Serie: Deutsche Filmemacher in Indien (1)
Eine Prozession von Masken
In unserer Film-Serie stellen wir Arbeiten deutscher Filmemacher vor, die in Indien entstanden sind. Die ausgewählten Filme werden als gelungene Beispiele für „Gäste-Filme“ betrachtet. Der erste Beitrag untersucht die unterschiedlichen Mechanismen, mit deren Hilfe man Wert und Bedeutung dieser von „Außenstehenden“ produzierten Filme bestimmen kann.
“Indien ist das Land, das jeder zu sehen wünscht. Selbst den kürzesten Eindruck möchte man doch mit keinem anderen auf der Welt tauschen.“
In diesem Zitat von Twain steckt bereits ein entscheidender Trugschluss: die Behauptung nämlich, man könne sich von einem ganzen Land ein einziges essentielles Bild machen – was einer gekünstelten wie gewalttätigen Assimilation gleichkäme. Man kann diese Schwachstelle natürlich der allgemein vorhandenen blindwütigen Hybris des 19. Jahrhunderts zuschreiben, doch sei durchaus auch an die Folgen erinnert, die eine solche Einstellung noch für die gegenwärtige Gesellschaft hat. Eine ganze ‘Nation’ – die, wie zahlreiche Denkrichtungen der letzten beiden Jahrhunderte herausgestellt haben, ein Konzept ist und damit eine überaus komplexe Sache darstellt – auf ein einzelnes Bild reduziert zu haben, ist möglicherweise auch der Grund für die Mehrheit jener apokalyptischen Ereignisse des 21. Jahrhunderts: die Attacken auf den World Trade Center, die darauf folgenden Kriege, die Handelssanktionen, die Superheldenfilme, das Erstarken von faschistischen Bewegungen im politischen Spektrum, Tourismus als Industriezweig, der Brexit und die amerikanische Präsidentschaftswahl 2016. Es mag eine Vereinfachung darstellen, diese Ereignisse als sich gegenseitig bedingend zu verstehen, aber es scheint, als sei da doch ein fauler Essentialismus im Spiel. Jenes Destillat der offensichtlichsten und oftmals kosmetischen „Wahrheiten“ über ein Land und ihre auftretenden Wucherungen lässt sich nicht leugnen.
Die Entsprechung hier ist wichtig, denn oft macht man es sich zu einfach, Filme von ausländischen Filmemachern als von sich aus falsch oder als problematisch zu bezeichnen. Doch aus einer solchen Sicht spricht ein schädlicher Befall, ein Vorurteil, eine zentrale Begrenztheit des Denkens: die Unfähigkeit, in Dingen das zu sehen, was sie sind.
In seiner Geschichte für The Guardian (‘How To Sell a Nation: The Booming Business of Nation Branding’, November 2017) erzählt Samanth Subramanian den beruflichen Werdegang von Natasha und Alexander Grand, den zwei Chefstrategen von INSTID, einer Firma für Branding Management, deren Klienten fast ausschließlich tatsächlich existierende Orte (Städte, Gegenden, Länder) sind. In seinem Artikel kommt Subramanian zu einer faszinierenden Schlussfolgerung, die weitflächigen Widerhall im gegenwärtigen Diskurs haben sollte: die Branding-Firma versucht ihre Klienten nicht einfach das zu vermarkten, was sie sind, sondern hilft ihnen zunächst einmal, überhaupt herauszufinden, wer sie sind. Zu diesem Zweck verbringt das Duo oft Monate im jeweiligen Land (mit der Folge, dass der “Auftraggeber” materiell, mit Grenzen, sichtbar wird). Während dieser Zeit unternehmen die zwei eine Reihe von Interviews, machen sich mit der lokalen Literatur, Archiven und Dokumentationen vertraut und tauschen sich mit den führenden Persönlichkeiten der jeweiligen Gesellschaft vor Ort aus (Geschäftsleute, Verwaltungsvertretern, Studierenden). Leicht erkennt man die Parallelen zwischen diesem Vorgehen und der Praxis verschiedener Filmemacher im Laufe der Zeit, die zu Gast in einem Land waren. Wenn diese Filmemacher das Publikum zu Reflexionen und zum Nachdenken anregten, dann mit möglicherweise ähnlichen Ergebnissen wie denen, die die von INSID angewendeten Techniken hervorbringen – nämlich, dass das Publikum vor Ort zunächst etwas über sich selbst erfährt und lernt.
