Auszüge aus einem Porträt von Hito Steyerl
"Die kritischste Künstlerin der Welt" stellt in Budapest aus

MISSION ACCOMPLISHED: BELANCIEGE
© Giorgi Gago Gagoshidze, Hito Steyerl, Miloš Trakilović © Biró Dávid, Trafó Galéria, Budapest 2023

Die Nachricht ist wahr: Hito Steyerl, eine der wichtigsten Persönlichkeiten der globalen zeitgenössischen Szene, stellt in diesen Tagen tatsächlich in der Trafó Galerie, in Budapest aus. Sie ist ein Superstar der Kunstwelt, aber was bedeutet das? Wer ist Hito Steyerl, und warum kann sie doch nicht mit diesem Wort beschrieben werden?

Die gebürtige Münchnerin Steyerl (57) hat deutsche und japanische Vorfahr*innen und trägt das Erbe zweier Kulturen und zweier Kontinente in sich. Sie gestaltet ihr ganzes Leben sehr bewusst nach der Zielsetzung, die Funktionsmechanismen der Welt immer mehr zu verstehen. Bereits während ihrer Studienzeit besuchte sie viele Orte: Nach einem Studium am Japan Institute of Moving Image studierte sie Kamera sowie Dokumentarfilmregie an der Hochschule für Fernsehen und Film München und promovierte schließlich in Philosophie an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

Wird sie gefragt, wer sie während ihrer Studien am meisten beeinflusst habe, so nennt sie in der Regel zwei Namen: den deutschen Filmregisseur und Intermedia-Künstler Harun Farocki – der, ähnlich wie sie, halbasiatischer Herkunft ist – und den Filmhistoriker Helmut Färber. (Der vor neun Jahren verstorbene Farocki hat in der Spätphase seiner künstlerischen Laufbahn regelmäßig Medien- und Videoinstallationen für Museen und Galerien geschaffen. In diesen, wie auch in seinen essayistischen Filmen, ging er hauptsächlich der Semantik und den Entstehungsmechanismen von Bildern und den ihnen innewohnenden Machtstrukturen nach; diese Themen haben später auch in Steyerls künstlerischer Arbeit einen hervorgehobenen Stellenwert. Farockis Œuvre wurde erst vor einigen Monaten im Rahmen einer großangelegten Ausstellung in Budapest präsentiert, die vom Goethe-Institut und vom art quarter budapest organisiert wurde.)
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Mission Accomplished: BELANCIEGE © © Giorgi Gago Gagoshidze, Hito Steyerl, Miloš Trakilović: Mission Accomplished: BELANCIEGE, 2019. Ausstellungsfoto, Trafó Galéria, Biró Dávid © Trafó Galéria, Budapest 2023 © Künstler Mission Accomplished: BELANCIEGE © Giorgi Gago Gagoshidze, Hito Steyerl, Miloš Trakilović: Mission Accomplished: BELANCIEGE, 2019. Ausstellungsfoto, Trafó Galéria, Biró Dávid © Trafó Galéria, Budapest 2023 © Künstler
Aufgrund der regelmäßigen „Grenzüberschreitungen“ ist es in der Tat nicht einfach, Steyerls vielfältiges Schaffen in Genres einzuordnen: Nicht zufällig stößt man in jedem Lexikon und in jeder Beschreibung auf jeweils unterschiedliche Definitionen und Einstufungen ihrer Tätigkeitsfelder. Anlässlich ihrer Budapester Ausstellung zum Beispiel wurde sie vom Goethe-Institut als Filmregisseurin, bildende Künstlerin und Schriftstellerin beschrieben; bei Wikipedia figuriert sie als Filmemacherin, Autorin und Meisterin essayistischer Dokumentarfilme; laut der Website ihrer heimischen Universität in Berlin bewege sich ihre künstlerische Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Film sowie von Theorie und Praxis. (Bezüglich ihrer filmischen Tätigkeit ist interessant anzumerken, dass sie ihre ersten beruflichen Schritte auf diesem Gebiet 1990–91 anlässlich der Dreharbeiten zu „Bis ans Ende der Welt“ als Mitarbeiterin an der Seite von Wim Wenders unternommen hat.)

