-Magdalena baden gehen will. Sie ist bereits im Wasser und ruft immer wieder „Komm doch rein“. Aber das kann er nicht: er kann nicht im Wasser baden, er kann nur auf dem Wasser gehen. Diese Ebene des Films wurde überhaupt nicht gesehen. Insgesamt wurde das nur als Blasphemie gedeutet. Sicherlich hatte das auch einen lustigen, blasphemischen Aspekt. Aber dieses ungeheure Statement ist sowohl religionsphilosophisch relevant als auch poetologisch: der Autor kann eben nicht in sein Werk, Gott ist eben nicht unter den Menschen.

Wie Thomas Bernhard beschimpft Achternbusch gerne seine Heimat, und gleichzeitig liebt er sie.

Nicht nur beschimpft er seine eigene Heimat, sondern auch die von Thomas Bernhard, Österreich. Österreich hat er gehasst. Deswegen ist er auch hingezogen und hat sich ein Haus gekauft. Ich erinnere mich, wie er mir einmal erzählt hat, wie gerne er an Salzburg vorbeifährt.

Der Spruch könnte tatsächlich auch von Thomas Bernhard sein. Glaubst Du, er konnte nur im alpenländischen Teil, im Süden leben? Hat er sich im Norden überhaupt wohlgefühlt?

Man unterschätzt ihn als Weltbürger. Viele Gegenden der Welt haben ihn fasziniert. Er hat in Grönland gedreht. Er war öfter in Indien, und auch in den USA hat er zwei Filme gedreht.

In den Nachrufen konnte man einige Achternbusch-Zitate lesen. Hast Du ein Lieblingszitat?

Eines wird immer wieder zitiert: „Dieses Land hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man es ihm ansieht“. Aber ich mag die weniger bekannten. Zum Beispiel hat er auf die Frage, was lustig sei, geantwortet: „Was ist schon lustig? Eine Bratwurst ist lustig.“ Das sind Sätze, die mir gefallen. Oder auch: „Es ist ein leichtes, beim Gehen den Boden zu berühren.“ Finde ich schön. „Nichts ist besser als gar nichts.“ Ich finde, da hat er recht.

Eigentlich ein schönes Schlusswort, aber ich habe noch eine Frage: Er war Filmemacher, er war auch Autor. Aber ursprünglich hat er Malerei studiert, in Nürnberg und München. Was fasziniert Dich an seiner Kunst?

Ich glaube, dieses Unmittelbare, Archaische. Das sehr Bayerische, quasi Volkstümliche, die Hassliebe zur eigenen Heimat. Nirgendwo im deutschsprachigen Raum gibt es so gute Kabarettist*innen, Schriftsteller*innen und Schauspieler*innen wie in Bayern und in Österreich. Nirgendwo leiden sie so. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass in irgendeinem anderen deutschen Dialekt Blues gesungen wird als auf Bayerisch. Ich kann mir einen Blues auf Hessisch nicht vorstellen. Aber auf Bayerisch – das geht.

Was hast Du an ihm als Freund besonders geschätzt?

Ich hatte im Lauf meines Lebens mit vielen Künstler*innen zu tun. Und normalerweise erscheint mir deren Kunst immer kleiner, je näher mir die Menschen kommen. Das war bei Herbert nicht so. Es hieß immer, er sei ein schwieriger Mensch, ihn halte keiner aus. Und das stimmt. Er hat alle angegriffen, die ihm etwas Gutes tun wollten – inklusive den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder oder den ehemaligen Münchener Oberbürgermeister Christian Ude. Mich hat er jedoch nie fertiggemacht.

Warum nicht?

Vielleicht weil ich nie etwas von ihm wollte. Wir haben immer sehr gute Gespräche geführt, und er war extrem zuverlässig. Ich habe mich zehn Jahre lang zwei Mal die Woche mit ihm getroffen und bin auf viele Reisen mit ihm gegangen, wo wir ununterbrochen zusammen waren und uns oft auch ein Bett geteilt haben. Aber wir sind uns nie auf die Nerven gegangen. Und es war immer interessant. Herbert Achternbusch steckte so voller Ideen und Kreativität, dass immer etwas Neues entstanden ist.

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