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Die politischen Gruppierungen des Europäischen Parlaments

Die politischen Gruppierungen des Europäischen Parlaments
Die politischen Gruppierungen des Europäischen Parlaments | © Mérték Médiaelemző Műhely

Die Union in den Händen der Wählerinnen und Wähler

Das Europäische Parlament ist ein demokratisch gewähltes Organ der Europäischen Union, deren Mitglieder von den Unionsbürgerinnen und -bürgern alle fünf Jahre direkt gewählt werden. Durch die Wahl – aktuell die größte supranationale Wahl der Welt – können die Wählerinnen und Wähler grundlegenden Einfluss darauf nehmen, welche Richtung Europa im folgenden halben Jahrzehnt einschlagen soll, schließlich teilt sich das Parlament die Gesetzgebungsfunktion mit dem Rat und spielt auch in Bezug auf die Wahl der Kommission eine maßgebliche Rolle. Aber wie setzt sich das Europäische Parlament zusammen? Welchen politischen Gruppierungen kann man seine Stimme geben? Und wie fungieren diese im Europäischen Parlament?
 
Wenngleich die Wahl selbst supranational ist, können bei der Wahl aktuell nur nationale Parteien gewählt werden. Zwar wurde die Möglichkeit einer direkten Wahl von Parteien auf Unionsebene anstatt von nationalen Parteien in den Raum gestellt – schließlich wäre es logisch, wenn die unionspolitischen Gruppierungen beeinflussen könnten, wer die Kandidatinnen und Kandidaten sein sollen –, doch diese Konzeption bleibt vorerst ein Entwurf. Allerdings schließen sich die nationalen Parteien zu europäischen politischen Parteien zusammen und die gewählten Unionsabgeordneten bilden politische Fraktionen für die Unionsgesetzgebung.

Die meisten Befugnisse kommen den Fraktionen zu

In erster Linie schließen sich die nationalen Parteien aufgrund ihrer politischen Werteordnungen und Weltanschauungen zu europäischen politischen Parteien zusammen, wobei die Bildung der Parlamentsfraktionen schon etwas komplexer ist. Einerseits ist nicht jede nationale Partei Mitglied in einer europäischen politischen Partei und nicht jede europäische politische Partei hat eine Fraktion im Europäischen Parlament, andererseits erfolgt der Beitritt zu einer Fraktion im Parlament nicht ausschließlich auf Basis von Werteordnungen, sondern auf Basis der Machtlogik. Im Parlament kommt der Großteil der Befugnisse nämlich den Fraktionen zu: Die Fraktionsvorsitzenden bilden das Parlamentspräsidium, nominieren den Präsidenten oder die Präsidentin, die Vizepräsidenten oder Vizepräsidentinnen, die Vorsitzenden der Ausschüsse und andere Amtsträgerinnen und -träger, außerdem entscheiden die Fraktionen über die Verteilung der Gesetzgebungsaufgaben und der Berichte. Genau aus diesem Grund steht eine Fraktionsmitgliedschaft im Interesse der nationalen Parteien wie auch der Abgeordneten, die es ins Parlament geschafft haben. Auch steht es im Interesse der Fraktionen, über möglichst viele Mitglieder zu verfügen: Je größer eine Fraktion, desto größer auch ihr Einfluss bei der Verteilung der Positionen, Aufgaben und finanziellen Mittel. Laut der Hausordnung gibt es Regeln bezüglich der Fraktionsbildung, für diese bedarf es nämlich mindestens 25 EU-Parlamentsabgeordneter aus mindestens 7 Ländern.
 
Gerade deshalb beginnen sofort nach den Europawahlen die Verhandlungen zwischen den bestehenden Fraktionen und jenen nationalen Parteien beziehungsweise EU-Parlamentsabgeordneten, die es ins Parlament geschafft haben und kein Mitglied einer europäischen politischen Partei sind, ideologisch gesehen aber der jeweiligen Fraktion nahestehen. Nach vielen Wahlen kommen neue, früher nicht dagewesene Fraktionen  zustande – vor allem, wenn eine oder mehrere größere Parteien es neu ins Parlament geschafft haben, die eine eigene Fraktion bilden wollen und stark genug sind, um auch Abgeordnete anderer nationaler Parteien für sich zu gewinnen.

Fraktionen und Koalitionen

In der jetzigen Wahlperiode 2014-2019 bilden die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) mit 217 sowie die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) mit 186 Abgeordneten die zwei größten politischen Gruppierungen: Zusammen kommen die beiden Fraktionen auf zirka 53% der Parlamentssitze und verfügen jeweils über Abgeordnete aus sämtlichen Mitgliedsländern. Die kleineren Fraktionen vertreten natürlich weniger Länder und verfügen über weniger Abgeordnete. Die Fraktionen in absteigender Größe:
 
Parlamentsfraktionen Anzahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament Anzahl der vertretenen Länder
Europäische Volkspartei (EVP)
217
28
Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D)
186
28
Europäische Konservative und Reformer (EKR)
75
19
Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE)
68
22
Grüne/Europäische Freie Allianz (Greens/EFA)
52
18
Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)
52
14
Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD)
41
7
Europa der Nationen und der Freiheit (ENF)
37
8






















Die politische Palette im Europäischen Parlament ist sichtlich vielfältig, allerdings hat keine einzige Parlamentspartei die Mehrheit. Im Zuge der Einigungsgespräche und Abstimmungen kommt die Große-Koalition-Logik häufig zum Tragen, die politischen Gruppierungen gehen prinzipiell aufgrund ihrer Werteordnungen, Prioritäten beziehungsweise des gerade verhandelten Themas Gelegenheitskoalitionen ein, um sich die Mehrheit zu sichern.

