Weniger Fleisch im Catering
Esst mehr Gemüse!

Schafe auf einem Feld
20 Prozent weniger Fleisch: Das wollen vielen Caterer aus dem öffentlichen Sektor in Großbritannien etablieren – für Tier, Mensch und Umwelt. | Foto (Detail): Picture alliance © Photoshot

Im Januar 2020 veröffentlichte der britische Expertenrat für Klimafragen (Committee on Climate Change, CCC) einen Bericht, in dem er den Menschen in Großbritannien empfahl, ihren Fleischkonsum um 20 Prozent zu reduzieren. Dieser Prozess müsse zudem aktiv durch Dienstleister im öffentlichen Sektor unterstützt werden, die immerhin für das leibliche Wohl eines Viertels der britischen Bevölkerung sorgen. Am 1. April 2020 verkündete das Branchenblatt der öffentlichen Kantinen Public Sector Catering gemeinsam mit weiteren Partnern den Start einer Kampagne mit dem Ziel, den Fleischkonsum um 20 Prozent zu senken und qualitativ hochwertigeres Fleisch zu verarbeiten (20% Less But Better Meat Campaign), verbunden mit einem Appell an die öffentliche Gemeinschaftsgastronomie, dieses Engagement zu unterstützen.
 

Von Lucy Rowan

Ob aus Gründen der Gesundheit, des Tierwohls oder des Umweltschutzes: Die Menschen in Großbritannien haben ihren Fleischkonsum in jüngster Zeit gegenüber ihren bisherigen Gewohnheiten deutlich reduziert. Laut Zahlen von YouGov aus dem Jahre 2021 schränken 27 Prozent der Erwachsenen in Großbritannien ihren Fleischverzehr bewusst ein. Nach Berichten des Independent übernimmt London von allen britischen Städten die Führung, was das Angebot vegetarischer Speisen nicht nur in der Krankenhausverpflegung, sondern auch in öffentlichen Kantinen anbelangt. Nie zuvor war die Zeit günstiger für eine Kampagne zur Reduzierung des Fleischkonsums als 2021.

Kühe in einem Stall
Mehr und mehr Menschen in Großbritannien entscheiden sich für eine fleischfreie oder -reduzierte Ernährung. Massentierhaltung ist ein Grund dafür. | Foto (Detail): Picture alliance © NurPhoto | Artur Widak
Auch wenn die Fürsprecher und Unterstützer der 20 Prozent Less But Better Meat Campaign vor allem aus der Umweltbewegung stammen, gehe es in der Kampagne nicht allein um den Schutz der Umwelt, wie der Redakteur des Fachmagazins Public Sector Catering (PSC), David Foad, einräumt. Stattdessen sei die Einleitung dieser Kampagne auf zwei entscheidende Antriebsfaktoren zurückzuführen. „Erstens will man die öffentliche Gesundheit verbessern, vor allem um etwas gegen die Zunahme der Fettleibigkeit zu unternehmen“, so Foad. Zweitens „zielen die Maßnahmen darauf ab, die CO2-Bilanz der Branche zu senken“. Es sei reiner Zufall, dass das britische CCC unlängst einen Bericht veröffentlicht habe, in dem es für eine Reduzierung um genau diese 20 Prozent plädiere. Auf konkrete Nachfrage, wie und warum dieser Wert zustande gekommen sei, antwortete Foad: „An vielen Schulen gibt es bereits einen fleischfreien Tag in der Woche. Das Ziel wurde daher als realistisch und ausreichend hoch erachtet, um eine spürbare Wirkung zu erzielen“.
Jemand malt mit Kreide „Plants will save the planet“ auf den Boden
Auch staatliche Caterer werden in die Verantwortung gezogen: Im April demonstrierten Menschen vor dem Bildungsministerium in London für eine gesündere und pflanzliche Ernährung an den Schulen. | Picture alliance © Empics | Ian West

Mehr Auswahl für mehr Wirkung

Eines der größten öffentlichen Cateringunternehmen ist Sodexo mit etwa 30 000 Mitarbeiter*innen im Vereinigten Königreich und Irland. Der Leiter der Lebensmittelsparte des Unternehmens, Daniel Corlett, verweist auf den erheblichen Anteil der Landwirtschaft am CO2-Ausstoß und darauf, dass „eine Ausweitung des Angebots an pflanzlichen Speisen eine Senkung der CO2-Bilanz von Sodexo positiv unterstützen kann“. Allerdings habe das Unternehmen beschlossen, noch einen Schritt weiter zu gehen und sich nicht nur dazu zu verpflichten, den Fleischverbrauch um 20 Prozent zu senken, sondern auch, ein Drittel seines Angebots auf pflanzliche Kost umzustellen.

