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Max Muellers und seine Zeitgenoss*innen
Die vergleichende Religionswissenschaft im 19. Jahrhundert

The study of comparative religion went through its most defining phase in the nineteenth century, with academic scholars and popular writers globally engaging in it. This piece examines Mueller and his contemporaries’  contributions to the field, evaluating his relevance and influence in both contemporary and historical discourse.

Von Mriganka Mukhopadhyay

Die Bedeutung Max Muellers

Max Mueller (1823-1900), ein deutscher Philologe und Indologe, der an der Universität Oxford lehrte, ist eine der Schlüsselfiguren in der Entwicklung der vergleichenden Religionswissenschaft als akademischer Disziplin. Er ist, neben seinen weiteren Werken, bekannt für die Übersetzung des Rigveda und der Upanishaden aus dem Sanskrit ins Englische. Seine Beschäftigung mit der altindischen Sprache und den indischen Religionen aus komparativer Perspektive verhalf der Indologie zu nie gekannter Prominenz auf der Weltbühne. Westliche Gelehrte und religiöse Sinnsuchende entwickelten ein reges Interesse am Studium des Hinduismus sowie der vormodernen indischen Sprachen. Die Übersetzung alter religiöser und philosophischer Texte aus diesen Sprachen ins Englische war entscheidend für die Herausbildung der vergleichenden Religionswissenschaft als akademischer Disziplin. Neben anderen Gelehrten wie William Jones, Charles Wilkins, Horace Hayman Wilson und Sir Monier Monier-Williams, spielte Max Mueller eine entscheidende Rolle für die Übersetzung, Erhaltung und Verbreitung von Texten auf Sanskrit, Pali, Tamil und anderen indischen Sprachen. Die meisten dieser Kollegen stammten aus dem britischen Verwaltungs- oder Bildungswesen – ein Beleg für die Verstrickung der damaligen religionswissenschaftlichen Studien und Übersetzungsarbeiten in das britisch-kolonialistische System der Wissensproduktion. Sie dienten zuvorderst imperialistischen Interessen und machten den Kolonialismus zu einem entscheidenden Faktor in der Entwicklung der vergleichenden Religionswissenschaft.

Max Muellers Interesse am Studium der vergleichenden Religionswissenschaft erwuchs vor dem Hintergrund des Deutschen Idealismus. Dieser, sowie der Orientalismus, formten das Bild verschiedener alter Religionen unter den Gelehrten Kontinentaleuropas im 19. Jahrhundert. Während in Max Muellers Heimatland die Indologie eine Führungsrolle einnahm, wuchs auch in den Niederlanden das Interesse an asiatischen Religionen. Zwei bedeutende niederländische Gelehrte, Cornelius Petrus Tiele und Pierre Daniel Chantepie de la Saussaye, waren dabei richtungsweisend. Sie studierten mehrere asiatische Religionen aus komparativer Perspektive und trugen erheblich zur Etablierung der vergleichenden Religionswissenschaft als akademischer Disziplin in den Niederlanden des späten 19. sowie frühen 20. Jahrhunderts bei. All diese gelehrten Anstrengungen begründeten in ihrem Zusammenspiel die europäische Hegemonie in der wissenschaftlichen Untersuchung „orientalischer“ Religionen, die über das 20. Jahrhundert hinaus wirksam blieb.

Obwohl Max Mueller Indien nie besuchte, stießen seine Arbeiten auf das Interesse von indischen Aktivisten, die eine Neuinterpretation des Hinduismus anstrebten. Er stand in enger Beziehung zu Persönlichkeiten in Bengalen wie Keshab Chandra Sen, dem Führer der Brahmo Samaj. Max Mueller schrieb eine Biografie über den berühmten Hindu-Mystiker Sri Ramakrishna und war eine wichtige Quelle für Swami Vivekananda, der die westliche Wahrnehmung des Hinduismus maßgeblich prägte – auf der Basis von Max Muellers Schriften. Bis heute ist Max Muellers Einfluss auch auf moderne Interpretationen des Hinduismus allgegenwärtig, sowohl im akademischen, wie auch im populären Diskurs.

