'Symbiose/Dysbiose' VR-Kunstinstallation
Das Unsichtbare sichtbar, fühlbar und hörbar machen

Symbiosis/Dysbiosis
© Mycelial Network

Die Natur kann uns fühlen. Wurzeln, Blätter und Pflanzenfasern fühlen nicht mit den Fingerspitzen und sehen nicht mit der Netzhaut. Aber sie können dennoch das Nahekommen und die Berührung von Menschen spüren und entsprechend reagieren. In einer Installation für das Projekt „New Nature“ des Goethe-Instituts wird eine Gruppe von Künstler*innen diese für den Menschen fremden Empfindungen übersetzen und uns in ihre Welt eintauchen lassen. Die Installation „Symbiose/Dysbiose“ verwendet Pilze, Elektroden, Licht, Ton und virtuelle Realität, um uns in dieses allumgebende Mikrobiom zu versetzen.

Von Max Levy

Das Raunen der Pflanzen und Pilze 

Die Absicht dahinter ist, die Sichtweise zu ändern, wie sich Menschen im größeren Umfeld wahrnehmen. Tosca Terán, eine Expertin für Klangwelten, hat sich jahrelang die unsichtbare Kommunikation von Pflanzen und Pilzen erschlossen. Ihre gemeinsam mit Lorena Salomé entwickelten biosensorischen Instrumente lesen nicht-wahrnehmbare “Biodaten” der Organismen und wandeln sie in Melodien um. Die Instrumente leiten den Datenfluss überdies in eine vom Programmierer Lehman und von der VR-Expertin Sara Lisa Vogl entwickelte virtuelle Umgebung.
 
Das Ergebnis, so hoffen die Künstler*innen, ist ein tiefgreifendes emotionale Erlebnis, das die Menschen dem Raunen der Pflanzen und Pilze näherbringt.
 
Massive Science hat Terán und Vogl per Videokonferenz befragt, was sie inspiriert hat und was sie von diesem Projekt erwarten. Hier ist eine leicht bearbeitete und gekürzte Fassung des Gesprächs.
 

Max Levy: Können Sie beschreiben, was mich beim Besuch der Installation erwarten würde?
 
Sara Lisa Vogl: Die Installation befindet sich derzeit in der akuten Wachstumsphase und wir sind noch dabei, das Design zu entwickeln. Was den mechanischen Teil anbelangt, so ist derzeit ein Myzelium an Elektroden angeschlossen, und dieser Mechanismus stellt im Grunde die Weichen für die gesamte Virtual-Reality-Erfahrung. Das Myzelium soll dann auf einer Art Stand per Virtual Reality (VR) gezeigt werden. Wenn der Aufbau wie geplant funktioniert, können die Testsubjekte das Myzelium in der realen Welt berühren, während es zugleich von einer virtuellen Realität überlagert wird. Auf diese Weise werden die Betrachtenden noch stärker in der Umgebung verankert und tauchen in sie ein; sie fühlen sich in ihrer Umgebung dadurch noch präsenter.
 
Man muss sich auch bewusst machen, dass das Myzelium, das an die Elektroden angeschlossen ist, und was auch immer mit ihnen passiert – allein die Präsenz von Menschen, aber natürlich auch ihre Berührungen und Nähe – dass es allesamt eingehende sensorische Daten sind. Diese Daten werden dann in Musik oder Ton umgewandelt und im Raum hörbar. Zugleich wirken sie sich auf die Welt aus, in der sich die VR-Zuschauer befinden.
 
Aber wir wollen uns noch intensiver mit der Reaktivität von Umgebungen beschäftigen. In den Anfangsstadien des Projekts haben wir sehr viel darüber nachgedacht, wie die eingehenden sensorischen Daten die Gestalt und die Farbe sowie das Format der VR-Umgebung verändern können. Die Reaktion des Myzeliums wird visuell und akustisch umgesetzt. Und die Reaktion des Myzeliums ist im Grunde der Sensor, die treibende Kraft hinter der Erfahrung, also das, was die reale und die virtuelle Welt miteinander verbindet.
 