Sowohl Foad als auch Corlett wiesen ausdrücklich darauf hin, dass Schulkantinen von allen Beteiligten der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung die größte Teilnahmebereitschaft zeigen. „Im Schulcatering lassen sich Neuerungen gut umsetzen, und Kinder können leichter von einem größeren Angebot an pflanzlicher Kost überzeugt werden“, so Foad. Doch nicht nur die Schulen haben sich dieser Kampagne bereitwillig angeschlossen. Auch an Universitäten stößt sie auf besonders breite Unterstützung, wenn auch aus anderen Gründen. „Universitäten verfügen zwar über weniger Spielraum für Veränderungen, allerdings ist ihr Kund*innenstamm in der Regel sehr aufgeschlossen, wenn es darum geht, den Fleischkonsum zu reduzieren und Alternativangebote zu nutzen“, erläutert Foad.
Zwei Frauen sitzen in der Kantine der Kingston University.
Die Kingston University in London nimmt an der 20 Prozent weniger Fleisch-Initiative teil. | Picture alliance © Ed Reeve | View
Die 24 Jahre alte Deutsch-Britin Melina Klein studiert UX Design an der Kingston University in London. Klein ist begeistert von der Kampagne, weil sie dadurch nicht vollständig auf Fleisch verzichten muss. „Die Kampagne hat zweifellos Einfluss auf den persönlichen Lebensstil, weil die Kantinen ihr Angebot erweitern. Ich entscheide mich mittlerweile viel häufiger für die vegetarische oder vegane Option. Das ist doch schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung!“, berichtet die Studentin.

Allerdings warnt Klein davor, dass der Versuch, das Fleischangebot um mehr als 20 Prozent einzuschränken, von einigen Studierenden als Provokation empfunden werden und möglicherweise das genaue Gegenteil bewirken könnte. „Meinen Bachelor habe ich am Goldsmiths gemacht. Dort hat die Kantine Fleisch vollkommen aus ihrem Angebot gestrichen. Das finde ich ein bisschen übertrieben“, erklärt Klein. An den Berliner Hochschulen wird der Übergang zu einem völlig fleischlosen Kantinenangebot schon seit einiger Zeit aktiv vorangetrieben. Laut einem Bericht des Guardian gibt es an der Freien Universität seit 2010 die Kantine Veggie No. 1, die ausschließlich vegetarische Mahlzeiten serviert. Und 2019 wurde die Kantine Veggie No. 2 mit einem rein veganen Speiseangebot eröffnet.

Notwendiger Dialog mit der Landwirtschaft

Während derartige Kampagnen im Bildungssektor quer über den Kontinent mit offenen Armen empfangen wurden, stießen sie nicht in allen öffentlichen Sektoren auf eine derart breite Zustimmung. Der britische Cateringdienst für den Strafvollzug war beispielsweise nicht bereit, eine formale Verpflichtung ohne behördliche Zustimmung einzugehen. „Trotz allem hat er die Kampagne grundsätzlich unterstützt. Und tatsächlich sind die Speisepläne in Gefängniskantinen im Vergleich zu anderen Verpflegungseinrichtungen des öffentlichen Sektors besonders fortschrittlich“, berichtet David Foad. Auch der Cateringdienst der Streitkräfte wollte seine Teilnahme nicht ohne staatliche Unterstützung bestätigen. Mit Blick auf die besondere Form der Truppenverpflegung gab Foad zu bedenken, dass es vor allem mit einem reduzierten Fleischanteil nicht leicht sei, die Versorgung aktiver Soldat*innen mit nahrhaften Speisen sicherzustellen.

Ein Partner der Kampagne ist die Humane Society International (HSI). Sie setzt sich für die Förderung der Beziehung zwischen Mensch und Tier und gegen Tierquälerei in verschiedenen Bereichen wie der Landwirtschaft ein. Charlie Huson von der britischen Zweigstelle der Organisation leitet das Programm „Forward Food“, das darauf abzielt, in Zusammenarbeit mit großen privaten und öffentlichen Cateringunternehmen den Anteil tierischer Erzeugnisse in der Gemeinschaftsverpflegung zu reduzieren und stattdessen das Angebot an pflanzlicher Kost zu erweitern.
Schafe auf einem Feld während des Sonnenuntergangs
Viele Landwirt*innen stehen der Kampagne kritisch gegenüber, sie haben Angst ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Landwirt John Black hat dafür Verständnis und fordert, sie mit ins Boot zu holen und umzuschulen. | Picture alliance © Photoshot
Huson ist zwar stolz auf die Kampagne, muss aber auch einräumen, dass ihr durch den Widerstand aus einigen Teilen der Bauernschaft ein „etwas schwieriger Start“ beschert worden sei. Nichtsdestotrotz ist sie überzeugt, dass „die anfängliche Abneigung einiger weniger fortschrittlicher Vertreter*innen aus den Reihen der Bauernschaft dazu beigetragen hat, den notwendigen Dialog mit den Landwirt*innen einzuleiten, die unbedingt mit ins Boot geholt werden müssen“.

