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Wenn Kapitän Marlow Mr. Kurtz in der Disko getroffen hätte

Franz Rogowski in „Disco Boy“. Regie: Giacomo Abbruzzese
Franz Rogowski in „Disco Boy“. Regie: Giacomo Abbruzzese | Foto (Detail): © Films Grand Huit

„Disco Boy“ begleitet einen jungen Fremdenlegionär ins afrikanische Nigerdelta. Ein spannungsreicher, mit viel Musik unterlegter Film – mit Verweisen auf Werke der Weltliteratur.

Von Carlo Giuliano

Bevor James Gray Die versunkene Stadt Z drehte, bat er Francis Ford Coppola und Werner Herzog um entsprechenden Rat. Beide hatten die Höllen-Sets von Apocalypse Now und Aguirre an die Grenze des Wahnsinns gebracht, und beide rieten Gray auf seine Frage, wie man im Dschungel am besten drehen sollte, nur: „Tu es nicht.“

Austausch mit Giacomo Abbruzzese und Franz Rogowski

Nun hat der Dokumentarfilmer und Kurzfilmregisseur Giacomo Abbruzzese für seinen ersten Spielfilm, der auf der 73. Berlinale im Wettbewerb läuft, genau das getan. Das Ergebnis heißt Disco Boy  – ein Projekt, das laut Abbruzzese vom Schreiben des Drehbuchs über die Beschaffung der finanziellen Mittel bis zu den zermürbenden Dreharbeiten im Herzen Afrikas zehn lange Jahre in Anspruch nahm. Davon berichtete Abbruzzese im Rahmen einer kleinen Podiumsdiskussion, bei der auch der deutsxche Schaupieler und Hauptdarsteller Franz Rogowski anwesend war.

Letzterer ist sicher das wichtigste Aushängeschild dieses Films – und dabei möglicherweise der vielseitigste und vor allem am meisten polyglotte Schauspieler der europäischen Kino-Szene. Rogowski vermag es, auf Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch zu spielen. In Italien ist er vor allem durch den Film Freaks Out (2021) bekannt. In Disco Boy verkörpert er Aleksei, der aus Belarus auf illegalem Weg nach Frankreich einwandert. In der Hoffnung auf Staatsbürgerschaft und Papiere tritt er in die französische Fremdenlegion ein. Doch nach seiner Rückkehr von einem Einsatz in Afrika wird Aleksei nicht mehr derselbe sein. Wenn er denn wirklich zurückkehrt.

Einflüsse aus Film und Literatur

Von Full Metal Jacket bis Apocalypse Now – was filmische Einflüsse angeht, lassen sich in Disco Boy viele erkennen. Aber mit Vergleichen dieser Art würde man vielleicht übersehen, dass Disco Boy hervorragend auf eigenen Beinen stehen kann: Hier vermengen sich Film-de-guerre und visuelle Eindrücke aus der Clubbing-Kultur. Noch viel spannender sind aber die literarischen Anspielungen.

So nennt Abbruzzese etwa Reise ans Ende der Nacht von Céline als Referenz – das Buch gehört auch zu meinen Lieblingsromanen. Ich stellte also dem Regisseur und seinem Hauptdarsteller Franz Rogowski, auch noch mit Verweis auf den Klassiker Herz der Finsternis von Joseph Conrad, eine Frage: „Sowohl Marlow als auch Bardamu sind Figuren, die das Ziel ihrer Reise am Ende der Nacht erreichen und die in letzter Minute dem Herz der Finsternis entkommen. Gilt das auch für Aleksei? Nachdem er in die Hölle hinabgestiegen ist, schafft er es, auf der anderen Seite wieder herauszukommen?“

Die beiden bestätigen meine Hinweise auf die Weltliteratur. Aber die Antwort (die etwas länger war, als ich sie hier zitieren kann) verrät viel über die Ehrlichkeit dieses Films. Denn sie setzt auf die Zwischentöne: „Wir wollten keinen Film über die Hölle drehen. Es gibt keine Bipolaritäten, keine Opfer oder Henker. Es gibt nur eine Welt, in der wir leben. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als zu lernen, mit dem Feind zu tanzen.“

 

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