Jaipur Literature Festival
Lesen für eine bessere Zukunft

Die 13. Ausgabe des Jaipur Literature Festival fand vom 23. bis 27. Januar statt.
Die 13. Ausgabe des Jaipur Literature Festival fand vom 23. bis 27. Januar statt. | © Faizal Khan

Das 13. Jaipur Literature Festival setzt sich für grenzenlose Literatur, den Erhalt des Planeten und den Kampf gegen die globale Armut ein.

Von Faizal Khan

In dem riesigen provisorischen Buchladen im denkmalgeschützten Veranstaltungsort des diesjährigen Jaipur Literature Festival (JLF) zeigten sich die Buchliebhaber*innen ganz begeistert, jenen Titeln mit besten Absichten und für den guten Zweck ihre Unterstützung zu zeigen. Präsentiert wurden zahllose dicke Wälzer mit Titeln wie Die unbewohnbare Erde, Patient Erde und Flut und Wut, die die Unterstützer der Weltliteratur völlig in den Bann zogen. In den großen Zelten am aus dem 19. Jahrhundert stammenden Diggi Palace wurde in den Diskussionsforen über Themen wie Arme Ökonomien, Neue Welt Unordnung und Grenzenlose Literatur debattiert.

In einer Welt voller verheerender Feuersbrünste, Überschwemmungen, Bürgerkriege und wirtschaftlicher Herausforderungen stellt ein Literaturfestival, zu dessen Teilnehmern ein Nobelpreisträger, zahlreiche Gewinner des Pulitzer Preises, mindestens zwei Gewinner des Magsaysay und viele berühmte Autor*innen zählen, einen ausgesprochen wichtigen Raum für die freie Meinungsäußerung und die Gedankenfreiheit dar. Die enormen Entwicklungen der modernen Technologie ließen den Mathematik-Professor, der die Eröffnungsrede hielt, fragen, ob in der Zukunft auf der Bühne des JLF ein Autor der künstlichen Intelligenz sitzen werde, um aus seinem eigenen Roman vorzulesen.

In seiner leidenschaftlichen Rede, die er auf dem JLF (23. bis 27. Januar 2020) vortrug, verdeutlichte David Wallace-Wells, leitender Redakteur des New York Magazine und Autor des Buches The Uninhabitable Earth: Life After Warming, seinem Publikum folgendes: In den drei Jahrzehnten, die seit der Einrichtung des Intergovernmental Panel on Climate Change der Vereinten Nationen vergangen sind, haben wir unserer Umwelt mehr Schaden zugefügt, als in den Jahrtausenden zuvor. „Wir müssen viel mehr unternehmen, und zwar schnell und weltumspannend”, so Wallace-Wells. Er warnte gleichzeitig davor, im Jahr 2050 werde es eine Milliarde Klimaflüchtlinge geben, wenn sich der Planet um zwei Grad erwärme.

Klimakrise

Unmittelbar nach den Bränden im Amazonasgebiet und den Buschfeuern in Australien fanden die Diskussionsrunden zur Klimakrise den größten Zuspruch auf dem JLF 2020. Die eindrucksvoll große Zuhörerschar ließ sich – von einem Redner nach dem anderen – immer neue Statistiken zu den die Welt bedrohenden Umweltkatastrophen liefern. China und Indien – die beiden Länder mit dem zweit- beziehungsweise drittgrößten Ölverbrauch nach den USA – genossen besondere Aufmerksamkeit. Der britische Autor Martin Goodman – Co-Autor des Buches Client Earth von 2017, in dem er mit dem amerikanischen Rechtsanwalt James Thornton (Gründer der Umweltschutz-Kanzlei ClientEarth) Verhandlungen zum Klimawandel beschrieb – erzählte davon, wie ClientEarth Rechtsanwälte und Richter in China ausbildet. 

“Die Ungewissheit über den Monsun, die Überschwemmungen, das Abschmelzen der Gletscher im Himalaya und die gefährdeten Ortschaften in den Küstenregionen hat den Menschen in Indien die Problematik des Klimawandels deutlich vor Augen geführt,“ erklärte Indiens früherer Umweltminister Jairam Ramesh als Teilnehmer der Diskussionsrunde „Client Earth“. Die massiven Überschwemmungen in Kerala, Karnataka, Bihar, Uttar Pradesh und Assam in jüngerer Zeit sind Grund genug, die in Indien weitverbreitete traditionelle Hochachtung gegenüber der Natur aufzugeben und in ein aktives Tun zugunsten des Klimas zu verwandeln.

“In Ladakh sehen sich die Menschen gezwungen, zwei Dörfer wegen der Dürre aufzugeben“, berichtete Sonam Wangchuk, Vorkämpfer in Sachen Natur und Umweltschützer aus dem Himalaya. “Auf die Dürreperioden folgen die Springfluten”, so Wangchuk weiter. Er hatte maßgeblich Anteil daran, im letzten Jahr die I Live Simply-Bewegung auf den Weg zu bringen (ilivesimply.org), welche junge Menschen zu einem umweltverträglicheren Handeln anleiten will. "Wenn sich die Massen sensibilisiert zeigen, reagieren die Regierungen”, sagt Wanghuck, der 2018 mit dem Ramon Magsaysay Award ausgezeichnet wurde.