Zum Teil stehen diese Projektteile, aber zum Teil wurden sie noch nicht komplett auf der VR-Ebene implementiert. Aber es sind alles Dinge, über die wir nachdenken und die wir untersuchen.
 
Warum ist der Tastsinn so wichtig?
 
Tosca Terán: Bei einem Testlauf gelang es uns nicht, den Ort abzubilden, wo sich das Myzelium sich befinden sollte. Daher habe ich das Myzelium in seinem Behälter praktisch hochgehalten. Ich erinnere mich daran, wie
 Tosca Terán,
Tosca Terán | © TT
eine Frau es berührt hat. Sie hat die Hand ausgestreckt und es auf der VR-Ebene berührt. Der Pilz reagierte sofort und die Musik änderte sich.
 
Wenn positive Aufzeichnungen erfolgen, wenn mehr Vögel singen, dann würde der Wald in auf eine sehr schöne, akustisch angenehme Art lebendiger. Aber wenn das Gegenteil der Fall ist, dann wäre der Ton keineswegs so angenehm.
 
Den Personen, die das Myzelium berührt haben, war nicht bewusst, dass sie tatsächlich physisch etwas anfassten. Das finde ich auch aus psychologischer Perspektive interessant. Wie verarbeiten Menschen eine solche Erfahrung? Und was ist, wenn die Erfahrung noch tiefer geht? Berührungen haben diese Art von Wirkung und das finde ich fantastisch. Ich mag die Vorstellung, sich in ein VR-Umfeld zu begeben und sich dort völlig zu verirren.
 
Was meinen Sie mit “positiven Aufzeichnungen”?
 
TT: Es gibt noch viel für uns zu erforschen und herauszufinden. Beim Transfer der Daten auf Unity werden eine Menge Informationen gesendet. Normalerweise arbeiten wir mit Ganoderma lucidum, einem Reishi-Pilz. Meine Partnerin und ich fanden, dass dieser Pilz bei allen Musikexperimenten, die wir bislang durchgeführt haben, der Pilz mit der melodischsten Reaktion war. Es ist interessant zu sehen, wie Pilze auf Menschen reagieren. Die Austernpilze, die wir beispielweise bei einer VR-Installation angeschlossen hatten, sendeten ununterbrochen Daten, zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei Verdunkelung ebenso wie bei Tageslicht. Die Pilze waren einfach sehr aktiv, es gab daher jede Menge Informationen. Das konnten wir uns anschauen und eine Entscheidung treffen. Wenn es sich verlangsamte, das heißt, wenn die Informationen unter eine bestimmte Anzahl fielen, dann haben wir in sie in genau diesem Moment aufgezeichnet. Diesen Moment könnte man als Dysbiose bezeichnen. Und wenn die Anzahl der Informationen über einer bestimmten Zahl lag, dann wäre es eine Symbiose.
  • Symbiosis/Dysbiosis © Mycelial Network

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    Symbiosis/Dysbiosis 2

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    Symbiosis/Dysbiosis 4

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    Symbiosis/Dysbiosis 5

Wenn Sie über die Wissenschaft hinter diesem Projekt nachdenken, welchen Aspekt finden Sie am packendsten?
 
SLV: Für mich ist der packendste Aspekt, dass hier eine andere Schnittfläche und ein anderes Medium verwendet werden, um Empfindungen zu erforschen, die ich ansonsten wohl kaum so unmittelbar fühlen und erleben würde. Ich denke, ein Teil der Faszination besteht darin, das Unsichtbare auf eine Art sichtbar zu machen, die besser auf meine menschlichen Sinne abgestimmt ist. Auf diese Weise kann ich nicht nur physisch in die Wissenschaft eintauchen, sondern auch ins Leben. So kann ich leben und das Leben und den Energieaustausch auf eine völlig andere Weise erfahren. Das ist für mich das Faszinierendste an diesem Projekt.
 
