Weibliche Genitalverstümmelung
Ein Instrument der Kontrolle

Swiss Club Kairo
Swiss Club Kairo | Goethe-Institut Kairo/Bernhard Ludewig

Wer glaubt, weibliche Genitalverstümmelung käme nur in afrikanischen oder islamisch geprägten Ländern vor, ist einem Irrtum erlegen. Die Praktik hat ihre Geschichte in Europa und den USA und ist damit ein globales Problem.

Der eurozentrischen Annahme weibliche Genitalverstümmelung würde nur in Afrika praktiziert, muss widersprochen werden, denn auch in der westlichen Welt war der männliche Wunsch nach der Kontrolle der Frau so groß, dass frauenfeindliche Maßnahmen angewendet wurden, um deren angebliche sexuelle Störungen zu heilen. Heutzutage wird die Praktik tatsächlich in erster Linie in Afrika südlich der Sahara, sowie auf der arabischen Halbinsel im Jemen praktiziert. Auch in vielen asiatischen Ländern wurde sie angewendet, beispielsweise in Sri Lanka und Indonesien, sowie in Teilen Lateinamerikas.

Der Begriff weibliche Genitalverstümmelung bezeichnet heute alle Prozeduren, die meist aus kulturellen Gründen vollzogen werden und eine partielle oder vollständige Entfernung der äußeren beziehungsweise inneren weiblichen Genitalien mit sich bringen. Beschneidung bedeutet die Entfernung der Klitoris oder der Klitorisvorhaut, während bei der massivsten Form abgesehen von der fast vollständigen Entfernung der inneren Geschlechtsteile die Vaginalöffnung zugenäht wird.

Derzeit sind schätzungsweise 138 bis 170 Millionen Mädchen und Frauen betroffen. Für die Frauen und Mädchen hat die Praktik zahlreiche akute und langfristige physische und psychische Folgen. Neben lebensgefährdenden Risiken, wie einem hohen Blutverlust bei der Amputation der Klitoris und chronischen Erkrankungen der Blase und der Nieren, entstehen außerdem psychische und psychosomatische Leiden, die lebenslange schwere Folgen für das eigene Körperempfinden und die Sexualität nach sich ziehen können.

Hintergründe zur Praktik

Im westlichen Kontext diagnostizierte Foucault den europäischen Gesellschaften im 18. Jahrhundert eine „Pathologie des Geschlechts“, die Sexualität als ein grundsätzliches und zu vermeidendes Übel stigmatisierte. Die Deutungsmacht über die weibliche Sexualität ging von den Klerikern auf die Ärzteschaft über, die wie die Kirchenoberhäupter ausschließlich aus Männern bestand. Neben der Bekämpfung der Masturbation im allgemeinen wurde der Körper der Frau und jegliche ihrer sexuellen Regungen pathologisiert und damit für krankhaft erklärt. Die Angst der Männer vor der Sexualität der Frau war so groß, dass sie „Frauenkrankheiten“ wie Hysterie, Lesbianismus oder Nymphomanismus erfanden und den betroffenen Frauen die Klitoris operativ entfernten.

Auch Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieser frauenfeindliche gesellschaftliche Trend beispielsweise durch Sigmund Freud weitergetragen, der die Klitoris als ein eigentlich „unnützes Organ“ bezeichnete, das beim Eintritt in die Geschlechtsreife seine Bedeutung verliere, da sich die Sexualität der Frau dann ausschließlich auf den ehelichen Geschlechtsverkehr beschränke. Noch bis Mitte des20. Jahrhunderts wurde die Entfernung der Klitoris oder Klitorisvorhaut als legitime Maßnahme zur Bekämpfung von vermeintlichen sexuellen Störungen durchgeführt und in medizinischen Lehrbüchern erwähnt.

In Ägypten ist die Praktik weltweit mit am weitesten verbreitet. Ihr Ursprung lässt sich auf vorislamische Zeit zurückdatieren, was verschiedene Mythen, in erster Linie aus pharaonischer Zeit, belegen. Dennoch hat die Praktik, trotz Einzug des Islams, der im Gegensatz zum Christentum alles andere als eine sexualfeindliche Religion ist, über die Jahrhunderte hinweg in der ägyptischen Gesellschaft Akzeptanz erlangt und wird heute mit verschiedenen Begründungsmustern legitimiert. Zum einen wird Hygiene als Begründung – analog zur männlichen Beschneidung – genannt, was jedoch jeglicher medizinischen Grundlage entbehrt. Außerdem werden religiöse Begründungen angeführt, die aber weder im Islam noch im Christentum eindeutig belegt sind. Grundsätzlich wird weibliche Genitalverstümmelung als wertvolle Tradition angesehen, die sicherstellt, dass ein Mädchen rein und keusch bis zur Ehe bleibt und ihre Sexualität auch in der Ehe unter Kontrolle gehalten wird. Das hat zur Folge, dass die Praktik zur Grundbedingung für eine Verheiratung wird, was viele unbeschnittene Frauen in größte ökonomische Bedrängnis bringen kann, da Heirat für sie ökonomische Stabilität bedeutet.

Der männliche Wunsch nach Kontrolle

Auf den ersten Blick scheinen die Begründungsmuster in Ägypten stark zu variieren und sich von denen in der westlichen Welt zu unterscheiden. Beim Versuch diesen Mustern auf den Grund zu gehen wird jedoch deutlich, dass es wie in den vergangenen Jahrhunderten in der westlichen Welt auch in Ägypten darum geht, durch die Kontrolle der weiblichen Sexualität die patriarchale Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten. Durch die Kontrolle der Frau behält das System die Kontrolle über die kleinste Instanz der Gesellschaft – die Familie – und somit über die Gesellschaft als Ganzes.

Die Tendenz der Befürworter und Gegner der Praktik, diese als vom Islam vorgeschrieben darzustellen, steht im Zusammenhang mit der über Jahrtausende verbreiteten patriarchalen Taktik, unter Zuhilfenahme der Religion die Herrschaft des Mannes über die Frau zu legitimieren. Die Tatsache, dass die Praktik in Ägypten auch von koptischen Christen und abgesehen von Ägypten in kaum einem anderen mehrheitlich islamischen Land praktiziert wird, ist ein weiterer Beleg dafür, dass es sich dabei nicht um eine religiöse, sondern eine patriarchale, frauenkontrollierende Tradition handelt.

Aus diesen Gründen ist die Annahme, dass es sich bei der Praktik um eine indigen afrikanische, ägyptische oder gar islamische Tradition handelt und ob die Praktik unter diesen Umständen beibehalten werden sollte, zu hinterfragen. Was die Perspektive der westlichen Welt betrifft, so wäre es an der Zeit von eurozentrischen und kulturrelativistischen Sichtweisen Abstand zu nehmen, um den interkulturellen Dialog auch bei schwierigen Themen für beide Seiten gewinnbringend und ehrlich führen zu können.

Publikation: Anna Kölling, Weibliche Genitalverstümmelung im Diskurs, Exemplarische Analysen zu Erscheinungsformen, Begründungsmustern und Bekämpfungsstrategien, Reihe: Reform und Innovation. Beiträge pädagogischer Forschung, Bd. 10, LIT Verlag 2009, ISBN 978-3-8258-1821-0, 19,90 EUR.