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Interview mit „Ellbogen“ Regisseurin Aslı Özarslan und der Autorin Fatma Aydemir
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Filmstill Ellbogen
© ArtHood Entertainment

Im Rahmen der 74. Berlinale sprach die Kuratorin und Kritikerin Deniz Sertkol mit der Regisseurin Aslı Özarslan und der Autorin Fatma Aydemir über die Verfilmung von Aydemirs Roman „Ellbogen“. Die beiden erzählen von ihrer kreativen Zusammenarbeit, die Entwicklung der Charaktere und die Herausforderung, gesellschaftspolitische Themen des Buches filmisch umzusetzen und zugleich das Publikum zum Nachdenken zu aufzufordern.
 

Von Deniz Sertkol

Deniz Sertkol (DS): Glückwunsch zur erfolgreichen Premiere. Wie fühlt sich das für dich als Filmemacherin an, mit diesem Stoff im gegenwärtigen Deutschland so gefeiert zu werden?

Aslı  Özarslan (AÖ): Ich arbeite ja schon seit 2018 an diesem Projekt. Wenn man einen Stoff so lange im Kopf hat, dann verschriftlicht, später am Set ist und ihn dann auf der Leinwand sieht, ist das natürlich ein sehr surreales, aber auch ein sehr schönes Gefühl. Die Berlinale ist ein publikumsstarkes Festival und die Kinosäle sind voll. Und genau das wünscht man sich als Filmemacherin am meisten, dass der Film von vielen Menschen gesehen wird. Heutzutage, wenn ich aus der Perspektive der Hauptfigur Hazal spreche, die als junge Frau in einer komplizierten Gegenwart lebt, in der es viele Kriege und Unsicherheiten gibt und viele Leute keine Perspektive haben, ist der Film ein sehr wichtiger Beitrag, um zu zeigen, dass sich manche Menschen in unserer Gesellschaft nicht gesehen oder auch nicht verstanden fühlen.

DS: Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Fatma Aydemir von 2017. Wie kam es zu diesem Film und wie hat sich eure Zusammenarbeit gestaltet?

AÖ:  Nach meinem Dokumentarfilm Dil Leyla stand ich in einer Buchhandlung und da schaute mich eine sehr selbstbewusste junge Frau an - und das war das Cover von Ellbogen. Und drunter stand der Name Fatma Aydemir, die ich eben als Journalistin kannte, für die taz. Ich habe das Buch verschlungen und wusste sofort - ich will was drüber machen. Hazals Charakter hat mich sehr gereizt. Und ich habe mich dann ganz naiv bei Fatma gemeldet und dachte mal gucken, ob sie sich überhaupt zurück meldet. Das ging recht schnell, weil sie meinen Dokumentarfilm kannte und sich allein deswegen schon mit mir treffen wollte. Als ich ihr erzählte, dass ich den Roman so rough und so pur finde und mir für die Verfilmung eine Laiendarstellerin vorstellen könnte, die mit der Figur zusammen wächst, fand Fatma die Idee gut. Es hat eine Weile gedauert, aber irgendwann haben wir dann zueinander gefunden.

DS: Fatma, wie war für dich die Zusammenarbeit mit Aslı ?

Fatma Aydemir (FA): Am Anfang drehten sich die Gespräche viel um Fragen. Was findet Aslı besonders interessant an dem Stoff, was will sie hervorheben? Schon bevor der Roman erschienen ist, gab es viele Interessenten, die den Stoff verfilmen wollten und eine der Herausforderungen war für mich, passende DarstellerInnen zu finden. Aslıs Idee, mit LaiendarstellerInnen zu arbeiten hat mich total überzeugt, vor allem was Hazal und ihre Freundinnen angeht, fand ich das eine tolle Herangehensweise. Und ich fand es wichtig, die Berlin-Istanbul Geschichte gut umzusetzen. Beispielsweise endet das Buch mit der Nacht des gescheiterten Putschversuchs und mir war völlig klar, dass das im Film nicht funktionieren würde, dass es völlig überfrachtet wäre und selbst im Buch ja auch nur angedeutet ist. Hazal versteht noch nicht mal so richtig, was passiert.

