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Neuer Slang, bekannte Verhaltensmuster

Alex Ross Perrys Golden Exits
Alex Ross Perrys Golden Exits | © Sean Price Williams

Für Australier ist der Ausdruck „telly“ eine häufig verwendete Bezeichnung für den Fernseher. Als die aus Melbourne stammende Naomi diesen Begriff in einem Gespräch in New York fallen lässt, ruft Buddy (Jason Schwartzman) – der amerikanische Sohn der Mitbewohnerin ihrer Mutter aus Hochschulzeiten – laut lachend nach einem Übersetzer. Abgesehen von der Darstellung ihres verführerischen Charakters gegenüber der Gruppe von Leuten aus Brooklyn, die sie im Verlauf des Films näher kennenlernt, steht Naomis Nationalität nicht im Vordergrund von „Golden Exits“, sondern ist hier nur Auslöser für einen Austausch an der Bar, der das Herz des fünften Films von Alex Ross Perry trifft.

Während der Filmtitel von Aufbrüchen spricht, die Handlung aber durch eine Ankunft ins Rollen gebracht wird, befasst sich Golden Exits hauptsächlich mit den Augenblicken, die sich zwischen diesen beiden Extremen ereignen: mit den Vorfällen, Konflikten – ob ruhig oder explosiv –  sowie mit der Unbeholfenheit, die entsteht, wenn zwei Bekannte scherzend ihre alltäglichen kulturellen Unterschiede entdecken. Es ist diese Art von Film, bei dem Szenen, in denen nichts passiert – und von denen es unglaublich viele gibt –, genauso wichtig sind wie solche, die aktionsreich sind. Und bei dem Gespräche über nichts Besonderes, wie zum Beispiel über die 80er-Jahre-Sitcom Wer ist hier der Boss?, in der Emily eben den spezifisch australischen Slang-Begriff für das Wort „Fernseher“ verwendet, genauso aussagekräftig sind wie tiefgründige Gespräche.

Den Status quo herausfordern

Emilys Anwesenheit, ihr Aussie-Slang und ihr jugendlicher Reiz bringen den mondänen Status quo zweier Gruppen gehörig durcheinander. Beide bestehen aus einem Paar, bei dem es nicht mehr läuft, und einem Geschwisterteil, und beide reagieren auf den Neuankömmling in ihrer Mitte in ähnlicher Weise. Ihre USA-Reise hat Emily anlässlich eines Praktikums bei Nick (Adam Horovitz) angetreten, der sie als Unterstützung für die Archivierung des Besitzes seines verstorbenen Schwiegervaters gewinnen konnte. Während die beiden sehr eng zusammenarbeiten, entwickelt sich zwischen ihnen eine unmissverständliche Spannung. Seine Ehefrau (Chloë Sevigny) fühlt sich bedroht und ihre Schwester (Mary-Louise Parker) schaut nur zu. In Buddy versucht Emily zunächst einen Freund zu finden, bevor sich herausstellt, dass sie doch mehr von ihm möchte. Gleichzeitig macht sich seine Ehefrau (Analeigh Tipton) Sorgen, und ihre Schwester (Lily Rabe) bleibt unglücklich.


Auch wenn dieser Spielfilm aufgrund des antipodischen Bezugs nur die minimalste Wendung hat, ist er bekanntes Terrain für einen Regisseur, der regelmäßig Filme über zwischenmenschliches und emotionales Unwohlsein und Stagnation dreht. Der 2009 erschienene Film Impolex und seine Studie von Frustration, die Bruder-Schwester-Komödie The Color Wheel (2011), der beziehungsfokussierte Film Listen Up Philip (2014) und das Psychodrama Queen of Earth (2015) beschäftigen sich alle mit demselben Thema: Die Einzelheiten zwischenmenschlicher Beziehungen werden näher betrachtet – mit einem klaren Blick für die Dinge, denen im Film normalerweise keine Beachtung geschenkt wird, die aber in der Realität allzu oft an die Oberfläche geraten.
 
Perry greift zudem auf einen altbekannten Ansatz zurück, indem er seinen Charakteren sowohl auf narrativer als auch auf visueller Ebene den letzten Feinschliff verleiht. Auf der Handlungsebene verlässt sich Golden Exits tatsächlich auf Momente, die so gewöhnlich sind, dass sie kaum herausstechen, bis man näher über sie nachdenkt. Was die Ästhetik betrifft, tastet sich der Film tiefer und näher an die frustrierten Gesichtsausdrücke der Darsteller heran und wartet geduldig darauf, dass sich ihre Gedankengänge in den gegebenen Szenen offenbaren. Gekoppelt mit starken und glaubwürdigen Darbietungen erreicht der Film etwas, das das Erwähnen des Wortes „telly“ auslöst: Es lässt selbst die unbeholfensten Interaktionen – von denen es im Film viele gibt – natürlich wirken.