Tosca, ist das auch der Grund, warum Sie die Umsetzung von Biodaten in Klänge anzieht?
 
TT: Ja, es ist definitiv das Sichtbarmachen des Unsichtbaren. Mir ist klar, was für ein ehrgeiziges Projekt es auf eine gewisse Weise ist, aber hoffen wir, dass es das Bewusstsein derjenigen schärft, die die Gelegenheit haben, diese Erfahrung zu machen. Mein Eindruck bei meinen früheren Installationen war, dass Klangumsetzung von Biodaten, z.B. von Pilzen, die Leute wirklich bewegt. Einige Leute denken, Pflanzen sind tot, weil sie das von anderen gehört haben, und die Pflanzen bewegen sich doch nicht, oder? Aber das führt zu zahlreichen großartigen Gesprächen zwischen uns und den Zuschauern, bei denen beide Seiten etwas lernen.
 
Ein weiterer Aspekt von Biodaten, der uns wirklich interessiert, ist ihre Verwendung in haptischer Technologie. So können gehörlose Menschen diese fühlen, anstatt sie zu hören. Ich meine, es ist wirklich ganz besonders wichtig, einfach nur Empathie und Mitgefühl zu zeigen. Ich will jetzt nicht anfangen, über Politik zu reden und über alles, was derzeit passiert. Aber einfach mehr Bewusstsein in den Menschen zu erzeugen oder zumindest einen Dialog zu beginnen, das ist für mich interessant.
 
Sie haben mehrfach den Begriff “Bewusstsein” verwendet. Können Sie näher erläutern, was Sie damit meinen?
 
TT: Ich kann zwar nur aus eigener Erfahrung sprechen, aber ich denke, dass die Leute nicht wirklich darüber nachdenken, welche Auswirkungen sie auf eine Umgebung oder aufeinander haben. Im Laufe der Jahre habe ich mehr über Mikrobiome und die verschiedenen Arten von Biomen gelernt und es ist ungeheuer faszinierend, wie das aussieht und dass wir etwas sehen und offenbar auch hören können, wenn die Klangumsetzung von Biodaten hinzukommt. VR erscheint mir ein fantastisches Medium, mit dem man diese Visualisierungen zum Leben erwecken kann.
 
Bei meinen früheren Installationen ist es vorgekommen, dass Leute zu Tränen gerührt waren, was mich sehr überrascht hat. Anschließend erzählten sie mir, dass ihnen das nicht-menschliche Element in unserer gemeinsamen Umgebung nicht bewusst war. Wir tendieren dazu, uns davon zu entfernen. Wenn ich davon spreche, mehr Bewusstsein zu schaffen oder wenn ich einfach nur darauf hoffe, dass das eintritt, dann geht es darum, dass wir in der Tat diese gemeinsame Verbindung zu unserer Umwelt haben. Und zweifelsohne beeinflussen beide Seiten einander. Unser Einfluss auf diese Umwelt erfolgt nach dem Prinzip von Symbiose und Dysbiose.

Duft ist ein äußerst kraftvoller Input

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Ihre Perspektive bei diesem Projekt?
 
SLV: Alle kulturellen Aktivitäten, darunter auch, einfach nur das Zuhause zu verlassen und eine Installation anzusehen, sind heute erschwert. Ich bin wirklich neugierig, wohin es langfristig führt, wenn man so viel kulturelles Leben und Einflüsse verpasst, denn Kunst hat schließlich Auswirkungen auf den aktuellen Zustand der Gesellschaft. Ich denke, dass die Welt danach eine andere sein wird.
Sara Lisa Vogl
Sara Lisa Vogl | © SLV

 
Daher sehe ich es als Projekt, das in einem sehr, sehr schwierigen Zeitraum stattfindet. Es ist schon merkwürdig, da das Projekt VR als Medium verwendet, könnten die Leute dies theoretisch auch bei sich machen. Auf der anderen Seite wäre der ganze Myzelium-Aufbau ein bisschen zu viel für eine Installation zuhause. Zumindest besteht die Möglichkeit, diese Art von Dingen online zu machen, in Zukunft hoffentlich noch mehr.
 