Umschulung der Landwirt*innen nötig

John Black hat zeit seines Lebens als Milchbauer gearbeitet. Im Jahr 2018 hat er zudem die Leitung des Bauernverbands übernommen. Auch aus seiner Sicht hat sich mit der Kampagne eine gute Gelegenheit geboten, um das britische Landwirtschaftsmodell zu reformieren und nachhaltiger zu gestalten. Doch alle seine Vorbehalte konnten nicht ausgeräumt werden. Zum einen sei zu wenig Geld in die Kampagne geflossen, zum anderen fehle es eindeutig an Marketingkompetenzen und einer Interessenvertretung der lokalen Landwirtschaft.

Eine Tomatenpflanze
Landwirt John Black fordert, die Landwirt*innen mit ins Boot zu holen und vor allem, sie umzuschulen, beispielsweise zu Gemüsebauern. | Picture alliance © Mint Images
Black betont, dass die 20% Less Meat Campaign keine geeigneten Maßnahmen gegen tiefer liegende Probleme der britischen Landwirtschaft vorsehe. Stattdessen biete sie nur eine nicht zweckgerichtete Übergangslösung. Seiner Meinung nach müsste die Agrarstruktur umfassend reformiert und auf regionaler sowie kommunaler Ebene anstatt wie derzeit auf nationaler Ebene organisiert werden. Die Fördermittel müssten direkt an die Landwirt*innen fließen. Den Anfang könnte seiner Ansicht nach eine einfache Erhebung in den einzelnen Verwaltungsbezirken machen, um das Qualifikationsniveau der Landwirt*innen sowie die Größe und Ausstattung ihrer Betriebe zu ermitteln. „Deshalb ist die Kampagne nicht zielführend. Es wäre besser, 100-200 Millionen Pfund in die Sanierung der Betriebe und die Schulung der Landwirt*innen zu investieren, damit sie ihre Betriebe so umbauen, dass sie in ihrer jeweiligen Region die Nachfrage der Verbraucher*innen bedienen können“, so Black. Als Beispiel nannte er die Umschulung von Schafzüchtern zu Gemüsebauern in Regionen, in denen zu viele Fleischproduzent*innen die Nachfrage übererfüllen. „Die Landwirt*innen müssen ihren Betrieb nicht aufgeben, sie erhalten eine technische Neuausstattung und werden geschult, um erfolgreich Avocados anzubauen, die wir dann nicht ganz aus Peru einfliegen lassen müssen“, so Black.

Für die Zukunft wünscht sich Charlie Huson von der HSI, dass die Kampagne immer erfolgreicher wird und neben dem Fleischkonsum auch andere Bereiche berücksichtigt. „Die EAT-Lancet-Kommission empfiehlt, den Verzehr von rotem Fleisch, Milchprodukten und Zucker bis 2015 zu halbieren. Und in der nationalen Ernährungsstrategie wird eine vorläufige Reduzierung um 30 % angeregt“, so Huson. Führende öffentliche Cateringunternehmen wie Sodexo sind auf diesen Übergang offenbar schon vorbereitet. „Unser Küchenpersonal verfügt über zahlreiche Möglichkeiten, um Milchprodukte durch pflanzliche Alternativen für Butter, Joghurt, Sahne, Milch und Eier zu ersetzen“, so der Leiter der Lebensmittelsparte Daniel Corlett. Ungeachtet der geplanten Ausdehnung der Kampagne auf den Konsum von Milchprodukten erscheint es allerdings besonders naheliegend und wahrscheinlich, dass im Rahmen der Kampagne zunächst Maßnahmen ergriffen werden, um Tierschutzstandards einzuhalten und den Anteil britischer Erzeugnisse deutlich zu erhöhen.
 

Wie werden Lebensmittel wieder zu „Mitteln fürs Leben“? 

Essen gehört zu den grundlegendsten Dingen des Lebens. Doch unser globales Ernährungssystem ist zu einem gewaltigen Problem geworden. Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sind mittlerweile so stark industrialisiert, dass gleich mehrere Belastungsgrenzen unseres Planeten überschritten werden – zum Beispiel durch Abholzung, Wasserverbrauch, Monokulturen oder Stickstoffbelastung. Allein die Landwirtschaft verursacht rund ein Viertel der globalen Treibhausgasemissionen. Haupttreiber ist der gestiegene Fleischkonsum. Die meisten Tiere leben nur, um geschlachtet zu werden. Und anders als im Energiesektor, wo durch die erneuerbaren Emergien eine konkurrenzfähige Alternative vorhanden ist, ist der ökologische Landbau immer noch ein Nischenphänomen. Dennoch – es gibt zahlreiche Ideen und Projekte, um unser Ernährungssystem wieder naturverträglicher zu gestalten. In unseren Reportagen zum Thema Ernährung schauen sich unsere Autor*innen drei von diesen Lösungsansätzen genauer an. 

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