Feo Aladag
„Ich hätte Zwischen Welten niemals woanders als in Afghanistan gedreht“

Feo Aladag
Feo Aladag | ROMAN WALCZYNA

Zwischen Welten ist der neuste Film der Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Feo Aladag. Thematisch und geografisch in Afghanistan angesiedelt, behandelt er die schwierige Beziehung zwischen lokaler afghanischer Bevölkerung, deutschen Bundeswehrsoldaten und deren afghanischen Helfern. Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Afghanistan mit einem Schauspielkollektiv aus professionellen Schauspielern und Laiendarstellern.

Wie sind Sie auf die Idee zum Film "Zwischen Welten" gekommen?

Als ich 2002/2003 in den Recherchen zu meiner Arbeit für die Amnesty Kampagne Gegen Gewalt gegen Frauen versucht hatte, mir so viel Wissen wie möglich über die Scharia anzueignen, beschäftigte ich mich damals zwangsläufig auch mit Afghanistan. Je mehr ich las, je mehr Bildmaterial ich sah, desto weniger ließ mich dieses Land, seine Menschen und ihre Themen los. Direkt im Anschluss, ich recherchierte damals für das Drehbuch von DIE FREMDE, hing über meinem Schreibtisch das Pressefoto eines deutschen Soldaten im Auslandseinsatz in Afghanistan. Ich hatte es aufgehängt, weil die Lichtstimmung auf dem Bild so gut war, einfach weil es ein gelungenes Foto war. Und: Weil es mich irritierte. Es hatte etwas auf eine Art ungewohnt Verstörendes, einen deutschen Bundeswehrsoldaten in voller Kampfmontur in der Einsatzrealität des Kriegsschauplatzes Afghanistan zu sehen. Das Bild hing lange über meinem Arbeitstisch. Die Herstellung und Herausbringungsphase von DIE FREMDE dauerte ebenfalls sehr lange. Irgendwann hing dann über diesem Tisch ein anderes Bild. Aber die Gespräche und meine Gedanken darüber waren in vollem Gange. Was tut Deutschland in Afghanistan? Politische Karrieren wuchsen, rieben sich und scheiterten an der Reflexion über diesen Einsatz. Ist es Krieg? Dürfen wir das? Wollen wir das? Können wir das? Alles mehr als zulässige Fragen. Am Ende eines langen Abends, unter meist klugen Menschen, blieb dann aber unterm Strich oft nur die Absage an die Sinnhaftigkeit des Einsatzes in seiner Gesamtheit. Und somit auch die Negierung des tatsächlichen „Einsatzes“ jener Menschen, die ihm, legitimiert durch uns Bürger, dienten. Daraus wuchs in mir das Bedürfnis von der Leistung dieser Menschen, unserer Soldaten, jenseits jeder Kritik oder Legitimierung des konkreten Einsatzes, des politischen Auftrags und des Warums zu erzählen. Bei der Art und Weise der Berichterstattung schien es mir in Deutschland über einen langen Zeitraum an ehrlichem Respekt zu mangeln, das Interesse am individuellen Schicksal fehlte, die Empathie für die Schwierigkeit der Aufgaben, im Kleinen wie im Großen. Vieles davon schien durch eine Generalkritik am Einsatz in den Hintergrund gerutscht. Wie sollte in aller Selbstverständlichkeit damit umgegangen werden, dass auf einmal war, was nie wieder sein sollte – der kämpfende deutsche Soldat?

Je mehr ich im Rahmen meiner Drehbucharbeit recherchierte, vor allem durch meine Recherchereisen nach Afghanistan, umso stärker wurde mein Gefühl, dass so vieles in diesem Einsatz um ein scheinbar kaum lösbares und unendlich komplexes Dilemma kreist. Sowohl auf Seiten der deutschen Einsatzkräfte als auch auf Seiten der afghanischen Bevölkerung: Es geht um fast unüberwindlich scheinende Ängste, kulturelle Unterschiede, Vorurteile. Es geht um genauso unüberwindlich scheinende religiöse Unterschiede und es geht um Arm und Reich, um Haben oder nicht Haben. Je mehr ich von der afghanischen Realität in Teilausschnitten miterleben durfte, desto spürbarer wurden die Ängste und Nöte der Menschen in diesem Land für mich und desto mehr Gewicht bekam in der Entwicklung meiner Geschichte und des Drehbuchs die afghanische Seite. Es kristallisierte sich immer mehr eine konkrete Fragestellung im inhaltlichen Ansatz heraus: Wie ist es möglich, im Spannungsfeld der in solch einem Einsatz bestehenden Widersprüche der eigenen Verantwortung nachzukommen? Ein universelles Thema, das an vielen Orten der Welt zum Tragen kommt, aber an nur wenigen Orten so komplex erscheint wie in Afghanistan und der Einsatzrealität in diesem Land.

