Lisa Mandel
„Den Frauen-Comic gibt es nicht“, aber dafür immer mehr Autorinnen

Lisa Mandel
Lisa Mandel | © Lisa Mandel

Sie gehört zu den 25 feministischen Künstlern (darunter auch ein Mann) der Ausstellung „Une BD si je veux, quand je veux“, die bis zum 14. April in Nantes stattfindet. Seit ihrer Kult-Parodie „Les hommes et la BD“ 2014 beschäftigt sich Lisa Mandel zusammen mit dem Kollektiv der Comic-Autorinnen gegen Sexismus weiter mit dem Platz der Frauen in der Comic-Welt. Ihr gemeinsames Ziel: dass Autorinnen nicht auf ihr Geschlecht reduziert, sondern gleichbehandelt werden. Eine Mammutaufgabe?

Von Claire Darfeuille

In der Welt des französischsprachigen Comics gab es schon vor der großen #metoo- und #balancetonporc-Flut eine erste Welle. Seit 2015 machen empörte Comic-Autorinnen ihrem Ärger im Blog des Kollektivs der Comic-Künstlerinnen gegen Sexismus Luft. Diese Autorinnenvereinigung wurde von Lisa Mandel angestoßen. Sie kontaktierte gut dreißig Frauen für eine Veranstaltung, die inzwischen Kult ist: „Les hommes et la BD“ (Die Männer und der Comic). Dabei wurden die Rollen getauscht und so die Fragen parodiert, die gewöhnlich Frauen gestellt werden, wie: „Haben Sie Kinder?“ oder „Macht es Ihnen etwas aus, zu den 90 Prozent Männern in der Comic-Welt zu gehören?“

Gegen sexistische Vorurteile rund um Comics von Frauen

„Das überraschte Publikum reagierte zum Teil entsetzt, zum Teil begeistert“, erinnert sich Lisa Mandel. „Also haben wir überlegt, wie wir weitermachen sollen, und so entstand die Bewegung.“ Eine Charta wurde verfasst und von den 250 Comic-Künstlerinnen im Kollektiv unterzeichnet, um gegen die sexistischen Vorurteile rund um Comics von Frauen und für mehr Feminismus in der Comic-Welt zu kämpfen, in der Frauen immer zahlreicher werden: 27 Prozent laut einer Studie zum professionellen Comic von 2016.

In dem Blog sammelten sich von Anfang an vor allem Berichte von gängigem Sexismus: 70 insgesamt, vom Macho-Witz des angeheiterten Kollegen nach einem Essen bis zu absolut inakzeptabler Gewalt, die die Sprechblasenwelt weniger sympathisch erscheinen lassen. „Für die Pionierinnen muss es sehr schwer gewesen sein“, bemerkt Lisa Mandel. Sie selbst wollte schon seit sie viereinhalb war Comics zeichnen, obwohl viele ihr davon abgeraten haben, einen Beruf zu wählen, in den man angeblich „nicht reinkommt“.
 

Beeinflusst von Florence Cestac und Claire Brétecher

Sie wurde 1977 geboren und begann schon lange, bevor sie lesen konnte, der Figur der kleinen Mafalda lächelnde Münder hinzuzufügen. „Ich war überzeugt, dass der Zeichner Quino das vergessen hatte“, erinnert sie sich schmunzelnd. Dann stürzte sie sich auf Gaston, Tim und Struppi und andere Klassiker, bevor in den 1980er-Jahren die Phase Métal Hurlant kam. Sie wurde von Reiser, Wolinski und Cabu beeinflusst, aber auch von Florence Cestac und Claire Brétecher, „die damals als Einzige in der breiten Öffentlichkeit bekannt war“, betont sie.

Auch während sie sich mit der Illustration von Jugendbüchern beschäftigte, verlor sie ihr Ziel „Comic“ nicht aus den Augen. Da sie die einzige Frau in der Redaktion des Magazins Tchô war, bat sie der künstlerische Leiter, das weibliche Pendant zu Titeuf, der berühmten Figur von Zep, zu kreieren. So entstand Nini Patalo, „ein kleines Mädchen in einer verrückten Welt, das von einer Gans und einem aufgetauten Urmenschen begleitet wird …“, erzählt sie. Durch ihren Blog Libre comme un poney sauvage wurde sie im Bereich der realistischen Comics bekannt. Diese Arbeit setzt sie in ihren Berichten über psychiatrische Kliniken (HP), in der Serie Sociorama (zusammen mit der Soziologin Yasmine Bouagga) sowie in ihrer bemerkenswerten Reportage über den Dschungel von Calais fort, die erst in Le Monde und dann als Buch veröffentlicht wurde.

