Sprechstunde – die Sprachkolumne
Flucht in die Oase
Begriffe wie „Steuerflucht“ oder „Steueroase“ klingen harmlos – und verzerren doch die Realität. Daniel Stähr zeigt, wie Sprache unser Bild von Steuern prägt, Probleme verschleiert und warum wir anfangen sollten, präziser und ehrlicher darüber zu sprechen.
Von Daniel Stähr
Ich gebe es zu: Steuern sind alles andere als sexy. Wer erledigt schon gerne die eigene Einkommensteuererklärung? Selbst die Aussicht auf eine Rückzahlung motiviert nicht gerade, sich mit mäßig sortierten Unterlagen hinzusetzen und das eigene Finanzjahr Revue passieren zu lassen. Und bei dem Gedanken an Steuerdebatten im Bundestag stellt sich bei den meisten wohl keine Aufregung ein.
Wenn schon die Steuererklärung nervt und die Politik nur Schulterzucken auslöst – wie soll da noch Vertrauen in den Staat entstehen? Gehen Regierungen und Abgeordnete nicht ohnehin unverantwortlich mit unseren Steuergeldern um? Und wäre das Geld in meiner Tasche nicht besser aufgehoben? Wer so fragt, übersieht schnell, dass Steuern das Fundament moderner Demokratien sind. Umso problematischer ist es, wie wir über sie sprechen.
Auf dem Weg ins Paradies
Es ist eine bizarre Eigenart der deutschen Sprache, dass wir euphemistisch von „Steuer“- oder „Kapitalflucht“ sprechen. Menschen, die tatsächlich aus ihrer Heimat fliehen müssen, haben meistens alles verloren und unbeschreibliche Traumata erlitten. Menschen, die auf Steuer- oder Kapitalflucht sind, wollen hingegen noch mehr für sich behalten. Bei der Absurdität dieser Metapher wundert es nicht, dass wir ihre Zufluchtsorte direkt zu „Steuerparadiesen“ oder „-oasen“ verklären.Was all diese Ausdrücke eint, ist, dass sie Steuern zu einer Belastung machen, vor der man sich in Sicherheit bringen muss. Das zeigt sich auch in Begriffen wie der „Steuerlast“, der man durch „Steuerschlupflöcher“ entgehen kann. Steuern sind, so scheint es im deutschen Sprachgebrauch, ausschließlich etwas Negatives.
Und noch ein anderes Bild wird vermittelt, wenn wir von Steueroasen sprechen: das der Südseeinsel, auf die sich zwielichtige Geschäftsleute mit Koffern voller Geld zurückziehen, um dem raffgierigen Fiskus zu entgehen. Dabei gehören mit Luxemburg, Irland, den Niederlanden und der Schweiz gleich vier europäische Nationen zu den zehn größten Steueroasen der Welt. Mit ihren teils extrem komplexen juristischen Gebilden sorgen sie dafür, dass allein Unternehmen in Deutschland jedes Jahr 5,7 Milliarden Euro an Steuerzahlungen vermeiden. Das klingt gar nicht mehr so paradiesisch, oder?
Wofür zahle ich das eigentlich?
Leben Sie gerne in einer Demokratie? Wenn Sie die Frage mit Ja beantworten, sollten Sie sich meiner Fraktion der Steuerfreunde anschließen. Denn durch Steuern finanzieren wir nicht nur unseren Sozialstaat, Bildung, die Landesverteidigung und die Infrastruktur – allesamt Investitionen, die die Privatwirtschaft allein niemals stemmen könnte, wie selbst die größten Marktradikalen der Welt zähneknirschend einräumen.Aber Steuern vermögen noch mehr. Wir können damit Menschen davon abhalten, sich und andere zu schädigen – und so Kosten sparen. Etwa im Kampf gegen die Klimakatastrophe (CO2-Steuern) oder für einen gesunden Lebensstil (Zuckersteuer). Und wie die Politikwissenschaftlerin Martyna Linartas in ihrem empfehlenswerten Buch Unverdiente Ungleichheit anschaulich zeigt, haben Steuern noch eine dritte zentrale Funktion: Sie können die Schere zwischen Arm und Reich wieder verkleinern.
Das schärfste Schwert der Demokratie
Für Linartas und auch für mich sind Steuern damit das „schärfste Schwert der Demokratie“, weil ohne sie ein nachhaltiges und stabiles gesellschaftliches Miteinander gar nicht möglich wäre. Es wird also Zeit, dass wir die Begriffe Steueroase und Steuerparadies hinter uns lassen. Mein Vorschlag: Nennen wirLänder, die Superreichen und Unternehmen beim Steuerbetrug unterstützen, künftig einfach „Steuer-Charon“: Denn wie der Fährmann in der griechischen Mythologie, der die Seelen der Toten in das Todesreich begleitet, helfen sogenannte Steueroasen unserer Demokratie beim Sterben.In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.