Soziale Architektur
Stroh, Lehm und Hightech

Hello Wood experimentiert mit einfachen, praktischen und zugleich qualitativen Bauwerken
Hello Wood experimentiert mit einfachen, praktischen und zugleich qualitativen Bauwerken | Foto: © Talabér Géza

Der Architekt Péter Pozsár möchte Missstände in Ost-Ungarn lindern: Sein Modulhaus-Konzept verspricht finanzierbare Wohnhäuser und ein Mittel gegen hohe Arbeitslosigkeit.

In Ungarn wird mit dem privaten Hausbau eher Negatives assoziiert: hohe Kosten, Konflikte mit Bauunternehmen, erschöpfte Familienmitglieder. Vor allem die finanzielle Belastung schreckt die Ungarn ab.

Olcsóház – eine Chance für Viele

Ein neues Projektvorhaben bietet nun eine preiswerte Alternative für Bauwillige. Zur Zielgruppe gehören unter anderem junge Akademiker, deren monatliches Nettogehalt oft nur etwa 100.000 bis 150.000 Forint (circa 340 bis 510 Euro) beträgt. Sie haben fast keine Chance, zum Beispiel eine 50.000 Euro teure Budapester Immobilie zu erwerben.

Das erklärt auch, warum Péter Pozsár sein Projekt „Olcsóház“ nennt – übersetzt „Billighaus“.In Westeuropa wird mit der Bezeichnung „billig“ oft ein Mangel an Qualität assoziiert. Ein wesentliches Fundament traditioneller osteuropäischer Kreativität hingegen ist das Prinzip, dass man mit den Dingen arbeitet, die man zur Verfügung hat, und dies auf die günstigstmögliche Weise. Die Entwickler des „Billighauses“ haben in diesem Sinne eine architektonische Lösung entwickelt, die zwar nicht für immer währt – ein solches Haus hat eine Lebenserwartung von etwa 30 Jahren –, in der jedoch zwei Generationen aufwachsen können.

Neue Kombination alter Techniken

Der Architekt Péter Pozsár ist neben seiner Tätigkeit als Dozent an der Budapester Moholy-Nagy-Universität für Kunst und Design vor allem als Mitbegründer des Architektur-Projekts Hello Wood bekannt. Im Jahr 2009 hatte er eine Idee, wie man die ungarische Bauindustrie neu beleben und darüber hinaus günstige soziale Veränderungen herbeiführen könnte. „In den Ausschreibungen der Europäischen Union habe ich an immer mehr Stellen gelesen, dass dort Konzeptionen, in denen bestehende Elemente zu ungewohnten Kombinationen zusammengefügt werden, als Forschungsentwicklung willkommen sind“, erzählt der Projekt-Initiator. „Das bedeutet, dass die EU es auch fördert, wenn jemand bereits bestehende Ideen und Traditionen miteinander kombiniert. Zum Beispiel das traditionelle ungarische Lehmziegel-Schlagen mit der modernen Betonbauweise.“

Das Konzept Pozsárs – der, aufgewachsen an der serbischen Grenze, wohl vertraut ist mit den Schwierigkeiten randständiger Regionen und den Möglichkeiten ländlicher Bauweisen – fußt auf der einfachen Feststellung, dass Ungarn außerordentlich reich ist an traditionellen Baurohstoffen wie Lehm, Stroh, Schilf, Stein und Ton. Nicht zufällig besaß das Land um die Jahrhundertwende die meisten Ziegelfabriken von ganz Mittelosteuropa. Nach wie vor ist die ungarische Ziegelindustrie eine exportfähige Branche. Auch traditionelle Herstellungstechniken für Bauelemente sind hier bis heute präsent.

Ortsansässige montieren selbst

Ungarns wirtschaftlich und sozial rückständigste Region ist das Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén im Nordosten des Landes. Daher konzentriert sich das Modulhaus-Projekt auch vorrangig auf dieses Gebiet. Ortsansässige sollen die Möglichkeit erhalten, sich aus heimischem Material selbst ihre Häuser zu bauen. Die Errichtung eines solchen Gebäudes würde weniger als 20.000 Euro kosten: In lokalen Betrieben sollen Module vorgefertigt werden, die von den Ortsbewohnern nach entsprechender Schulung einfach zusammenmontiert werden können. So kann auf Subunternehmer verzichtet werden, die oft hohe Zusatzkosten verursachen.

