Design aus Afrika
Gestalter des globalen Wandels

Amunga Eshuchi and Cyrus Kabiru „Big Cat“, 2012, Aufnahme aus der „C-Stunners“ Fotografie-Serie, Edition von 10
Amunga Eshuchi and Cyrus Kabiru „Big Cat“, 2012, Aufnahme aus der „C-Stunners“ Fotografie-Serie, Edition von 10 | Foto (Ausschnitt): Courtesy Ed Cross Fine Art Ltd, London, Foto: Amunga Eshuchi

Kann Design die Welt verbessern? Die Ausstellung „Making Africa – A Continent of Contemporary Design“ im Vitra Design Museum zeigt zukunftsträchtige und reflexive Positionen aktuellen afrikanischen Designs.

Sie heißen Caribbean Sun oder American Grill, die Brillenskulpturen des kenianischen Künstlers Cyrus Kabiru. Die futuristischen Sehgeräte empfangen die Besucher der Ausstellung Making Africa. Sie können als Symbol für einen neuen Blick auf Afrika stehen und ebenso als Metapher für unsere Klischees über den Kontinent, die so viel schwerer abzulegen sind als eine Brille.

Cyrus Kabiru „Caribbean Sun”, 2012, Aufnahme aus der „C-Stunners” Fotografie-Serie Cyrus Kabiru „Caribbean Sun”, 2012, Aufnahme aus der „C-Stunners” Fotografie-Serie | © Carl de Souza/AFP/Getty Images Afrika ist groß – und ebenso groß ist die Diversität seines Designs, seiner Kunst und seiner Kreativität. Die passt in kein Museum. Allenfalls in einen Kontinent, dessen immense geografische Dimensionen der Künstler Kai Krause mit einer Infografik in seiner Arbeit The True Size of Africa dem Besucher vor Augen führt. In den Umrissen des Kontinents haben die USA, Indien, China und noch ein paar weitere europäische Staaten Platz. Kuratorin Amelie Klein, unterstützt von Okwui Enwezor, dem Direktor des Hauses der Kunst in München und künstlerischer Leiter der 54. Kunstbiennale in Venedig, verbrachte zwei Jahre mit intensiver Recherche. Eine Auswahl treffen zu müssen, war frustrierend. „Im Konzept war von Anfang an klar, dass es keine Ausstellung über ‚das afrikanische Design‛ sein wird, nicht einmal eine Ausstellung über ‚das beste afrikanische Design‛ – das ist einfach unmöglich“, kommentiert Klein. „Was uns interessierte, war die Frage: Wie kann und soll Design den globalen Wandel begleiten und fördern?“

Von Afrika lernen

  • Kai Krause, „The True Size of Africa“ CC Creative Commons
    Kai Krause, „The True Size of Africa“
  • Expand Design „Splice”, 2012, Hocker © Ifeanyi Oganwu, courtesy Expand Design Ltd, Galerie Armel Soyer and Priveekollektie
    Expand Design „Splice”, 2012, Hocker
  • Cheick Diallo „Fauteil Sansa bleu”, 2011, Sessel/ chair © Cheick Diallo
    Cheick Diallo „Fauteil Sansa bleu”, 2011, Sessel/ chair
  • Ausstellungsansicht Raum 1, Prolog Foto: © Vitra Design Museum, Mark Niedermann
    Ausstellungsansicht Raum 1, Prolog
  • Chicoco Radio Station, Port Harcourt, Nigeria, entworfen von NLÉ Architects, 2014, Rendering © NLÉ Works Lagos, Amsterdam
    Chicoco Radio Station, Port Harcourt, Nigeria, entworfen von NLÉ Architects, 2014, Rendering
Während man in Europa beim Begriff Design meist an Industriedesign denkt, wird er in Afrika viel umfassender verstanden. In der Maker-Kulturtechnik des globalen Südens lösen sich die Grenzen zur Kunst auf. Bei einem hohen Grad an Informalität experimentiert man mit Methoden und Materialien, hackt und verwertet vorhandene Ressourcen und Technologien. Man improvisiert mit dem, was an Wissen und Material vorhanden ist, teilt und bezieht andere mit ein. „Machen“ unterwandert das Konzept industrieller, billiger Massenware. Der Ressourcenmangel ist zwar ein Problem, jedoch kein Hindernis, im Gegenteil: Er stachelt das Improvisationstalent und die Kreativität an. „Das ist ein anderer Zugang zu Design, bei dem der Gedanke des Samplings im Vordergrund steht – ein Begriff aus der Musik, der aber auch in der Bildenden Kunst als Collage bekannt ist. Das ist auch in Europa das neue Ding“, erklärt Klein, „hier kann Europa eine Menge von Afrika lernen!“

Ressourcenknappheit neu betrachtet

Zum Beispiel die großformatigen Wandteppiche von El Anatsui aus Ghana: Sie bestehen zum größten Teil aus gebrauchten Aluminium-Schraubverschlüssen und werden auf dem internationalen Kunstmarkt für eine Million US-Dollar gehandelt. Diese filigranen Kunstwerke sind nicht unter dem Begriff des Recyclings zu verbuchen, der in Europa noch immer den negativen Beigeschmack von Müll hat. Viel besser trifft das Sampling die Arbeitsweise, in der es darum geht, Materialien neu zu erkennen und umzufunktionieren. So erschafft Amadou Fatoumata Ba aus abgenutzten Autoreifen einzigartige Gebrauchsmöbel und Skulpturen und Cheick Diallo fertigt wundervolle Sessel aus umflochtenem Fischereidraht. Aus natürlichem Material baut Porky Hefer Sitzgelegenheiten und Architekt Francis Kéré realisiert das Centre de l`Architecture en Terre, ein Besucherzentrum in Mali, mit traditionellen und nachhaltigen Techniken wie dem Lehmbau.

