Schauspielhaus Graz, Österreich Theaterfestival Juni 2017
Höhepunkte der P3M5 Präsentation des DramatikerInnenfestivals Graz 2017

Vom 6. – 11. Juni 2017 fand das zweite DramatikerInnenfestival statt, organisiert vom Schauspielhaus Graz. Das Thema des Festivals war Privatsphäre. Kurzfilme der P3M5 Stücke wurden als Videoinstallation präsentiert. Theatervorführungen und Gespräche waren weitere Höhepunkte des reichhaltigen Angebots dieses spannenden sechstägigen Festivals.
 

Wilfried Eckstein, ehemaliger Institutsleiter des Goethe-Institut Washington, war dabei und teilt mit uns seine Eindrücke.

„Ich bereue nichts“
© Felix Grünschloß
Ich bereue nichts ist ein Monodrama über Edward Snowden. Das ist kein Personenkult über den wohl einflussreichsten Hinweisgeber unserer Zeit. Es ist ein gewitztes Nachdenken über den Gebrauch des Mobiltelefons. Denn genau gesehen handelt es sich dabei um eine Wanze, mit der man telefonieren kann.
 
Das Stück beginnt mit der Frage nach der Bildikone für die Internetüberwachung. Den roten Faden durch das Stück gibt die Frage, wie wir uns gegen diese Überwachung schützen können. Natürlich ist es auch eine Geschichte über den Hinweisgeber, den Rebell und Helden, den Don Quixote unserer Zeit. Aber letztlich fragen wir uns alle, ob und wie wir eine persönliche Firewall gegen unliebsames Abhören bauen können. Dies ist ein Drama der Kostüme. Wir können ausprobieren, wie sich Kommunikation mit Freunden anfühlt, wenn sie verschlüsselt ist. Wie fühlt sich ein Kuss an, wenn man in einer Rüstung steckt?
 
Der Schauspieler und Ko-Autor Thomas Halle erhielt 2015 einen Theaterpreis für seine Leistungen: “Sein Spiel wirft Fragen auf, die über den Theaterabend hinausweisen: wie kann das Theater von solchen Themen erzählen? Ist der analoge Theaterraum, der analoge Schauspieler nicht ein einziger Anachronismus? Oder ist es gerade die Stärke des Theaters, so naive Bilder wie das Anlegen der Rüstung zu erfinden, um uns die Funktionsweise von peer-to-peer- Verschlüsselung und das Internet-Dilemma, zugleich geschützt und nackt sein zu wollen, sinnlich verstehbar zu machen?“

Transatlantischer Dialog © © privat Transatlantischer Dialog © privat
Das Stück erarbeitet einen Widerspruch zwischen dem religiösen und physischen Recht auf Selbstbestimmung und dem Anspruch auf das Gesetz, eine bestimmte Repräsentation des sozialen Bildes der Frau durchzusetzen.
 
Die meisten der europäischen AutorInnen des P3M5 Theaterprojekts nahmen an dem Festival teil und hatten die Chance, sich untereinander und mit dem Publikum über die Relevanz des Themas auszutauschen.
 
Paco Bezerra betonte, dass sein Stück hotmigrants natürlich nicht seine persönliche Meinung wiedergibt, “sondern da gibt es eine Frage, und das Publikum soll entscheiden.“ Irgendwann stieß er auf eine Website mit dem verlockenden Titel hotmigrants. Dort waren Bilder von Männern von einem Flüchtlingslager. Sie posierten wie bei einem Schönheitswettbewerb. Die Leitfrage für das Stück war: ist es moralisch verwerflich, die Lage der Migranten in einem Lager dazu auszubeuten, indem man sie zum Objekt der Schaulust macht? Oder sichern sie sich ihre Würde, weil sie ihre körperliche Schönheit zeigen und dafür likes als Zustimmungen bekommen? Dienen die sozialen Medien als Sammelbecken für die Eitelkeit von Superegos? Oder bieten sie den Flüchtlingen eine Chance sich mit anderen zu verbinden und bei der Suche nach einem neuen Leben aus dem neuen Territorium anzukommen?
 