Und ich wollte auch nicht, dass der Blick auf Istanbul so romantisiert wird, wie in vielen anderen Filmen. Müssen wir jetzt alles Politische rausschneiden? Wie können wir mit der Figur des Halil spielen? Das waren Fragen, über die wir viel diskutiert haben. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass wir einen ähnlichen Anspruch und ähnliche Sichtweisen haben. Und dann war unsere Zusammenarbeit ziemlich textbasiert. Aslı und Claudia [Schaefer, Co-Drehbuchautorin] haben angefangen an dem Drehbuch zu schreiben, und ich habe verschiedene Fassungen gelesen. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber die beiden haben sich meine Anmerkungen sehr zu Herzen genommen. Als wir bei der letzten Fassung des Drehbuchs waren, war ich zu 100% überzeugt davon.

AÖ: Es hat auch viel Spaß gemacht zu diskutieren. Es gab Szenen, bei denen wir die Entscheidung eher visuell gefällt haben. Fatma hat uns dabei sehr vertraut. Das war toll, weil wir damit mehr Freiheiten hatten. Wir konnten uns von dem Roman auch teilweise sehr entfernen und dann aber auch wieder zurückkommen, weil wir die DNA der Story begriffen hatten und dem Charakter der Hazal treu bleiben wollten. Und ich fand es einfach super schön, dass das funktioniert hat.

DS: Gab es irgendwann mal die Idee eines Voiceover?

AÖ: Nie. Der Roman ist so stark. Wenn wir versucht hätten, die Sprache 1:1 zu übernehmen, das wäre wirklich schief gegangen. Wir mussten eine eigene filmische Erzählweise finden. Ich hatte natürlich viele Lieblingssätze, die ich mir notiert und angepinnt habe, weil die mich motiviert haben und die Figur der Hazal noch mal für mich vor Augen geführt haben. Aber im Film funktionieren sie dann nicht. Fatma hat es auch so gesehen. Ein Satz kann im Roman noch so toll sein, aber für das Drehbuch gilt das nicht unbedingt. Vielleicht hätte es eine andere Filmemacherin hingekriegt, das über ein Voice over zu machen. Aber ich war so fasziniert von Hazals Charakter und ihrer messerscharfen Beobachtungsgabe. Schon allein, zu was sie immer „nein“ sagt. Sie weiß zwar nicht, was sie will, aber sie weiß genau, was sie nicht will. Und das wollten wir hervorheben.

Melia Kara in „Ellbogen“ (2024). Regie: Aslı Özarslan

Melia Kara in „Ellbogen“ (2024). Regie: Aslı Özarslan | Foto (Detail): © Haydat Tastan, Achtung Panda!


DS: Fatma, war es dir eigentlich wichtig, dass die Person, die diesen Film macht, auch einen ähnlichen Hintergrund hat wie du?

FA: Ja und nein. Ich war auf jeden Fall skeptisch, als die ganzen Anfragen von diesen weißen, mittelalten Männern kamen. Mir war schon wichtig, dass es eine Frau war oder zumindest kein Cis-Mann, sie musste aber nicht denselben Hintergrund haben. Was mich bei Aslı sehr beruhigt hat, war zum einen das Ästhetische. Ich hatte ihren Dokumentarfilm Dil Leyla gesehen. Natürlich ist ein Dokumentarfilm was anderes als Fiktion, aber trotzdem kann man sehen wie er erzählt wird, wie er aussieht und was der Regisseurin wichtig ist. Es war ein guter Parameter, um mir vorzustellen was Aslı schön findet.

Und zum anderen ging es mir um den Umgang mit dem Thema Kurdistan. Auch wenn es nicht Hauptthema des Buches ist, spielt es eine Rolle. Mir war wichtig, dass es im Film auch so vorkommt. Also gerade, wenn wir auch die Türkei miterzählen. Mich hat es sehr erleichtert, dass Aslı und ich politisch einen bestimmten Konsens haben, über den wir nicht diskutieren müssen. Für mich ist der politische Standpunkt wichtiger als die Frage, wo jemandes Eltern herkommen.

DS: Wie ist es für euch, den Roman auf der Leinwand zu sehen? Besonders vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Debatten auf der Berlinale, die ja gerne Plattform für politische Messages genutzt wird?