Die Themen, die sie immer wieder oder auch aktuell als Reaktion auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Phänomene beschäftigen und zu denen sie meist in Videos, digitalen Animationen und Installationen Stellung bezieht, sind so zahlreich, dass es kaum möglich ist, sie hier alle aufzulisten. So seien hier nur einige oft aufgegriffene Sujets als Kostproben erwähnt, beginnend mit so großen Themen wie der Globalisierung, der Verflechtung von politischen und wirtschaftlichen Vorgängen, Wirtschaftskrisen und Kriegen, der Rolle der Rüstungsindustrie, der Auswirkungen der Digitalisierung, der Möglichkeiten und Gefahren der künstlichen Intelligenz bis hin zur Cyber-Überwachung; all diese und weitere Themen sowie deren Einfluss auf die künstlerische Sphäre werden von Steyerl unter die Lupe genommen.

Hito Steyerl ist eine äußerst professionelle Geschichtserzählerin und behandelt auch die schwierigsten und ernstesten Themen mit einer Prise Humor und Ironie, oft mittels sehr spektakulärer, immersiver Installationen. Dabei werden die reale und eine spekulative Welt, trockene und unterhaltsame Theorie, die „Gesellschaftsdiagnose“ und eine Traumwelt meisterhaft miteinander vermengt. Unter ihren in den letzten Jahren vorgestellten Installationen haben „Factory of the Sun“ oder „SocialSim“ bereits ikonischen Status. „Factory of the Sun“ stellt Manipulationen der Deutschen Bank an den Pranger und wurde 2015 auf der Biennale von Venedig erstmalig ausgestellt; mit „SocialSim“ aus dem Jahr 2020 richtet sie ihr kritisches Augenmerk auf die Auswirkungen, die die Digitalisierung, die Simulation und die künstliche Intelligenz auf die künstlerische Kreativität ausüben.
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MISSION ACCOMPLISHED: BELANCIEGE © © Giorgi Gago Gagoshidze, Hito Steyerl, Miloš Trakilović: Mission Accomplished: BELANCIEGE, 2019. Ausstellungsfoto, Trafó Galéria, Biró Dávid © Trafó Galéria, Budapest 2023 © Künstler MISSION ACCOMPLISHED: BELANCIEGE © Giorgi Gago Gagoshidze, Hito Steyerl, Miloš Trakilović: Mission Accomplished: BELANCIEGE, 2019. Ausstellungsfoto, Trafó Galéria, Biró Dávid © Trafó Galéria, Budapest 2023 © Künstler
In der aktuellen und noch bis zum 7. Mai zugänglichen Ausstellung „MISSION ACCOMPLISHED: BELANCIEGE“ der Galerie Trafó wird eine vom Künstlerteam Giorgi Gago Gagoshidze (Georgien), Hito Steyerl und Miloš Trakilović (Bosnien-Herzegowina) erstellte Videoinstallation gezeigt, die auf der 2019 vorgestellten gemeinsamen Performance im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) basiert. (Gagoshidze studierte bei Steyerl in Berlin und auch Trakilović kam während seines dortigen Studiums mit ihr in Kontakt.)

Fast auf den Tag genau dreißig Jahre nach dem Berliner Mauerfall reflektiert die Präsentation die Umwälzungen nach 1989 und die politische Neustrukturierung der ehemals sowjetischen Einflusszone sowie die Zusammenhänge zwischen Kultur und Populismus; auch werden darin die Mechanismen einer nach der „Privatisierung“ des ehemaligen Ostblocks entstandenen Kultur des Oligarchen-Kapitalismus in einem breit gefassten Kontext untersucht. Im Zentrum der Reflexionen steht die Luxusmarke „Balenciaga“, durch deren Betrachtung die Zusammenhänge zwischen Mode, Trends, sozialen Medien und politischen Prozessen – gemeint sind hier der Erfolg der Alt-Right-Bewegungen, die Manipulationen der amerikanischen Präsidentenwahlen, die auch den Wahlsieg von Donald Trump ermöglichten, oder die immer stärkere Präsenz der populistischen und neoliberalen Politik in den Ländern des ehemaligen Ostblocks – entwirrt werden. Die Galerie Trafó bietet während der Ausstellung zahlreiche Begleitprogramme an, die den Besucher*innen ermöglichen sollen, den Kontext des Werks detaillierter kennenzulernen.
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In voller Länge ist der Artikel auf Ungarisch hier zu lesen: „A világ legkritikusabb művésze” állít ki Budapesten. Portré Hito Steyerlről – A mű (hvg.hu)

 

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