Das zum Bau eines Modulhauses notwendige Fachwissen kann im Rahmen einer einfachen Schulung vermittelt werden. Die neuen Fähigkeiten und die örtliche Bauaktivität können auch dazu beitragen, die steigende Arbeitslosigkeit bei der ländlichen Bevölkerung zu senken sowie soziale Spannungen zu verringern und der stetigen Abwanderung der jüngeren Generation entgegenzuwirken.

Gemeinschaftsbildende Wirkung

Zudem fördert das Programm die gesellschaftliche Integration: Die Häuser lassen sich nämlich nur mit vereinter Kraft aufbauen. Das heißt: Alle beteiligten Ortsbewohner müssen zusammenhalten und sich gegenseitig helfen.

Die Modulhäuser bedürfen ständiger Pflege; da aber die örtliche Bevölkerung die notwendige bautechnische Einweisung erhält, kann dies gemeinschaftsbildende Wirkung haben nach dem Prinzip: „Wenn ich deinen Zaun repariere, wirst du mir dann mal helfen, meine Fensterrahmen auszuwechseln.“ Diese Form der gegenseitigen Hilfe ist in der dörflichen Lebensform tief verwurzelt. Auf diese Weise funktionierte etwa im vergangenen Jahrhundert die Schweineschlachtung im ländlichen Ungarn: Die Dorfbewohner teilten die daraus stammenden Lebensmittel immer untereinander auf, und so hatte jeder etwas zu essen.

Innerhalb eines Projekts können so Design, Forschung, das Übernehmen gesellschaftlicher Verantwortung sowie der Ausbau von Infrastruktur miteinander verknüpft werden. Und für all dies muss nichts Neues erfunden werden; es reicht, bereits bestehende Technologien – Lehmziegel-Schlagen und Strohdämmung auf der einen und Modulbauweise sowie Sonnen- und Windenergie auf der anderen Seite – miteinander zu verbinden.

So werden etwa die vorgefertigten Module mit der modernsten CNC-Methode (Computerized Numerical Control) hergestellt - und zwar derart, dass auch regionale Materialien (Schilf, Lehm, Stroh) Verwendung finden, etwa in der Dämmung. Und der Lehmziegel könnte sich sogar zu einem herausragenden Exportartikel der Region entwickeln, falls es gelingt, ihn in den in der Ökoarchitektur führenden Ländern wie Deutschland oder Österreich zu vermarkten.

Von der Idee zur Verwirklichung

Wenn die Vorstellungen von Péter Pozsár und seinem Team Wirklichkeit werden, dann entstehen zwischen 2015 und 2021 rund 7.000 Häuser, jeweils innerhalb einer kurzen, drei bis fünf Wochen dauernden Bauzeit. Und diese Zahl kann noch weiter steigen, werden doch nach dem Verband ungarischer Hausbauer jährlich schätzungsweise 40.000 neue Wohneinheiten benötigt.

Bevor das Programm starten kann, ist noch einiges an Forschung und Entwicklung zu leisten – die erwarteten Kosten belaufen sich auf circa 65.000 Euro. Dabei sollen auch die soziale und ökonomische Situation der Zielsiedlungen und die Bedürfnisse ihrer Bewohner eingehend analysiert werden. Zwar wurde die Idee vor drei Jahren schon informell den Abgeordneten des ungarischen Parlaments vorgestellt, doch konnte die Forschung mangels finanzieller Mittel bislang nicht anlaufen.

Pozsár und seine Mitstreiter sehen die Modulhäuser als gute Lösung für arme wie für junge Menschen. Für die zwei geplanten – aus sechs bis sieben Wohnhäusern bestehenden – Muster-Siedlungen können sich Familien von überall her bewerben. Das ungarische Olcsóház-Projekt wartet jetzt darauf, endlich starten zu können. Wer dazu beitragen kann, möge mit den Initiatoren in Kontakt treten.

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