AÖ:  Die Berlinale ist ein sehr publikumsstarkes Festival und das finde ich wichtig und gut. Und ich habe sehr positives Feedback von anderen Filmemacher*innen bekommen, was natürlich toll ist. Aber dann kommt er auf die Leinwand, wo ganz viele Leute aus unterschiedlichen Schichten, mit ganz unterschiedlichen Perspektiven diesen Film sehen. Was ich gerade beobachte, ist, dass der Film sehr stark junge Menschen anspricht. Viele junge Mädchen haben sich dafür bedankt, einen Film aus ihrer Perspektive zu sehen. Das hat mich total gerührt. Von älteren und vor allem männlichen Zuschauern gab es aber auch Feedback, das sie Schwierigkeiten mit dem Stoff hatten und eher ratlos waren.

FA: Die Geschichte in Ellbogen triggert Leute, weil sie keine moralische Perspektive bietet. Es ist unangenehm, sich mit Hazals Charakter auseinanderzusetzen, und das ist beabsichtigt. Aber es hinterlässt bei manchen Menschen Unbehagen, wie sie auf sie reagieren sollen. Ein Kritiker sagte kürzlich, der Film wisse nicht, wie er sich zu Hazal positionieren solle, und ich dachte: Nein, du weißt nicht, wie du dich positionieren sollst. Der Film weiß genau, wo er steht. Aber diese Unsicherheit, dieses Nicht-Wissen, wie man mit ihr umgehen soll, macht die Geschichte stark, besonders im heutigen politischen Klima, wo die extreme Rechte an Stärke gewinnt.

AÖ: Ja, dem kann ich nur zustimmen. Und das ist ja auch das, was mich abgesehen vom Politischen gereizt hat. Ich sehe den Roman als Filmemacherin, als Kinomacherin und Hazal ist für mich eindeutig eine faszinierende Figur fürs große Kino. Kino darf und soll Leute zum Nachdenken bringen und Raum für eigene Gedanken geben. Was ich an dem Roman so toll finde, ist ja, dass Hazal so ambivalent ist, dass sie Ecken und Kanten hat. Und mir war es von Anfang an wichtig, dass ich die Figuren nicht verteidigen möchte. Hazal braucht meine Hilfe nicht und man kann sie nicht zuordnen. Und dieses Vielschichtige, das kann Kino.
 
Melia Kara in Ellbogen | Elbow von Aslı Özarslan, 2024

Melia Kara in „Ellbogen“ | © ACHTUNG PANDA!


DS: Als türkeistämmige Kulturschaffende zieht man automatisch Aufmerksamkeit auf sich, wenn man sich mit soziopolitischen Themen in Bezug auf deutsch-türkische Beziehungen befasst. Fatma, du hast für das Theater an „Faust“ gearbeitet, einer klassischen deutschen Geschichte. Wie seht ihr eure Rollen dabei, über Themen hinauszugehen, die mit eurem kulturellen Hintergrund assoziiert werden?

AÖ:  Ich versuche da sehr auf mein Bauchgefühl zu hören. Ich springe auf das an, was in dem Moment etwas in mir triggert. Bei Ellbogen war es Hazals Figur in ihrer Kompromisslosigkeit. erzeit arbeite ich an etwas völlig anderem – eine Geschichte über eine Figur, die eine Transformation durchläuft. Es hat nichts mit den Themen von Ellbogen zu tun, aber die filmische Herausforderung fasziniert mich. Natürlich möchte ich nicht in einer Schublade landen. Ich habe jetzt öfter im Zusammenhang mit Ellbogen das Attribut migrantisches Kino bekommen, aber der Film ist kein migrantisches, sondern europäisches Kino. Es geht um marginalisierte Menschen, die versuchen Teil einer Gesellschaft zu sein, aus der sie oft rausgedrängt werden. Diese Themen interessieren mich. Dafür ist Kino da – Geschichten aus einem Blickwinkel zu erzählen, den man so noch nicht kennt.

