Berlinale-Blogger 2017
Zwischen Himmel und Erde

Almost Heaven
Almost Heaven | © Rocksalt Films / Carol Salter

„Almost Heaven“ ist eine zarte Coming-of-Age-Dokumentation über junge Bestatterinnen in einem Bestattungsunternehmen in der Provinz Hunan.

Wie so viele chinesische Teenager, die für eine Arbeit in die Städte ziehen, verlässt auch die 17-jährige Ying Ling das Dorf ihrer Kindheit, um sich in einem der größten Bestattungsunternehmen Chinas in Changsha, Provinz Hunan, zur Bestatterin ausbilden zu lassen. Während der Ausbildung lebt sie gemeinsam mit den anderen Lehrlingen im Wohnheim und lernt von den älteren, von denen sie allerdings nur wenige Jahre trennen. Der Fokus dieses Dokumentarfilms auf das Bestattungsgeschäft und die offene Darstellung toter Körper auf der Leinwand sind zweifellos ungewöhnlich, beides wirkt aber zu keinem Zeitpunkt respektlos oder unangebracht. Es gibt sogar einige humorvolle Elemente, die mir weit über die Berlinale im Gedächtnis bleiben werden. An einer Stelle liegt Ying Lings Klassenkamerad auf dem Bestattungstisch und spielt die Rolle der Leiche bei einer Übungsbestattung. Mitten im Zeremoniell erwacht der „Leichnam“ plötzlich zum Leben und witzelt, dass sein Gesicht zu lang abgerieben und sein Arm nicht hingebungsvoll genug massiert wurde. Diese plötzliche „Wiederbelebung" der Leiche und deren launige Bemerkungen bringen das Publikum geschlossen zum Lachen. Und genau dort liegt die Magie des Films: Er zeigt Respekt vor dem Tod und feiert gleichzeitig die Lust am Leben.

Es ist eindrucksvoll, wie die britische Filmemacherin Carol Salter die Bestattungsunternehmer und ihre Kunden für den Film gewinnen konnte und die nötige Dreherlaubnis bekam. Diese Dokumentation geht eines der schwierigsten Themen des Lebens an und zeigt so elegant, wie der ausgefahrene Arm eines kleinen Krans einen Sarg in den Zeremonienraum hinaufhebt, als würde er bis in den Himmel reichen; wie Bestattungsfeiern eingeübt werden; wie verschiedene Familien ihre Gefühle ausdrücken; wie Preise im Beisein der Verstorbenen ausgehandelt werden und wie der Bestatter mit der elektrischen Fliegenklatsche Jagd auf Moskitos macht. Wir sehen Nahaufnahmen von Verstorbenen, samt Nagelpflege, Make-up, Säuberung der Arme und Kämmen ihrer Haare. Der Film zeigt auch Nahaufnahmen von lebenden Körpern, wenn Ying Ling wie besessen ihre Kolleginnen zu deren extralangen Augenwimpern und dem ritualisierten An- und Abstreifen der Gummihandschuhe befragt.

Nach dem Film habe ich mich darüber mit meinen Kritikerkolleginnen und -kollegen ausgetauscht und wir gaben alle direkt zu, dass wir während des Films geweint hatten. Vielleicht war es, weil der Film eine bestimmte Seite unseres Herzens zum Schwingen gebracht hatte, als wir den Abschied von geliebten Menschen sahen? Oder sind wir einfach nicht daran gewöhnt, uns mit unserer eigenen Sterblichkeit und der Endlichkeit unserer irdischen Existenz auseinanderzusetzen? Almost Heaven präsentiert uns Leben und Tod als untrennbar verbunden und es scheint, als hätten wir fast vergessen, wie natürlich diese Verbindung ist.