K-Pop
„Einfach ein Freigeist sein“
Auf Social Media erreichen die bunten, durchgestylten Bands mit ihren Choreographien Millionen von Usern. Längst ist die Faszinationswelle des K-Pop von Asien auch nach Europa übergeschwappt. Was ist dran am südkoreanischen Phänomen, dass es Menschen überall auf der Welt in seinen Bann zieht?
Von Sung Un Gang
2017 besuchte Rodo Vietnam, wo ein Teil seiner Familie lebt. Bei seinen Cousins zu Hause liefen pausenlos Fernsehsendungen mit Tanzgruppen – bunt, durchgestylt und dynamisch. Die Lieder waren jedoch nicht auf Vietnamesisch. „Was ist das?“, fragte er eine Cousine, die sich auf seine Frage ebenfalls überrascht zeigte: „Das ist K-Pop. Kennst Du das nicht?“
Heute hört der mittlerweile 16-jährige Schüler aus dem Dresdner Umland nicht nur selbst die südkoreanische Popmusik (K-Pop steht für Korean Popular Music), sondern lebt den Trend auch. Mit seiner Gruppe Ukiyo tanzt er die komplexen Choreografien der K-Pop-Bands vor der Kamera nach. Die Gruppe besteht aus fünf vietnamesisch-deutschen Jugendlichen aus der Region – PJ (16), Vy (17), Tina (17), Duy (17) und Rodo –, die sich durch das Tanzen in Jugendgruppen oder an der Schule kennengelernt haben. Alle teilen die Leidenschaft für K-Pop. Die faszinierenden Musikvideos sind das eine, die große Bandbreite der Musik und Choreografien sind das andere. „K-Pop-Choreos sind sehr vielfältig und dadurch kann ich meine Tanz-Skills verbessern“, sagt Duy, der auch noch in einer Hip-Hop-Crew tanzt.
Die Straße als Kulisse
Unter dem Suchbegriff „K-Pop Dance Cover“ findet man unzählige Videos von Gruppen wie Ukiyo, die scheinbar in allen Teilen der Welt zur K-Pop tanzen – in Paris, Hanoi, Perth, Tokyo oder Moskau. Die Öffentlichkeit, meist Einkaufsstraßen mit viel Personenverkehr, wird zur Kulisse ihrer Auftritte. Es begeistert sie, wenn die Fußgänger mit offenem Mund ihren Tänzen zuschauen oder sie ansprechen. „Es gab Leute, die sogar Fotos mit uns machen wollten“, erzählt Tina. Die Videos solcher öffentlicher Auftritte sind ein fester Bestandteil der K-Pop-Fankultur weltweit, die ihre eigenen Stars hervorbringt: Manche Gruppen erreichen eine zweistellige Millionenklickzahl.
Der Trend kommt vor allem bei Jugendlichen und Teenies an, aber auch Michelle, eine Angestellte im öffentlichen Dienst in ihren Dreißigern, hört seit 2016 K-Pop. „Früher hatte ich selbst Vorurteile gegenüber Popmusik. Dass sie durchindustrialisiert und musikalisch weniger anspruchsvoll, deshalb auch weniger wertvoll sei.“ Durch die südkoreanische Boygroup VIXX habe sie jedoch gelernt, die unterschiedlichen Qualitäten wertzuschätzen. Eine Erfahrung, die nicht nur ihr Hörverhalten, sondern auch ihren Alltag verändert hat. „Zu Silvester habe ich koreanisches Essen gekocht. Mein Mann und ich sind auch nach Südkorea gereist – all das wäre uns nie in den Sinn gekommen, bevor ich K-Pop hörte. Es ist eine befreiende Aktivität, mit der man richtig emotional werden kann.“
Die Berliner Theatermacherin Frederika Tsai bekennt sich öffentlich zu ihrer Liebe zu K-Pop. Sie findet insbesondere die Songtexte von BTS beachtenswert: „In Black Swan thematisiert BTS den inneren Kampf als Künstler, und gerade in der Pandemie kann ich mich darin wiederfinden.“ In ihrem Arbeitskontext hört die promovierte Musikwissenschaftlerin Klassik oder experimentelle Elektromusik, aber das sei kein Grund K-Pop als Musik abzuwerten. „K-Pop mag musikalisch nicht das Komplexeste sein, aber darin findet man eine gute Mischung aus verschiedenen Genres wie Hip-Hop, Jazz und R&B.“
Mit ausverkauften Konzerten und als Covermotive des Jugendmagazins BRAVO genießen die K-Pop-Stars unter deutschen Jugendlichen bereits eine starke öffentliche Präsenz. Die Mitglieder von Ukiyo sagen, dass K-Pop auch ein Weg ist, sich selbst zu entdecken. „Durch Dance-Cover lerne ich meine Schwäche und Stärke als Tänzerin kennen“, sagt PJ. „Ich hatte Angst vor den anderen Leuten und wollte mich anpassen“, sagt Rodo. „Heute nicht mehr – ich trage, was ich anziehen möchte. Ich will einfach ein Freigeist sein. Und die Leute mögen unsere Gruppe, weil wir authentisch sind.“