Sprechstunde – die Sprachkolumne
Triggert Sie das auch?

Illustration: Ein Mann mit einem Plakat, auf dem seht „yeah cool“
Man nimmt sich heraus, sich und andere zu diagnostizieren | © Goethe-Institut e. V./Illustration: Tobias Schrank

Jagoda Marinić hat keine Lust mehr auf Psychobabbling. Zu viele Krankheitsdiagnosen, zu viele Forderungen nach Selbstoptimierung. Wie sollen wir das Glück finden, wenn alles, was wir tun, nur noch vermessen wird? Ihr Wunsch: mehr Spielräume und ein Innenleben, das einfach sein darf.

Von Jagoda Marinić

Es gab eine Zeit, da wurde viel darüber diskutiert, ob die Menschen übertherapiert seien und ob wir uns zu einer Therapiegesellschaft entwickelten. Nimmt man Bücher aus dieser Zeit in die Hand, wirken diese heute regelrecht antiquiert. Denn die Therapiegesellschaft ist längst Wirklichkeit geworden. Zwar gibt es gibt für kranke Personen eher zu wenig als zu viele Therapieplätze – so viel zum pathologischen Aspekt. Unter sprachlichen Gesichtspunkten jedoch existiert ein Übermaß an psychobabbling, und mich macht diese Entwicklung, die sich in nicht gerade homöopathischen Dosen vollzieht, aggressiv. 

Immer nur Diagnosen statt Erzählungen

„Hast du schon in dich reingehört?“, ist eine gern gestellte Frage. Als ob die Gehörgänge nicht auch aus guten Gründen dazu dienen, die Außenwelt sinnlich zu erfassen und nicht nur das Rauschen der eigenen Organe und der eigenen Gedankenautobahn. Das Ideal der selbstoptimierten Gesellschaft ist eine solche Selbstverständlichkeit geworden, dass kaum mehr hinterfragt wird, ob der Begriff Mental Health nicht auf etwas hinweist, was schon die antiken Stoiker beschäftigt hat, nämlich die Suche nach dem sinnhaften Leben.

Es ist, als hätte der hobbypsychologische Blick auf uns und andere Menschen das Sprechen über unsere Lebenserfahrungen gekapert. Das Reden ist durchsetzt mit vermeintlichen Termini der Psychotherapie, ganz gleich wie unpräzise. Von welchem Erlebnis auch berichtet wird: Nicht die Erzählung selbst und die Sprachkraft spielen eine Rolle, sondern eine direkt formulierte Diagnose. Man nimmt sich heraus, sich und andere zu diagnostizieren: „Das hat mich so getriggert!“ Oder: „Das hat mich traumatisiert!“ Oder: „Welch ein Narzisst!“ Und wenn man selbst spürt, dass die Dimension des Ereignisses der Wucht der Worte nicht gerecht werden, dann handelt es sich bei diesen Gefühlen eben um Mikroaggressionen.

Technokratische Akte der Selbstvermessung

Es ist sicher gut, herauszufinden wie Herz und Hirn vermutlich funktionieren, aber das heute vermittelte Wissen, insbesondere auf Social-Media-Kanälen und in Zeitschriften, lenkt die Wahrnehmung auf die Dysfunktionalität des Einzelnen und deformiert das Sprechen über die Gemütsverfassung. Gleich welches Symptom vorzuliegen scheint, das Allheilmittel lautet meist: Achtsamkeit oder Meditation. Das fortwährende Erklimmen einer Meta-Ebene namens Selbstorganisation macht das Sprechen über uns selbst fast zum technokratischen Akt: Es geht um Body-Scan und Breathwork.

Ich bin als Germanistin für jeden Sprachwandel offen, schließlich ist Sprache prozesshaft, aber die Technisierung alltäglicher Funktionen zum Zwecke der Optimierung führt dazu, dass sich die Sprache plötzlich gegen mich selbst dreht. Als wäre jeder Mensch nur Edward mit den Scherenhänden im eigenen Garten und würde mit ungelenken Formulierungen gegen die Blüten und Hecken in sich anschnippeln. Selten entstehen dabei fantasievolle Traumgebilde wie in dem besagten Film mit Johnny Depp, eher werden wir vermessen, bis es in Apps passt – alles natürlich „evidenzbasiert“, was bezogen auf das Seelenheil so etwas ist wie ein Maßnahmen-TÜV.

Sehnsucht nach verträumten Momenten

Der Mensch strebte zu seinem Unglück immer schon nach mehr Glück. Selten zuvor jedoch verstümmelte er dabei die Sprache der Glückssuchenden so maximalinvasiv wie heute. Zum Einsatz kommt weniger eine philosophisch grundierte Sprache, die dem Einzelnen seine Auslegungsräume lässt, sondern es geht um Messbarkeiten. „Train your Mind“ – nur was zur Hölle ist überhaupt dieses Mind? Es gibt Apps, die uns loben, wenn wir zehn Minuten täglich achtsam meditieren, während man früher eher verträumt auf die Straße starrte. War das unachtsame Meditation – und war sie deshalb wirklich wirkungsloser? Oder entspannten wir uns nicht eigentlich tiefer, weil eben ohne Intention?

Optimierer kapern die Sprache

Ach ja, Intention, auch so ein Wort der Optimierer: „What is your intention?“ Anglizismen, die mich sonst nie stören, stören mich in diesem deutschen New Ageism sehr. Und kein Begriff regt mich derzeit mehr auf als der des „manifestierens“. Manifestieren nennt sich der Moment, in dem zum Beispiel der reiche Mensch in seinem Infinity-Pool sitzt und an seinem Mindset arbeitet. Er manifestiert, wie ihm das Universum noch eine Villa auf Bali bringen wird. Wo es früher wenig poetisch hieß: „Das Leben ist kein Ponyhof“, schickt einem das Universum beim Manifestieren die erfüllten Wünsche im Hier und Jetzt. Man muss von der Welt, in der man leben will, nur im Präsenz sprechen und denken: „Ich bin reich. Ich bade im Pool meiner Villa auf Bali. Ich bin gelassen und entspannt.“ Das Phänomen Psychobabble hat sogar die Syntax gekapert, denn das Unbewusste mag die ganz einfache Sprache – angeblich.

Vielleicht sollte ich auch lernen, in aller Seelenruhe meine Wünsche ans Universum zu manifestieren. Dieser Wunsch stünde dann ganz oben: Alle sprechen wieder so, als hätten sie ein Innenleben und würden nicht nur an ihm arbeiten. Sagt man am Ende des Manifestierens eigentlich Amen?

Sprechstunde – Die Sprachkolumne

In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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