2009 erhielt sie zusammen mit der Zeichnerin Tanxxx für das Album Esthétique et filatures den Artemisia-Preis für Comics von Frauen. „Zuerst kam er mir vor wie ein Trostpreis, aber er ist eine Möglichkeit, auf die Arbeit von Autorinnen aufmerksam zu machen“, erklärt sie. „Ich glaube nicht, dass es eine weibliche Vorstellungskraft und einen weiblichen Zeichenstil gibt, aber ich bin für positive Diskriminierung, um ein Gleichgewicht herzustellen.“

Denn Gleichheit herrscht noch lange nicht, wie der Mini-Skandal auf dem Festival von Angoulême 2016 deutlich machte: Unter den 30 nominierten für den Großen Preis der Jury war keine einzige Frau. Das Autorinnen-Kollektiv ließ sich dieses plumpe Ignorieren nicht gefallen und rief zum Boykott der Veranstaltung auf. Die Frauen wurden von einer kleinen Gruppe von Autoren unterstützt, die sich zum Zeichen des Protests aus der Auswahl zurückzogen und so die Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums weckten. Das wurde auch Zeit, denn in den 43 Jahren, seit es das Festival gibt, war nur eine einzige Frau für den Großen Preis nominiert. „Wenn Frauen auf den Messen ebenso sichtbar wären wie Männer, wäre das schon gut. Das Ziel ist ein gleicher Anteil“, betont Lisa Mandel und fügt hinzu, dass es diesen gleichen Anteil in Schulen gibt, die inzwischen ebenso viele Studentinnen wie Studenten aufnehmen.

„Gefühle kann man nicht Geschlechtern zuordnen“

Wie viele ihrer Kolleginnen bestreitet Lisa Mandel, Frauen-Comics zu machen, denn „Gefühle kann man nicht Geschlechtern zuordnen“. Wenn es also unter den Figuren ihrer Familie Mifa, einem Strip, der ein Jahr lang in der Morgenausgabe von Le Monde erschien, eine alleinerziehende Mutter gibt, „dann liegt das ganz einfach daran, dass ich nicht mit einem klassischen Familienmodell aufgewachsen bin, sondern in einer Patchwork-Familie“, erklärt sie. Die Mutter lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen und ist weit entfernt von sexistischen Klischees, wie auch Lisa Mandels übrige Figuren. Seien es die beiden Mädchen aus dem Jugendbuch Princesse aime princesse (Gallimard BD), die lesbischen Superheldinnen Francisse und Lisa aus Super Rainbow (Casterman) oder die Frauen aus ihrer Kolumne Kifik Kifak über den Libanon – Lisa Mandel sorgt für frische, befreiende Vorbilder. Aus ihrer Feder findet Emanzipation durch Humor und den Kampf gegen Stereotype statt. Nieder mit einengenden Klischees! Erst neulich regte sie sich auf ihrer Facebookseite übrigens über ein Jugendbuch auf, „eine Ansammlung von schädlichen, sexistischen Klischees für Jugendliche mitten in der Pubertät, das ihnen als Ideal ein engstirniges, einschränkendes und reaktionäres Frauenbild präsentiert“ – dem gibt es nichts hinzuzufügen.
 

Mehr zu diesem Thema

  • im Buch Je me défends du sexisme (Albin Michel Jeunesse) von Emmanuelle Piquet und Lisa Mandel, seit März 2018 erhältlich
  • im Blog Auriculaire, der Comic-Autorinnen zu Wort kommen lässt: „Nein, Frauen machen keine Mädchen-Comics, sie machen Comics.“
  • in der Ausstellung Une BD si je veux quand je veux in der Maison Fumetti in Nantes, vom 3. Februar bis zum 14. April – mit den Werken von 25 großen Autorinnen des feministischen Comics von Ecuador bis nach Russland, u. a. Joris Bas, Alison Bechdel, Catel, Jacky Flemming, Ulli Lust …    

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