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Alte Musik 2019
Arm, aber glücklich!

Laute
Laute | Foto (Ausschnitt): © dpa

Wo steht die Alte Musik in Deutschland 2019? Nun, sie ist arm – aber glücklich: Neben vielen Mainstream-Festivals gibt es auch einige, die voller Idealismus sehr originelle Programme bieten, und obwohl die historische Aufführungspraxis bei der staatlichen Kulturförderung nach wie vor weniger berücksichtigt wird, nimmt die Zahl entsprechender Konzerte trotzdem immer weiter zu – und der Forschergeist und Enthusiasmus der Musikerinnen und Musiker bislang nicht ab.

Von Andrea Braun

Keine Frage: Kaum eine Konzertbesucherin oder ein Konzertbesucher in Deutschland wundert sich heute noch über auch exotischere historische Instrumente auf der Bühne und im Bereich vorklassischen Repertoires nimmt die Anzahl nicht auf authentischem Instrumentarium eingespielter CDs ab. Fast jede Kirchenmusikerin oder jeder Kirchenmusiker lässt beim Weihnachtskonzert auf alten Instrumenten musizieren und fast jedes der knapp 130 Symphonieorchester im Lande hatte schon einen Barock-Coach zu Gast.

Und obwohl die deutsche Konzertlandschaft weithin mit Mainstream- und Easy Listening-Tendenzen durchsetzt ist, gibt es da doch einige Festivals und Konzertreihen, die sich tapfer gegen diese Programmnivellierung stellen. So wie das kleine, aber feine (wenn auch ökonomisch auf Seiten der Veranstalter wie der Interpretinnen und Interpreten von purem Idealismus getragene) Mittelalterfestival montalbâne in Freyburg an der Unstrut in Sachsen-Anhalt, oder die alljährlich das Pfingstfest zierenden Tage Alter Musik Regensburg, als strahlender Beweis dafür, dass Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher nicht mehr mit der Alten Musik fremdeln: Die ersten Konzerte sind hier jedes Jahr schon vor Weihnachten ausverkauft. Auch etwa die Telemann-Festtage in Magdeburg wären lobend zu erwähnen, die sich unverdrossen dem gigantischen, aber im heutigen Konzertleben eher unterrepräsentierten Oeuvre dieses Sohnes ihrer Stadt widmen; oder der Lausitzer Musiksommer, der im Bemühen, das musikalische Erbe jener Region zu pflegen, mit sicherem Blick oft hervorragende Aufführungen in kleinste Dorfkirchen bringt; oder das Mittelalter-Festival Via Mediaeval in Rheinland-Pfalz, das sich allherbstlich und mutig gänzlich unbekanntem Repertoire vor 1400 widmet.
 
Diese und ähnliche Festivals atmen den wahren Geist der Alten Musik, der historisch informierten Aufführungspraxis, der schon die Pioniergenerationen inspiriert hatte: Die Suche nach vergessenen oder vernachlässigten Werken und Komponisten, das Forschen nach Spielpraktiken und Klangvorstellungen vergangener Zeiten. Die Besucherzahlen zeigen, dass dieses Konzept aufgeht; und auch das dort im Vergleich zu herkömmlichen Klassikveranstaltungen oft ungewöhnlich junge Publikum zeugt davon, dass Mut zum Besonderen heute durchaus ankommt. Eben diesen möchte man der Veranstalterszene dann allerdings auch abseits einiger Leuchtturmfestivals wünschen: Den Mut, einmal ein Risiko einzugehen.  

Schwindender Entdeckergeist?

Was das Entdecken betrifft, sind aber natürlich auch die Musikerinnen und Musiker in der Pflicht. Und da tönt in jüngster Zeit immer wieder ein kollektiver Seufzer der im Alte-Musik-Bereich lehrenden Musikerinnen und Musiker der älteren Generationen durch das Land: Die Studierenden verlören ihren Forschergeist. Tage und Wochen in Bibliotheken zu verbringen, historische Briefe und Traktate zu lesen – das scheint der nachwachsenden Alte-Musik-Elite bei aller technischen Perfektion ihres Spiels heute zunehmend fremd zu werden. Denn natürlich ist es weniger aufwendig, schlicht den Lehrer oder die Lehrerin zu fragen, wie‘s gemacht wird, statt sich selbst aus den Quellen eine Meinung zu bilden. Sicherlich spielt hier aber auch der wachsende ökonomische Pragmatismus heutiger Studierender eine Rolle, denn Forschung wird im Berufsalltag selten bezahlt und Quellenstudium damit zur rein idealistischen Aktivität degradiert.
 