Ich wollte eine Geschichte erzählen, die das Dilemma vor Ort spürbar macht. Eine Geschichte, die uns leise erinnert – an die Verantwortung unserem eigenen Gewissen gegenüber.

Sie haben vor Ort in Kunduz und Mazar-i-Sharif gedreht. Wie gestalteten sich die Dreharbeiten, gab es dabei Probleme?

Sicherheit stand immer an oberster Stelle. Wir haben hauptsächlich in der sogenannten Blue Box gearbeitet. Die Blue Box ist ein Raum um Mazar-i-Sharif herum, der engmaschig luftüberwacht ist. Wir hatten afghanischen Schutz durch die ANP, die Afghan National Police, sowie durch den afghanischen Geheimdienst. Und die Bundeswehr wusste immer, wo wir sind. Wir standen in einem ständigen Austausch über die aktuelle Sicherheitslage mit allen.

Wenn was passiert wäre, dann wäre die Bundeswehr wohl auch da gewesen. Mein Team hat im Camp gewohnt, ich außerhalb. Wir hatten Informationen von allen Seiten, bevor wir wo hingefahren sind. Natürlich gab es Tage, an denen wir gesagt haben, da drehen wir heute lieber nicht. Es gilt in einem solchen immer, die Risiken sorgsam gegeneinander abzuwägen und verantwortungsvoll zu entscheiden.

Wir haben natürlich nicht unbedingt da gedreht, wo wir von Ressentiments wussten oder solche gespürt hatten. An den meisten Orten fühlten wir uns sehr warmherzig und mit viel Neugierde aufgenommen. Klar, es gab auch Dörfer, in denen eine andere Stimmung fühlbar war. Aber das kann dir auch hier in Deutschland in manchen Ecken passieren, wenn du Ali Hassan heißt. Wir sind nicht bewusst in jene Dörfer gegangen, in denen eine extreme Haltung gegenüber Ungläubigen oder allgemein gegenüber Medien herrschte. Schon gar nicht mit einem größeren Team. Generell haben wir alle in Afghanistan unendlich mehr Freundlichkeit und mehr Begeisterung gespürt als alles andere.


Authentizität auf vielen Ebenen

Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu Afghanistan bzw. der islamischen Welt?

Wer Afghanistan und die Menschen dort ein wenig kennt, der weiß, dass uns diese Stimmung, diese Kraft und die Poesie, die ihren Weg in den Film gefunden hat, dort geschenkt wurde von einem wundervollen Land und seinen Menschen. Soviel Lebensmut und Humor trotz all der Hoffnungslosigkeit und all der Traumata – das ist schon sehr beeindruckend.

Ich hätte „Zwischen Welten“ niemals woanders als in Afghanistan gedreht. Es ging mir nicht nur um die eben angesprochene Authentizität auf vielen Ebenen des Films, es ging mir auch ganz primär um ein Signal in der Entstehung des Films: Dass nämlich etwas geht, etwas möglich ist, miteinander, zwischen Deutschen und Afghanen, jenseits einer militärischen und sicherheitspolitischen Auseinandersetzung – dass wir zusammen etwas entstehen lassen können, in einem Team, Hälfte Afghanen, Hälfte Deutsche, das Menschen international berührt. Damit wollte ich ein Signal setzen, für alle Beteiligte dieses Konfliktes und vor allem für die Menschen in Afghanistan.

Nach welchen Kriterien haben Sie die deutschen und afghanischen Schauspieler ausgewählt?