Informalität und boomende Städte

Justin Plunkett „Skhayascraper”, Rendering, Limited Edition of 20, 2013 Justin Plunkett „Skhayascraper”, Rendering, Limited Edition of 20, 2013 | © Justin Plunkett. Courtesy The Cabinet, Cape Town Die boomenden afrikanischen Städte mitsamt ihren explodierenden informellen Sektoren stellen große Herausforderungen an eine junge Generation von Gestaltern. Dabei fallen die Antworten keineswegs pessimistisch aus. In ihrer Installation Jua Kali City zeigen Tahir Carl Karmali, Dennis Muraguri und Tonney Mugo, wie das kleine Zahnrad des informellen Sektors der Wellblechhütten das große Zahnrad, die formelle Stadt aus Glas, antreibt. Die Botschaft: Ohne den Einfallsreichtum der Makers, die den gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel ankurbeln, könnte die Glasstadt nicht vorwärts kommen. Unter den vielen Lösungsvorschlägen für Architektur und urbane Entwicklung seien hier stellvertretend die Projekte des Studio NLÉ von Kunlé Adeyemi in Nigeria genannt, die der wildwuchernden Stadt immer wieder menschliche Orte abtrotzen.

Smarte dezentrale Lösungen

Technologisch hochinteressante Innovationen kommen zum großen Teil aus Kenia. Beispielsweise der Geldtransferdienst M-Pesa. Mit ihm wird vieles möglich, wie bargeldlos einzukaufen oder Überweisungen zu tätigen – ganz einfach per SMS. Etwa 12,2 Millionen Personen in Kenia nutzen diesen Dienst, für den man kein reguläres Bankkonto besitzen muss. M-Pesa funktioniert mittlerweile schon in Tansania, Südafrika, Afghanistan, Indien und Rumänien. Dezentral arbeitet auch die von Bloggern und Programmierern entwickelte Plattform für Bürgerjournalismus Ushahidi. Sie sammelt und verbreitet Augenzeugenberichte von gewaltsamen Ereignissen in Krisenregionen und mittlerweile für alle Lebensbereiche, die per SMS oder Email gepostet werden. Ushahidi entwickelte auch BRCK, ein mobiles WiFi-Gerät, das ganz einfach mit einer SIM-Karte und Sonnenenergie funktioniert.

Fragen stellen

Gonçalo Mabunda „www.crise.com”, 2012, Thron, Collection Vitra Design Museum Gonçalo Mabunda „www.crise.com”, 2012, Thron, Collection Vitra Design Museum | Foto: © Vitra Design Museum, Jürgen Hans Auch Lagos verfügt über eine lebendige Start-up-Szene, die vor allem Spiele hervorbringt, zum Beispiel die App Bride-Price, die weltweit zwei Millionen Mal heruntergeladen wurde. Mit witzigen Fragen zur Feststellung des Brautpreises löst sie Diskussionen über den Sinn und Unsinn dieser Tradition aus. Kritisches Design bringt keine direkten Lösungen, es stellt zuerst einmal Fragen. Als Kommentar zur Gewaltbereitschaft afrikanischer Regime kann beispielsweise der „Waffenthron“ des Bildhauers Gonçalo Mabunda aus Mosambik gelesen werden. Er ist aus Gewehren, Raketenwerfern und Magazinen zusammengeschweißt. Welche Macht besitzt man, wenn man sich hier niederlässt?

Reflexives Modedesign

Ikire Jones „The Madonna”, aus der „The untold Renaissance” Serie, 2014, Einstecktuch Ikire Jones „The Madonna”, aus der „The untold Renaissance” Serie, 2014, Einstecktuch | © Walé Oyéjidé [ikirejones.com] Mit neuen ästhetischen Strategien präsentiert sich auch das afrikanische Modedesign: Traditionelle Stoffe, Muster und Themen werden demontiert und neu zusammengesetzt. Manchmal stellt es auch den kolonialen Blick in Frage. In ihrem Werk Waxprint Prison aus der Stoffdruckserie Who is Wearing My T-Shirt, beispielsweise setzt sich die deutsch-ghanaische Künstlerin Zohra Opoku mit Fragen nach Identität und dem kolonialen Erbe auseinander. Mit dem Prinzip des Samplings arbeitet auch das US-nigerianische Modelabel Ikiré Jones in der Serie The Untold Renaissance: Ihre Einstecktücher zeigen Motive von historischen Wandteppichen. Die weißhäutigen Personen sind allerdings durch dunkelhäutige Menschen ersetzt. So erzählt Ikiré Jones Geschichte aus afrikanischer Perspektive neu.

Ob in Stoffkreationen oder Stadtgestaltung – Making Africa wirft nicht nur neues Licht auf proaktives afrikanisches Design, sondern hinterfragt auch vorgefasste Meinungen. In den Umbruchzeiten des 21. Jahrhunderts können wir viel von Afrika lernen – wir müssen nur die Brille absetzen.
 

Ein umfangreicher Katalog mit einem ausführlichen Objektverzeichnis aller gezeigten Werke und weiterführenden Beiträgen begleitet die Ausstellung, die ab 2015 für 3 bis 5 Jahre auf Tournee sein wird.