Alex Lorette schließt sich an, dass auch sein Stück White Pig nicht seine persönliche Meinung wiedergibt sondern den Wandel des kulturellen Schemas Wirklichkeit wahrnimmt und in die öffentliche Aufmerksamkeit und auf die Bühne bringt. Die Verfilmung seines Stücks sollte man mit einem VR Brille erleben. Das ist dem Stück angemessen und gleichsam der Transformation dessen, was wir als Wirklichkeit bezeichnen und wie sie von der Generation der unter 30-Jährigen wahrgenommen wird. Für sie gilt, dass (mit wenigen Ausnahmen) alles im Leben öffentlich ist. Was anfangs virtuell erscheint, wird letztlich allumfängliche als physische Erfahrung lebendig. Digitales Leben ist keine Parallelwelt mehr. Sie prägt das Leben. Im Theaterraum kann das bedeuten, dass die Handlung nicht mehr auf der Bühne mit einem angemessenen Abstand von Publikum stattfindet. Der Zuschauer rückt in die Mitte der Handlung. Das Theater vollzieht den Wandel nach, der sich im wirklichen Leben vollzieht. Das Digitale ist kein separates Leben mehr, sondern hat sich der physischen Welt zugewandt.

Transatlantischer Dialog © © privat Transatlantischer Dialog © privat

Es gab ein skype-Gespräch mit Philipp Kan Gotanda über sein Stück CAMPTULELAKE und auch ein Gespräch mit Mihaela Michailov über The Truth and Nothing But the Truth. Beide Stücke reflektieren Traumata aus der jüngeren Geschichte und Verhaltensmuster, die wir überwinden wollen. Bezogen auf die Geschichte und die Erfahrungen individuellen und kollektiven Leids legen beide ausdrücklich Wert darauf, das PRIVATSPHAERE politische Dimensionen habe. Die Frage, wie mit Geschichte umzugehen ist, bleibt eine Herausforderung quer durch alle Generationen. Das berührt schließlich die persönliche Identität aber auch den Umgang mit Freunden und Kollegen.
 
Csaba Szekely, ungarischer Schriftsteller, der derzeit in Siebenbürgen lebt, wurde zu seinem Stück Quality Reliability befragt. Er hat viel über die korrumpierende Wirkung autokratischer Macht nachgedacht. „Je mehr eine Regierung Grenzen der Machtausübung einreißt, desto mehr dringt sie auch in das Privatleben ein. In beruflichen Kontexten beobachten wir, dass der Posten, den jemand bekleidet das Verhältnis zu seinen Kollegen prägt. Macht beeinflusst auf die Grenzen zwischen Gut und Böse. Im Grunde genommen wissen wir sehr gut, was gut und was schlechtes Verhalten ist. Zum Beispiel ist klar, dass niemand wegen kritischer Äußerungen oder einer bestimmten Aussage in den sozialen Medien seinen Job verlieren sollte. Aber in der Tat wird die Freiheit der Meinungsäußerung eingeschränkt. Leute, die an der Macht sind, üben Einfluss auf das Gemeinleben aus.

Transatlantischer Dialog © © privat Transatlantischer Dialog © privat

Rachida Lamrabet, Belgierin Marokkanischer Abstammung macht zurzeit Schlimmes durch. Das Video zu ihrem Stück Project Deburkanisation brachte bestimmte Kreise gegen sie auf, was mit ihrer Entlassung als Rechtsanwältin in einer NPO endete. Nach 16 Jahren Kampf für Menschenrechte ist sie selbst ein Opfer der Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung geworden. Ihr Stück ist wie jede gute Kunst reich an Denkanstößen. Es geht darin um den Schutz der Privatsphäre in einem politischen Kontext, wo das Zivilrecht Verschleierung im öffentlichen Raum verbietet. The play can been seen as highlighting a conflict for women between the right for religious and physical self-determination and civic law defining a certain form of representation of the outward image of woman in public.  Man kann das Stück auch auch dahingehend deuten, dass hier ein Konflikt für Frauen zwischen Recht auf Religionsfreiheit sowie physischer Selbstbestimmung einerseits und dem Zivilrecht, das eine bestimmte Form der Erscheinungsbildes einer Frau in der Öffentlichkeit verlangt.
Es soll nicht verhehlt werden, dass die Anwesenden, Autoren und Publikum sich für die Freiheit der Kunst stark machten und Solidarität mit Rachida zum Ausdruck brachten.
 

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