Comics und Graphic Novels
Nicht nur für Erwachsene

Graphic  Novels wieder im Fokus
Graphic Novels wieder im Fokus | Knaus Verlag/ Carlsen Verlag (Kollage)

Auch auf der Leipziger Buchmesse 2015 standen Graphic Novels wieder im Fokus. Wir haben uns zwei der Comicbücher mit Bezug auf den arabischen Kulturraum angeschaut.

Der kleine Riad ist ein putziges Kerlchen: „Lange, platinblonde Haare, unwiderstehliche tiefe Augen und ein Schmollmündchen.“ Riads Mutter ist Französin, sein Vater Syrer – und weil er als kleiner Junge von allen geliebt wird, merkt er schnell: „Ich war täglich nicht mehr als ein paar Stunden wach, aber das reichte: Ich wusste genau, wie man durchs Leben kam.“ Auf dieses, auf sein Leben blickt der Zeichner Riad Sattouf Jahrzehnte später zurück. Seine ebenso lehrreiche wie tragikomische Graphic Novel „Der Araber von morgen“ wird von der Kritik gefeiert.

Seit einigen Jahren werden Graphic Novels immer beliebter. Sie vereinen die Möglichkeiten, die ausführliche textliche Erzählungen bieten, mit der visuellen Kraft von Bildern und Farben – manche nennen sie Comics für Erwachsene. Auch die Leipziger Buchmesse im März 2015 widmete sich ausführlich dieser literarischen Form: Neben „Der Araber von morgen“ lag Jean-Pierre Filius Mitte 2014 erschienenes Werk „Der Arabische Frühling“ an den Ständen aus. Auch der deutsche Comiczeichner Reinhard Kleist stellte sein neues Buch „Der Traum von Olympia vor“.

Riad Sattoufs Buch ist aus mehreren Gründen spannend. „Es erläutert die islamische Welt in einem historischen Moment“, erklärt Andreas Platthaus, Redakteur und stellvertretender Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er hat das Buch aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt.

Bis er vier Jahre alt ist, wächst der goldgelockte Riad in Frankreich auf, wo sein syrischer Vater promoviert hat und Dozent werden will. Als das nicht klappt, kehrt er dem Land enttäuscht den Rücken und zieht mit Frau und Kind nach Libyen. Riads Vater ist eine sehr widersprüchliche Figur und dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi nicht unähnlich: „Er wollte immer eine moderne, aufgeklärte und gebildete arabische Welt. Er war aber in Wirklichkeit weder für Freiheit noch für Demokratie… Eine paradoxe Persönlichkeit, er wollte Bildung in die arabische Welt bringen, aber genauso träumte er davon, sie mit Brutalität zu regieren“, beschreibt Riad Sattouf, der Sohn und Comicautor.

Daher kommt auch der Titel: Riads Vater verehrte den „Araber von morgen“, seine Vision von gebildeten, mächtigen arabischen Männern – natürlich nur Männern. Doch weder in Gaddafis Libyen noch im Syrien des Hafez al-Assad, wohin die Familie nach einiger Zeit zieht, wird seine Vision Wirklichkeit. Übrigens war auch in Frankreich bei weitem nicht alles gut, das zeichnet und beschreibt Sattouf in seinem Werk. „Das Buch kommt sehr nah an das heran, was man einen perfekten Comic nennt“, sagt Literaturredakteur Platthaus. „Es verbindet Text und Bild auf unglaublich intelligente Weise. Auch die Schrift ist perfekt gewählt, sie suggeriert die kindliche Unschuld.“ In der Verknüpfung von Rückschau aus heutiger Perspektive und kindlicher Sicht von damals entsteht ein neuer Blick auf den arabischen und europäischen Kulturkreis.

Graphic Novels eignen sich für solche freieren Erzählweisen sehr gut. Das hat auch das Goethe-Institut Kairo erkannt, als es 2013 den deutschen Comickünstler Reinhard Kleist zu einem Workshop nach Ägypten holte. Kleists neues Werk „Der Traum von Olympia“ erzählt die Geschichte von Samia Yusuf Omar. Samia war eine somalische Kurzstreckenläuferin, die es trotz vieler Widrigkeiten schaffte, 2008 an den Olympischen Spielen in Peking teilzunehmen. Damit setzt die Graphic Novel ein: Samias Familie sitzt in einer Wellblechhütte in Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, vor dem Fernseher und fiebert mit. „Sie war als einzige der Läuferinnen dünn wie ein Strich, hatte ein Schlabbershirt und schlechte Turnschuhe an“, sagt Reinhard Kleist. Samia kommt weit abgeschlagen als letzte ins Ziel, aber das Publikum feiert sie. Die Familie ist stolz.

Doch die Realität holt sie schnell ein: Wieder zurück in Somalia, muss Samia in einem ausgebombten Stadion trainieren und sich gegen die Drohungen von Islamisten wehren. Sie entscheidet sich für die teure und vor allem gefährliche Flucht über Äthiopien, Sudan und Libyen nach Europa – um dort 2012 an den Olympischen Spielen in London teilnehmen zu können. Im April 2012 ertrinkt sie vor der Küste Maltas beim Versuch, über das Mittelmeer zu gelangen. Mit „Der Traum von Olympia“ ermöglicht Reinhard Kleist den Lesern einen neuen Blick auf die schrecklichen Dramen der Flüchtlinge. Zwar ist Samias Yusuf Omars Geschichte schon länger bekannt, aber der Zugang zu diesem Thema von globaler Tragweite ist neu.

Anspruchsvolle künstlerische Werke vermitteln immer auch die Hoffnung, sie mögen etwas bewirken. Dass Comics und Graphic Novels nicht im luftleeren Raum verpuffen, zeigen in aller Härte und Deutlichkeit die Anschläge auf die Charlie Hebdo-Redaktion vom 7. Januar 2015. Riad Sattouf hatte lange für die Pariser Satirezeitschrift gezeichnet, erst mit dem Erscheinen von „Der Araber von morgen“ wenige Wochen vor den Anschlägen hatte er dort aufgehört. Für die als Reaktion darauf erscheinende Sonderausgabe hatte er aber noch zwei kurze Comics beigesteuert. Denn mundtot machen lassen sich die Zeichner nicht, weder Sattouf noch Reinhard Kleist. Dafür ist ihre Arbeit als künstlerische Kommentatoren ihrer Zeit auch zu wichtig.