Bei VR für Online-Unterhaltung scheint das größte Hindernis für sensorischen Input das Fehlen von Gerüchen zu sein. Wie passen Gerüche in ihr Projekt?
 
TT: Dafür haben wir sicherlich Ideen: Duftventilatoren in Kopfhöhe, damit man die Brise riechen kann. Ich bin keine Parfümeurin, aber ich verfüge über ein Repertoire von Düften, um bestimmte Gerüche zu erzeugen. Ich finde das extrem faszinierend. Das ist also ein Thema, was wir angeschnitten, aber noch nicht umgesetzt haben, so weit sind wir noch nicht.
 
SLV: Ja, Duft ist ein äußerst kraftvoller Input. Und ich denke, es könnte eine wunderbare Erweiterung des aktuellen Prototyps sein. Es funktioniert ausgezeichnet bei standortgebundener Unterhaltung, aber wie gesagt, diese Art von Unterhaltung ist derzeit nicht einfach. Damit diese Art von Erfahrungen von zuhause aus möglich ist, müssen erst einmal die entsprechenden Geräte entwickelt werden. Aber es gibt auch schon viele interessante Versuche, Geruch in VR-Umgebungen zu integrieren, die über standortgebundene Unterhaltung hinausgehen.
 
Was, hoffen Sie, werden die Besucher am Ende der Installation fühlen?
 
TT: Letztes Jahr habe ich an einer Künstlerresidenz in Australien teilgenommen. Dabei habe ich Gummibäume und anderes an meine Installation für Klangumsetzung angeschlossen. Das Gerät, was ich dafür gebaut hatte, kann Mikrofluktuationen in der Leitfähigkeit zwischen einem Tausendstel und einem Hunderttausendstel einer Sekunde messen. Es übersetzt sie in MIDI-Noten und MDI-Kontrolle. Das kann ich anschließend in einem Synthesizer oder etwas anderem kombinieren, damit es für uns hörbar oder fühlbar wird.
 
Es gab vor Ort ein riesiges Feld mit unglaublichen Blumen, den so genannten Telopea. Die Leiterin des Residenzprogramms schneidet sie normalerweise ab, aber ich meinte zu ihr: “Wir brauchen keine Blumen im Haus, wir können doch einfach aus dem Fenster auf die schönen Blumen schauen.” Ich schloss die Blumen an meine Installation an und die Leiterin hörte die “Blumenmusik”. Am nächsten Tag sah ich sie draußen mit ihrer Blumenschere, aber sie konnte mich nicht sehen, wie ich im Studio stand und sie beobachtete. Vorher hatte sie darauf bestanden, uns einen Strauß dieser unglaublichen Blumen hinzustellen. Aber jetzt stand sie mit geneigtem Kopf vor den Blumen und ließ ihre Schere fallen, denn sie konnte die Blumen nicht abschneiden. Wieder im Haus, kam sie zu mir und sagte: “Nachdem ich die Blumen gehört habe, kann ich das nicht mehr. Ich kann sie nicht mehr abschneiden.”
 
Ich wollte sie nicht ernsthaft daran hindern, Blumen für ein Bouquet zu schneiden. Aber meine Bemerkung hatte sie schon zögern lassen. Sie sah die Blumen an und fragte sich: “Ich schneide jetzt also dieses lebendige Ding ab, um es in eine Glasvase zu stellen, warum tue ich das eigentlich?”
 
Einer der Gründe, warum ich dieses Projekt mache, ist die Vorstellung, dass Leute normalerweise eine Umgebung genießen und sie dann wieder verlassen, aber dass sie vielleicht das nächste Mal, wenn sie irgendwohin in der Natur gehen, diesen Raum einfach anders betrachten.

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