Ich finde generell eine Mischung zwischen hochprofessionell arbeitenden Schauspielern und Laien sehr spannend. Unseren afghanischen Hauptdarsteller Mohsin habe ich auf einer Location-Recherche gefunden. Wir waren in seinem Dorf auf der Suche nach einem passenden Drehort. Hinter uns war eine Menschentraube, meine kleine Tochter mittendrin. Mohsin hatte seinen vierjährigen Neffen an der Hand, stand auf einmal hinter mir. Es war der berühmte erste Moment, der im Grunde den Ausschlag gab. Der erste Blick in Mohsins Augen Es hat sofort geklickt. Einen Tag später stand nach einem Casting mit Mohsin mein Beschluss fest, es mit ihm, dem jungen Mann, der noch niemals gespielt hatte, noch nie vor einer Kamera gestanden hatte, zu wagen. Ich hab es nie bereut. Das wichtigste in der Zusammenarbeit mit Laien ist Geduld, Humor, und das es okay ist, Fehler zu machen, dass man den Menschen die Angst vor dem Versagen nimmt. Sicherheit und Geborgenheit schenken, das ist wichtig, und nicht locker lassen, solange arbeiten, bis man das Ergebnis hat, das man sich wünscht. Ich wähle meine Schauspieler nach meinem Bauchgefühl aus. Entscheidend sind Lust am Spiel, eine authentische Persönlichkeit, Commitement und das innere Verständnis, dass diese unsere Berufe mit Geben und nicht mit Nehmen zu tun haben. Es geht um die Vision der Geschichte, der wir alle dienen und das was wir Menschen schenken möchten, die sich die Zeit nehmen, sich auf unser Arbeit und den fertigen Film einzulassen. Mich interessieren Schauspieler, denen es nicht um die eigene Eitelkeit sondern um das geschichtenerzählen geht. Der Kern unserer Arbeit ist der Wunsch nach dem in Verbindung-treten, der Wunsch nach Kommunikation.

„Nicht aber ist das Richtige aus der eigenen Perspektive das Gerechte für alle“

An einer Stelle im Film sagt einer der Hauptcharaktere, der afghanische Übersetzer Tarek: „Ich sah meinen Vater sterben, meine Familie hat viel durchgemacht, aber das ist mein Land. Afghanistan ist mein Zuhause. Wenn ich mich hier sicher fühlen würde, würde ich niemals gehen wollen.“ Eine Aussage und Situation die sicherlich auf viele der derzeit nach Europa kommenden Flüchtlinge zutrifft. Ist Ihr Film auch im Kontext der Flüchtlingsströme zu sehen?

Absolut. Niemand verlässt gerne seine Heimat, sein Zuhause, seine Familie, auf der Suche nach etwas Neuem. Es sind immer Zwänge, die Menschen antreiben, zu flüchten und ein neues Zuhause zu suchen. Das sollten wir alle niemals vergessen. Keiner tut das, weil es so lustig ist, alles aufzugeben und woanders neu anzufangen. Der Motor ist immer ein Defizit und die Hoffnung, dass es woanders besser ist.

Im Film kommt immer wieder die Thematik der Unterscheidung zwischen deutschen Soldaten und afghanischen Helfern auf. So berichtet Tarek dem deutschen Soldaten Jesper, dass er oft versucht habe ein Visa nach Deutschland zu erhalten, da er und seine Schwester mit dem Tod bedroht werden, doch die deutsche Regierung Beweise dafür verlangen würde, welche außer wirklich getötet zu werden, schwer erbringbar seien. In einer anderen Szene verwehrt das deutsche Oberkommando (OK) den Rettungshubschrauber für die schwer verletzte Schwester Tareks zu schicken, da sie Afghanin ist. Wohingegen das OK vorher Jesper gerügt hatte, da er keinen Rettungshubschrauber für einen leichter verwundeten deutschen Soldaten geordert hatte. Kritisieren Sie mit Zwischen Welten auch das Vorgehen des Auswärtigen Amtes bezüglich einheimischen Übersetzern und Anderen, die den Deutschen geholfen haben und deshalb nun selbst in Lebensgefahr schweben?

Es steht mir in keinsterweise zu, das AA in irgendeinem Vorgehen zu kritisieren. Im Gegenteil, meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass alle Beteiligten versuchen, nach Kräften das Richtige zu tun. Nicht aber ist das Richtige aus der eigenen Perspektive das Gerechte für alle. Wichtig ist, dass wir alle Ortskräfte, die uns unterstützt haben, auch unterstützen, wenn sie unsere Hilfe benötigen. Mit allen Konsequenzen und in jeder Hinsicht. Jedes anderes Signal wäre politisch und perspektivisch fatal.

Möchten Sie mit diesem Film eine Botschaft senden?

Ich erhoffe mir, dass der Film einen kleinen Teil dazu beiträgt, dass wir weder die Leistung unserer Soldaten noch die Menschen in Afghanistan vergessen. Dass er Fragen stellt, Fragen zum Stichwort Verantwortung aufwirft. Dass er an die Notwendigkeit von Bildung erinnert - vor allem und auch für Frauen. In Mazar gibt es viele Universitäten, an denen junge Frauen studieren. Es müssen noch viel mehr im ganzen Land werden, damit sich das Land stabilisiert. Nur durch Bildung haben die jetzt junge und die kommenden Generationen eine Chance, das Land wieder aus eigener Kraft aufzubauen und stabil zu halten.