© zeitgeist altemusik

Prekariat und Altersarmut

Denn es ist eine Tatsache, dass Alte-Musik-Musiker heute fast zwangsläufig zum Prekariat gehören und garantierter Altersarmut entgegensehen, wenn sie nicht spätestens bis zum 35. Lebensjahr auf eine der raren Hochschulprofessuren berufen werden oder auf andere Weise abgesichert sind. Und auch der deutsche Mindestlohn ist bei vielen freiberuflich tätigen Musikerinnen und Musikern nicht angekommen. Wobei dies natürlich nicht nur historisch informiert Spielende betrifft, sondern auch solche mit modernen Instrumenten. In dieser Sparte besteht jedoch immerhin mehr Unterrichtsbedarf und wenigstens theoretisch die Option einer Festanstellung bei einem wohlsubventionierten Orchester; in der Alten Musik nicht. So gibt die Künstlersozialkasse für freiberuflich tätige Musikausübende ein durchschnittliches Jahreseinkommen von etwas mehr als 12.000 Euro an – vor Steuern. Wären sich die in der Mehrzahl wohl bildungsbürgerlich bezahlten Konzertbesucherinnen und -besucher dessen bewusst, was die Künstlerinnen und Künstler da vorne auf der Bühne (selbst die etwa des Freiburger Barockorchesters, der Berliner Akademie für Alte Musik oder von Concerto Köln, als drei der wohl bekanntesten Orchester für historisch informierte Aufführungspraxis dieses Landes) verdienen, wären sie wohl höchst erstaunt.
 
Angesichts ihrer aber doch für die Erhaltung des kulturellen Erbes höchst bedeutsamen Aktivitäten und auch der enormen Präsenz und des noch immer wachsenden Anteils der Alte-Musik-Ensembles am deutschen Konzertleben wirft diese Situation natürlich die Frage auf: Was – außer der Tradition – ist der Grund dafür, dass die ja durchaus reichlichen Fördergelder für Kultur mehr als ein halbes Jahrhundert nach Inauguration der Idee historisch informierten Spiels in der deutschen Musiklandschaft noch immer fast ausschließlich Symphonieorchestern und Opernhäusern zuteilwerden?

International benachteiligt

Bei dieser subventionstechnischen Schieflage geht es aber natürlich auch um eine Marktverschiebung auf internationaler Ebene. Denn in vielen anderen Ländern der Welt bekommen auch freie, auch Alte-Musik-Ensembles regelmäßig Gelder von Staat, Land oder Stadt. Damit können sie Forschung und oft sogar ein eigenes Büro-Team finanzieren, das sich um Buchung und Organisation von Konzerten und Tourneen kümmert, und – wo nötig – auch Geld für Proben und Reisen zuschießen und also einzelne Konzerte deutlich günstiger als deutsche Gruppen gleicher Größe und Qualität anbieten kann. Doch die Szene funktioniert natürlich grenzenlos europäisch – alle spielen überall auf dem Kontinent und darüber hinaus – und so kommt es immer wieder zu Situationen, dass beispielsweise subventionsbedingt das kanadische Ensemble in Erfurt billiger zu haben ist als dasjenige aus Köln. Oder dass das belgische Orchester in Salzburg für weniger Geld spielen kann als dasjenige aus München.

Idealismus – Fluch oder Segen?

Im Alltag der Alte-Musik-Ausübenden werden diese Themen allerdings nur am Rande diskutiert, denn die Alte Musik scheint auch im Jahr 2019 noch sehr stark von Idealismus getragen: Die historisch-authentisch Spielenden tun, was sie tun, vor allem aus Interesse, aus Begeisterung, aus Freude an der Musik. Der Gedanke an Entlohnung ist da offenbar zweitrangig. Ob dieser Idealismus Fluch oder Segen ist, wird die Zukunft weisen. Und auch, ob nachkommende Musikergenerationen die fördertechnische Schieflage im Lande weiter akzeptieren, oder sich nicht irgendwann gewerkschaftlich organisieren werden – vielleicht gar europaweit. Erste Zusammenschlüsse (bisher allerdings vor allem größerer Orchester) in Verbänden, erste Vorstöße dieser Verbände zum Dialog mit der Politik lassen dies für die nächsten Jahre fast erwarten.
 
Die Alte Musik in Deutschland leidet ökonomisch zweifelsohne nach wie vor unter einer Schlechterstellung an den öffentlichen Fördertöpfen und den daraus resultierenden Nachteilen auf dem nationalen und internationalen Musikmarkt. Doch gleichzeitig sind ihre Aktiven in Hunderten von Ensembles und Orchestern in Deutschland so ungebrochen enthusiastisch und lebendig zugange wie eh und je: als – nach wie vor – Innovationsmotoren für Spielpraktiken und Repertoire, als international agile Botschafter deutschen Kulturlebens und als leuchtende Beispiele für Selbstmotivation und gemeinschaftliches Engagement.

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