FA: Für mich ist es ein zweischneidiges Schwert. Nach Ellbogen haben mir Leute gesagt, dass mein nächstes Buch was ganz anderes werden sollte, dass ich mich jetzt beweisen müsste. Aber am Ende des Tages, geht es ja auch einfach darum, Geschichten zu erzählen, die noch nicht erzählt worden sind und Dinge zu erzählen, die ich imstande bin zu erzählen. Und das kann natürlich alles Mögliche sein. Ich mache auch, worauf ich Bock habe. Faust war ein Auftrag, den ich für ein Theater bekommen habe und ich fand es irgendwie witzig. Ich habe lediglich das Gerüst genommen und trotzdem eine Geschichte erzählt, die mir Spaß gemacht hat. Faust ist in meiner Version eine Frau, die einen Studenten verführt, der aus Marokko kommt und eigentlich schwul ist -  aber sie will ihn trotzdem. Also eine crazy komische Liebesgeschichte. Aber der Teufelspakt steht im Zentrum. Das ist ja was Universelles: Wie verhalte ich mich als guter Mensch in einer bösen Welt? Und diesen urdeutschen Stoff kann man auch sehr gut auf die Schippe nehmen – gerade jetzt in diesem politischen Klima. Was ist eigentlich Deutsch und wie kann man sich darüber lustig machen?

AÖ: Ja, das klingt wahnsinnig cool. Ich will es sehen.

DS: Lass uns zu Ellbogen zurückkommen und tiefer in die Figuren eintauchen. Im Buch haben wir Hazals innere Stimme, im Film hingegen nicht. Stattdessen sehen wir, wie Hazal in Deutschland und in Istanbul spricht, und das unterscheidet sich sehr. In Deutschland ist sie tough und clever, in Istanbul wird sie zurückhaltender, fast naiv. Aslı, wie hast du diese Figur mit Melia Kara entwickelt? Wie viel kam von ihr und wie habt ihr an der Sprache gearbeitet?

AÖ: Vieles war schon im Drehbuch festgelegt, und Melia ist ganz anders als Hazal. Sie würde niemals so handeln wie Hazal, und das haben wir ausführlich besprochen. Aber Hazals Emotionen kennt Melia gut. Das war während der sechs Monate, in denen wir zusammengearbeitet haben, der wichtigste Aspekt für mich. Wir haben nicht viel Zeit damit verbracht, Szenen zu proben; sie hat viele Szenen lange nicht gesehen. Stattdessen haben wir improvisiert, um eine Hintergrundgeschichte für Hazal zu entwickeln, basierend auf dem Roman und neuen Elementen, die wir erfunden haben. Wir sind durch den Berliner Wedding spaziert, und sie hat sich vorgestellt, wo Hazal leben könnte, was ihr Lieblingsspielplatz war. Zusammen mit den anderen Schauspielern haben sie Kindheitserinnerungen erfunden. So wurde Melia allmählich zu Hazal.
Ich sagte ihr auch: „Es mag dir schwerfallen, zu verstehen, warum jemand wie Hazal so handelt, wie sie es tut. Aber jeder Mensch hat seine eigenen Gründe für sein Verhalten, auch wenn es von außen seltsam erscheint. Wir müssen Hazals Gründe finden.“ Das war ein entscheidender Wendepunkt. Melia musste lernen, die Figur zu lieben. Nur dann konnte sie sich wirklich befreien, um Hazal zu verkörpern. Das Drehbuch haben wir erst gegen Ende unseres Prozesses gelesen.

Zu diesem Zeitpunkt begannen Melia und die anderen, ihre Dialoge zu verfeinern, mit Bemerkungen wie „So redet heute keiner mehr“, und haben sie angepasst. Manchmal hat sie beim Drehen Zeilen hinzugefügt oder übersprungen, was völlig in Ordnung war. Wenn wir an Hazal in Istanbul denken, lernt sie viel, insbesondere über das kurdische Thema, aber sie ist nicht so naiv, wie sie zunächst scheint. Tatsächlich zeigt sie eine gewisse Reife, zum Beispiel, als sie sich gegen Halil wehrt. Einer der wichtigsten Sätze ist: Nur weil ich nicht weiß, wo Mardin ist, bin ich nicht naiv. Zum ersten Mal wagt Hazal, sich zu verteidigen. Sie wird in Deutschland verurteilt und dann erneut in der Türkei, und fast niemand nimmt sie ernst. Aber es gibt diesen Moment mit Halil, als er sie bittet, seine Texte zu lesen. Er beginnt, ihr Fragen zu stellen, und plötzlich sind sie auf Augenhöhe. Sie fühlt sich gesehen, und darum geht es – Hazal möchte gesehen werden. Das wollten wir auskosten, deshalb haben wir Szenen wie den Vogelwettbewerb hinzugefügt, um zu zeigen, dass sie trotz allem schöne Momente hat. Wir wollten Hazal als junge Frau mit großem Potenzial zeigen.