Grenzlinien im Wandel und stabile Grundwerte

Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass in wirtschaftlichen Fragen die Mitte-Rechts-Parteien wie beispielsweise die EVP, EKR oder auch ein bestimmter Flügel der ALDE einen liberalen Standpunkt vertreten und auf die Regulierungskraft des Marktes vertrauen, während die Mitte-Links-Parteien eher auf die regulierende Rolle der Kommission oder der Mitgliedstaaten bauen. Während die eher links angesiedelten Parteien zum Beispiel in Fragen der Menschenrechte oder sozialen Rechte grundsätzlich an eine weite Auslegung glauben, sind eher rechts angesiedelte Parteien tendenziell Verfechter einer engeren Auslegung. Diese Grenzen können heute jedoch nicht mehr so eindeutig gezogen werden, vor allem deshalb, weil die Werteordnungen der Mitgliedstaaten beziehungsweise der dort lebenden europäischen Bürgerinnen und Bürger mitunter sehr verschieden sind. Eine rechte Partei aus einem nordeuropäischen Land versucht womöglich mehr „linke“, soziale Werte geltend zu machen als eine linke Partei aus einem osteuropäischen Land. In bestimmten Ländern ist die Politik traditionell gesehen „grüner“ (zum Beispiel in Österreich) als in anderen Mitgliedsländern, weshalb es vorkommen kann, dass hier selbst eine konservative Partei einen „grüneren“ Standpunkt im Hinblick auf Umweltschutz, Klimapolitik oder Atomenergie vertritt, als das in einem anderen Land der Fall wäre. In den verschiedenen europäischen Ländern liegt also die politische Balance entweder etwas rechts oder etwas links von der politischen Mitte.
 
Nichtsdestotrotz gibt es Grundwerte, hinsichtlich derer sich die Parteien der Europäischen Union einig sind: Solche Grundwerte stellen zum Beispiel Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit dar. Diese Werte sind elementar und unbestreitbar. Ebenso unbestreitbar ist für die meisten politischen Parteien auch eine proeuropäische Haltung, was natürlich keine kritiklose Akzeptanz bedeutet. Die Europäische Union ist ein gemeinsames Unterfangen, dessen Ausbau, Tätigkeit, ja, Erfolg prinzipiell im Interesse jedes Landes und der meisten politischen Parteien steht, allerdings hat keine der Parteien die Mehrheit, weder im Parlament noch im Rat. Aus diesem Grund bildet eines der Leitprinzipien der Unionsinstitutionen die Kompromissbereitschaft beziehungsweise Kompromisssuche.

Kompromisssuche und Euroskeptizismus

Die Mehrheit der Parteien und Abgeordneten im Parlament versucht ihm Rahmen ihrer Arbeit, im Parlamentsbetrieb, bei der Gesetzgebung oder der politischen Meinungsbildung jenen gemeinsamen Nenner zu finden, der die meisten politischen Seiten zufriedenstellt. Als Ergebnis der Kompromisssuche sind sie bestrebt den jeweiligen Berichten oder Rechtsnormen größtmögliche Unterstützung zu sichern.
 
Natürlich bestätigt auch hier die Ausnahme die Regel: Im Parlament gibt es mehrere Fraktionen, die sich als Euroskeptiker präsentieren. Diese setzen sich hauptsächlich aus rechtspopulistischen Parteien zusammen, welche die europäische Integration teilweise oder gänzlich ablehnen und das Pfand der Zukunft wieder in der Existenz der Nationalstaaten suchen. Ihre Haltung unterscheidet sich grundlegend von jener der anderen: Sie sind weniger aktiv in der Arbeit im Parlament und selbst ihre Aktivität ist größtenteils eher auf die Zerstörung und Zerrüttung des aufgebauten Unionssystems ausgerichtet. Solche Fraktionen im Europäischen Parlament sind aktuell EFFD (beziehungsweise ein Teil davon) sowie ENF – diese Gruppierungen verbindet in erster Linie Europafeindlichkeit und starker Nationalismus. Die Unterschiedlichkeit der in diesen Fraktionen vertretenen nationalen Delegationen zeigt sich Tag für Tag, schließlich gibt es praktisch keine Werteordnung, die sie verbinden würde: Ihre Interessen gehen weit auseinander, vertreten sie doch ausschließlich die vermeintlichen Interessen ihrer eigenen Nation. Die Raumgewinnung der antieuropäischen Parteien ist deshalb gefährlich, da, während in einer sich globalisierenden Welt erwiesenermaßen lediglich eine sich durch innere Zusammenarbeit auszeichnende Europäische Union imstande ist, Europa an der Weltspitze zu halten, diese auf ein populistisches Fundament bauenden politischen Gruppierungen immer offenbarer an der Zerstörung der Europäischen Union arbeiten. Dadurch gefährden sie langfristig gesehen die Einheit der Europäischen Union sowie den Frieden zwischen den europäischen Nationen.

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