Die Religionskritik des Max Mueller

Ein Ausschnitt aus „Scholar Extraordinary“ von by Nirad C. Chaudhuri
© Chatto & Windus
Ein Ausschnitt aus „Scholar Extraordinary“ von by Nirad C. Chaudhuri

Trotz seines „außergewöhnliche[n] Gelehrtenleben[s]“ waren die akademischen Studien Max Muellers durch seinen eigenen religiösen Hintergrund geprägt. Als praktizierender Lutheraner blickte er kritisch auf polytheistische Traditionen. Auch wandte er sich polemisch gegen die Theosophie, die ein religiöses Weltbild propagiert, das sich erheblich von dem des Protestantismus unterscheidet. Seine Kritik der theosophischen Bewegung wird besonders deutlich in einer Vorlesungsreihe, die er 1892 in London hält und die 1893 in Form einer Monografie des Titels Theosophie oder Psychologische Religion veröffentlicht wird. Darin argumentiert er, dass ein religiöses Phänomen nur durch die korrekte Anwendung der historischen Methode und nicht durch okkulte oder esoterische Mittel zu verstehen sei. Trotz aller Kritik ziehen selbst Theosophen zuweilen die Werke von Max Mueller zurate. Diese Tendenz beginnt mit der Hohepriesterin der Theosophie selbst.

Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891) im Jahr 1881. Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891) im Jahr 1881. | © Public domain, via Wikimedia Commons Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891), die in Russland geborene Begründerin der Theosophischen Gesellschaft, war eine Vorreiterin des Okkultismus in der anglophonen Welt. Sie interessierte sich für das vergleichende Studium von Religionen, um angenommene alte göttliche Weisheiten von Neuem zutage zu fördern. Ihre Anhänger in aller Welt waren erpicht, andere Religionen als die eigene kennenzulernen und projizierten ihre theosophische Vorstellung einer „Universalen Bruderschaft“ auf den interreligiösen Dialog. Besonders westliche Theosophen waren neugierig auf Hinduismus und Buddhismus und rezipierten die Arbeiten Max Muellers. Obwohl sie seinen Argumenten widersprach, bezog sich auch Blavatsky bisweilen in ihren Schriften auf das Werk Max Muellers - und andere Theosophen folgten ihrem Beispiel. Henry Steel Olcott, ihr Kollege und Gründungspräsident der Theosophischen Gesellschaft, traf Max Mueller 1888 in Oxford und korrespondierte zu mehreren Gelegenheiten mit ihm. Annie Besant, die bekannte anglo-irische Theosophin und spätere Präsidentin des Indischen Nationalkongresses merkte in einem Leitartikel an, Max Mueller habe die Upanishaden als „Theosophie“ erkannt. Dies ermutigte sie, 1907 unter dem Titel The Wisdom of the Unpanischads (Die Weisheit der Unpanishaden) eine aus theosophischer Perspektive kommentierte Übersetzung des Werkes zu veröffentlichen.

Die indischen Theosophen waren darauf aus, Hinduismus und indische Philosophie mit einem komparativen Ansatz neu zu denken. Indische Theosophen wie Mohini Chatterji, T. Subba Row, Bhagavan Das und andere schrieben und dozierten ausgiebig zu verschiedenen indischen Philosophiesystemen und religiösen Texten des Hinduismus und zogen dabei Parallelen zu Christentum, Buddhismus und Sufismus, wobei sie häufig westliche Geistestraditionen als Bezugsrahmen nutzten. Dieser Ansatz eines Vergleichs indischer mit westlichen Traditionen zeigt sich beispielsweise in den zahlreichen Bezügen auf christlichen Texte in Mohini Chatterjis Übersetzung der Bhagavad Gita. Purnendu Narayan Sinha, ein Theosoph aus Bengalen, veröffentlichte eine kommentierte Übersetzung der Bhagavatapurana, eines Textes des Vishnuismus, und leitete sie mit einem Abschnitt aus dem Hohelied Salomos ein. Es lässt sich argumentieren, dass eine solche Gegenüberstellung verschiedener religiöser Traditionen den Weg für die Rezeption westlicher Kultur in der intellektuellen Welt Indiens ebnete und so eine Bereicherung für die globale Religionsgeschichte darstellte.

Max Mueller entwickelte als Produkt seiner Zeit einen tiefgreifenden globalen Einfluss, der weit über die akademische Welt hinausreichte und der sogar religiöse Führungspersönlichkeiten erfasste. Die  Beiträge des europäischen Universitätsprofessors zur Religions-, Kultur- und Geistesgeschichte Indiens und der Anklang, den sie über gelehrte Kreise hinaus fanden, blieben über Generationen wirksam. Nicht viele Geisteswissenschaftler können Ähnliches für sich in Anspruch nehmen. Doch Max Muellers Bedeutung für das Studium von Religion und Kultur ist auch mehr als ein Jahrhundert nach seinem Tod ungebrochen. Vielleicht gilt er deshalb als einer der wichtigsten Kulturvermittler der Moderne zwischen Indien und Deutschland.

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