DS:  Könnt ihr für unser internationales Publikum erläutern, was die beiden Figuren Halil und Gözde bedeuten?

AÖ: Sowohl im Roman als auch im Film gibt es ganz unterschiedliche Frauenfiguren, die vielleicht den gleichen Background haben, aber ganz unterschiedlich aufgewachsen sind. Dieses Facettenreichtum ist spannend. Gözde gehört zu einer Art linken Elite. Frauen, die ich auch in der Türkei kennengelernt habe, die vielleicht keinen kurdischen Background haben, aber trotzdem dazugehören wollen, weil es cool ist, Teil der kurdischen linken Bewegung zu sein. Da gibt es mit Sicherheit auch Frauen, die das total ernst nehmen, klar. Aber Gözde ist eine Figur, die aus wohl-behütetem Hause kommt. Es war spannend, sie mit Halil zu zeigen, aber noch viel spannender sie mit Hazal zu kontrastieren, die aus der Arbeiterklasse kommt und die sie belehren möchte.

FA: Halil ist ein kurdischer Student, intellektuell, politisch aktiv und schreibt regierungskritische Texte, die besonders riskant sind, weil sie sich auf die kurdische Freiheitsbewegung beziehen. Er wird dann auch von der Polizei gesucht und in dem Moment, wo er gefasst wird, verabschiedet sich auch Gözde von ihm, weil sie eben die Möglichkeit hat, sich wieder in ihr wohl behütetes Leben zurück zu begeben. Und für Hazal, die alles beobachtet, ist diese Beziehung natürlich auch eine direkte Ableitung für die Gesellschaft, in der sie sich bewegt.

DS: Und die Figur des Mehmet ist ja nicht nur einer, der Mehmet heißt, sondern verweist auf den sogenannten Fall Mehmet aus dem Jahr 1998: Muhlis A., der als kleinkrimineller mit 14 Jahren aus seinem Geburtsland Deutschland in die Türkei abgeschoben wurde und dann als Fall Mehmet galt.

FA:  Ja, das war so eine Anspielung, vielmehr ein Augenzwinkern, das sich auf alle Typen bezieht, die wegen kleinkrimineller Handlungen in ein Land geschickt werden, womit sie an sich nichts mehr zu tun haben. Das ist ein sehr gängiges Phänomen.

AÖ: Mehmet hat mich sehr berührt – schon im Roman, weil er so gebrochen ist. Ich konnte mich richtig in ihn hineinversetzen: Wenn du gezwungen wirst, dein Zuhause, deine Sprache und all das, mit der du groß geworden bist, zu verlassen und in ein fremdes Land zu gehen. Wenn der Staat einfach sagt: Du gehörst nicht nach Deutschland, du bist nicht ein Teil von uns. Und dann in ein Land kommst, wo du dich gar nicht auskennst. Das hat ihn fertig gemacht, in der Türkei zu sein. Und er versucht es nicht zuzugeben. Er bezeichnet es als Fehler des Universums, in Deutschland geboren zu sein. Aber eigentlich sieht man es ihm in allem an, dass er wirklich nicht dorthin gehört und das hat mich sehr berührt.

DS: Eine letzte Frage. Der Film geht ja mit einem sehr offenen Ende aus. Was bedeutet das für euch? Was wünscht ihr euch von diesem Blick, der die vierte Wand trifft.

AÖ: Ich wollte eine Figur erschaffen, die stark ist und ihre eigenen Entscheidungen trifft. Hazal sagt wieder „Nein“, trifft aber erstmals ihre eigene Entscheidung. Das hat mich sehr gereizt. Und deswegen wollte ich auch, dass sie in die Kamera blickt, was die Frage wiederum zurück an die Gesellschaft wirft: Was jetzt?

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