Der indisch-amerikanische Ökonom Abhijit V. Banerjee, der im vergangenen Jahr für seinen experimentellen Ansatz im Kampf gegen die weltweite Armut den Nobelpreis in Ökonomie bekam, erläuterte jene Randomised Control Trials, die er entwickelte und einsetzt, um die Folgen eines wirtschaftlichen Hilfsprogramms für dessen Nutznießer statistisch zu ermitteln. “Es gibt große Vorurteile gegenüber dem, wozu in Armut lebende Menschen in der Lage sind”, weiß Banerjee, Autor von Poor Economics und Good Economics for Hard Times. “Es ist nicht so, dass die Armen faul werden, wenn man ihnen Hilfe bietet. Sie arbeiten dann weitaus mehr Stunden als vorher, sie werden härter arbeiten. Hilfsangebote sind ihnen Ermutigung.”

Grenzenlose Literatur

Übersetzungen beherrschten den Jaipur BookMark, den vor sechs Jahren ins Leben gerufenen Handelsplatz der Buchbranche. Hauptredner am Eröffnungstag des Jaipur BookMark war Dr. Berthold Franke (Direktor des Max Mueller Bhavan in New Delhi). In seiner Ansprache mit dem Titel Towards a Borderless Literature nannte er die Gemeinschaft der Übersetzer*innen „eine Gruppe von Pionieren, Virtuosen und Spähern des internationalen kulturellen Austausches. Sie können uns helfen, die unausweichlichen Begrenzungen unseres Zugangs zur Weltliteratur (Goethe) zu überwinden und uns zur Weisheit und zur Wahrheit von Texten aus allen Teilen der Welt und aus allen Zeitaltern zu führen“, so Dr. Franke.

Seinen Worten nach sind auch alle Leser Übersetzer. Er hielt fest, dass Literatur – ob als Übersetzung oder nicht – zwar Grenzen zu überschreiten wisse und dennoch notwendigerweise immer auch innerhalb der Grenzen der Sprache verbleibe. „Das Paradox der Literatur ist das Paradox der Sprache: zugleich eine Grenze und eine Entgrenzung zu sein, Freiheit und Isolation, eine Sackgasse und eine Reise ins Außen.”

Der deutsche Autor Jo Lendle, (Alles Land, eine fiktionalisierte Lebensbeschreibung des Polarreisenden Alfred Wegener) erläuterte, dass es für ihn als Übersetzer nicht darum gehe, Brücken zu überschreiten, sondern vielmehr das Schreiben zu lernen. „Das Übersetzen bringt Ideen aus anderen Sprachen in unsere eigene Stimme. Es geht auch darum, die Idee der Sprache zu verstehen“, so Lendle. “Niemand kennt den Text besser als sein Übersetzer”, fügte er hinzu. „Der Schriftsteller ist bereits ein Übersetzer, der seine Ideen in Sprache übersetzt“, antwortete Dr. Franke daraufhin.

Künstliche Intelligenz

Technologie und Kreativität waren zwei der Schlüsselthemen für die Datenspezialisten, für die Experten für Künstliche Intelligenz und für die Tech-Aktivisten, die sich über die Zukunft von maschinen-generierter Literatur, Musik, Theater und Kino austauschten. “Nach vier Jahrzehnten eines Winters für Künstliche Intelligenz folgt nun eine heiße Phase”, so der Mathematik-Professor Marcus du Sautoy aus Oxford in seiner Präsentation mit dem Titel The Arts, Sciences and Creativity, einem der Hauptvorträge auf der JLF. "Wir alle möchten eine KI mit menschlichen Gefühlen und einem Verständnis für die Welt. Wenn die KI eines Tages ein Bewusstsein entwickelt haben wird, können wir Geschichten erzählen. Aber dieses Bewusstsein wird sich von unserem unterscheiden", war er sicher. “Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir ihn nicht verstehen”, sagte du Sautoy und zitierte den deutschen Philosophen Ludwig Wittgenstein. “KI und die Menschen können nur gemeinsam und nicht gegeneinander neue Pfade erschließen“, so du Sautoy.

2006 fand das Jaipur Literature Festival zum ersten Mal statt. Heute ist es eines der größten Literaturfestivals der Welt. Der schottische Historiker und Schriftsteller William Dalrymple erinnerte sich als einer der Mitbegründer des Festivals an eine Begebenheit aus dem ersten Jahr. „Im ersten Jahr gab es nur 16 Besucher. Zehn von ihnen waren japanische Touristen, die nach dem Bernstein-Fort in der Pink City suchten“, scherzte er. Seitdem ist die Zahl der Besucher auf jährlich mehr als Einhunderttausend angewachsen. „Das JLF ist der Beweis, dass die Literatur in Indien lebt und gedeiht”, meinte Dalrymple, Autor des Buches The Anarchy: The Relentless Rise of the East India Company.

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