Berlinale-Blogger 2017
Die unerträgliche Stille in „Small Talk“

Small talk
Small talk | © Small Talk Productions

Die Filmmacherin Hui-chen Huang sucht die Versöhnung mit schmerzlichen Kindheitserfahrungen. Ihr persönlicher Film beleuchtet auch den Weg Taiwans in Richtung Gleichbehandlung unabhängig von Genderidentität und sexueller Orientierung.

Dieser Film kommt zur rechten Zeit: In Taiwan hat der Gesetzesentwurf zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe die erste Hürde genommen und steht derzeit im Parlament zur Debatte. Small Talk ist ein Liebesbrief von Huang an ihre Mutter. Diese wurde während der 1970er-Jahre in einem kleinen Dorf in eine Ehe gezwungen. Die Misshandlungen durch ihren Ehemann lässt sie stillschweigend über sich ergehen. Weil sie homosexuell ist, wird sie von ihrem Umfeld strikt abgelehnt, ihre zwei Töchter distanzieren sich von ihr.

Die gefilmten Dialoge zeigen, wie das Schweigen endlich gebrochen wird, man bekommt mit, welche schmerzhaften Erfahrungen Mutter und Tochter teilen und welche schwierigen Fragen nach der Liebe sie sich stellen. Am Ende des Film reißt ein Mutter-Tochter-Gespräch alle Wunden mit brutaler Offenheit auf. Drei Kameras zeigen die Beteiligten, wie sie um den Tisch herum sitzen, in Nahaufnahmen und im Profil. Die Distanz, die sie zueinander einnehmen, macht ein gegenseitiges Berühren unmöglich. Obwohl Huangs Mutter die meiste Zeit über in Schweigen verharrt – ihr Blick weggeduckt, während die Finger mit den Zehen spielen – entflieht sie der Situation nicht.

Hinter der Kamera bietet sich der Filmmacherin die Gelegenheit einer physischen und emotionalen Annäherung an ihre Mutter. Nur mithilfe der Kameralinse kann Huang die ungeschönten Gesichtszüge der Mutter mit jedem Fältchen und der Gesichtstextur festhalten. Als die Tante der Filmemacherin gefragt wird, ob sie wusste, dass ihre Schwester Frauen liebt, und sie ins Zimmer stürmt, nur um zu antworten „Ich muss mich um die Wäsche kümmern“, kann man nicht anders, als darüber zu lachen. Dieser Moment bitteren Humors und das Hin und Her von „Wusstest du es?“ und „Ich wusste es nicht“ zeigt, das Small Talk denjenigen unbedingt eine Stimme verleihen will, die zu lange zum Schweigen verdammt waren und die es verdient haben, von ihrem Gefühl der Scham befreit zu werden.

Wundervoll begleitet von der Musik des legendären Komponisten Giong Lim (林强), wird der Film außerdem von einem der wichtigsten Regisseure des taiwanesischen Kinos, Hou Hsiao-hsien (侯孝贤), unterstützt, der den Film produziert hat. Obwohl Small Talk eine persönliche und individuelle Geschichte erzählt, ist die Botschaft universell und spricht ein breites Publikum an, unabhängig von Nationalität, Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung und sozioökonomischem Hintergrund. Nachdem ich den auf Manuskripten des amerikanischen Autors James Baldwin basierenden Dokumentarfilm I Am Not Your Negro von Raoul Peck gesehen hatte (läuft auf der Berlinale in der Sektion Panorama), blieben mir viele Zitate im Kopf, die auch auf Small talk zutreffen. Mein Favorit und besonders passend für diesen Film: „Nicht alles, was wir akzeptieren müssen, können wir ändern, aber wir müssen es akzeptieren, um es ändern zu können."