Der deutsche Einfluss auf das Filmschaffen in Indien ist enorm. Eine Menge von Filmemachern, Filmreihenorganisatoren und Aktivisten von Filmclubs durchlief in den Studios (oder den Straßen) von Berlin eine erste Initiation, bevor sie nach Indien zurückkehrten, um dort ihre Karrieren so geprägt fortzusetzen oder zu beginnen. Zu ihnen gehört K.S. Hirlekar, der in den Jahren der Weimarer Republik Töpfern lernte, dann in den frühen zwanziger Jahren nach Indien zurückkehrte und die Tradition des Kino-auf-Tour begründete. Mohan Bhavnani, einer der ersten führenden Produzenten der Films Division (seine durchaus umstrittene Amtszeit dauerte von 1948 bis 1955), wurde in den UFA Studios in Berlin ausgebildet. Zu den einschlägigen Beispielen zählen außerdem Devika Rani und Himanshu Rai, die beide bei der UFA lernten und während dieser Zeit wahrscheinlich die Idee hatte, Bombay Talkies zu gründen.
Bei den brauchbarsten Filmen solcher Filmemacher, die als Gäste ins Land kamen, verraten die Titel zugleich etwas von der Autorität des Anthropologen wie von der Teilnahmslosigkeit des Touristen: wie bei Black Narcissus (1949), The River (1951) oder Phantom of India (1967). Man denke auch an Lettre de Sibérie (1957), in dem der Regisseur Chris Marker eben diese Tendenzen solcher Gast-Filme durch Reflexionen und Nachäffen kommentiert. Diese Paradoxie ist auch den beiden weiteren Filmen zu eigen, die wir für die Serie ausgewählt haben: Franz Ostens Shiraz (1928) und Paul Zils The Vanishing Tribe (1962). Die Hauptfiguren in diesen Filmen können üblicherweise wie groteske Verzerrungen erscheinen (vielsagend in der Hinsicht ist der Untertitel von Jag Mandir: ‘Das excentrische Privattheater des Maharadscha von Udaipur’) – nämlich als Figuren, die in unheimlicher Weise an eine vertraute Wirklichkeit denken lassen, einem dennoch fremd vorkommen. Und doch zeigt sich im Verlauf dieser Filme – wie auch in Jag Mandir – ganz deutlich, wie sehr sie von einer außerordentlichen Sympathie, Verehrung und Demut getragen werden, mit der die Betrachter diese Figuren sehen. Abschließend kann man sagen, dass die aktuelle Filmreihe ‘A Procession of Masks’ (“Eine Prozession von Masken”) eine Studie zu sehr eigenwilligen Strategien darstellt, die drei Filmemacher zu so sonderbaren wie erstaunlichen Ergebnissen geführt haben.
In der Filmgeschichte gibt es eine lange Tradition, in der Filmemacher in ein ihnen fremdes Land reisen – ins Ausland oder in ihnen unbekannte Landschaften –, um dort vor Ort die lokale „Wirklichkeit“ aufzunehmen. Über die Jahre aber ist diese Tradition einer immer kritischeren Betrachtung ausgesetzt worden – da Kommentatoren in ihr Züge entdeckten, in denen sich ein Imperialismus, Exotismus, Primitivismus und auch reinste Phantasie abbildeten. Wie, fragten diese Kritiker, kann denn jemandem, der sich in dem Land gar nicht auskennt, überhaupt die Aufgabe übertragen werden, dessen grundlegende Wahrheiten zu vermitteln?
In der aktuellen Serie mit dem Titel ‘A Procession of Masks’ stellen Autoren von Lightcube, einem Filmkollektiv in New Delhi, Arbeiten deutscher Filmemacher vor, die in Indien entstanden. In der Reihe werden die ausgewählten Filme als gelungene Beispiele für „Gäste-Filme“ betrachtet, in denen sich den Gegenständen ihres Interesses mit Würde, Einfühlungsvermögen und Neugierde genähert wird. Die vier Beiträge in dieser Reihe untersuchen die unterschiedlichen Mechanismen, mit deren Hilfe man Wert und Bedeutung dieser von „Außenstehenden“ produzierten Filme bestimmen kann – und sie suchen auch neue Wege, über diese zu sprechen. In der Serie finden sich drei herausragende Beispiele: Werner Herzogs Jag Mandir (1991), Franz Ostens Shiraz (1928) und die Filme von Paul Zils.