Kunst im öffentlichen Raum
Raum für Neues – es ist an der Zeit

AMP Dance Company entwickelte im Rahmen ihres Projektes „4x4-Raum für Neues“ gelbe quadratische „Aktionsflächen“ die erstmal beim Making Frankfurt Aktionstag im August 2020 am Frankfurter Mainkai zum Einsatz kamen.
AMP Dance Company: Projekt „4x4-Raum für Neues“ am Frankfurter Mainkai, August 2020. | Foto (Ausschnitt): © Moritz Bernoully

Wie können künstlerische Produktionen in Zeiten von pandemiebedingtem Distanzverhalten umgesetzt werden und ein Publikum erreichen? Florian Geiger, Dramaturg und Mitbegründer der AMP Dance Company,  beschreibt ein innovatives, neues Format, das dem Publikum Tanz näher bringt, als jemals zu vor - fernab von großen städtischen Bühnen.

Von Florian Geiger

Die partielle Schließung aller deutschen Bühnen in 2020 und 2021 hat uns gezeigt, wie wichtig die Szene der darstellenden Kunst ist. Abgesehen von den sozialen Aspekten, bietet die Kunst einzigartige Möglichkeiten sich inspirieren zu lassen, auf andere Gedanken zu kommen, der Fantasie freien Lauf zu lassen und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Das Wegfallen dieser Instanzen wird Folgen für die Kultur- und Kreativwirtschaft und unser aller geistiges und seelisches Wohlbefinden haben, die zurzeit noch nicht absehbar sind.

Die notwendigen staatlich vorgegebenen Distanz- und Sicherheitsmaßnahmen verlangen ein Umdenken in der künstlerischen Produktion. Mit Raum für Neues haben wir eine fest installierte, für die Künstler*innen jederzeit frei zugängliche Bühne geschaffen auf der, unter Einhaltung aller notwendigen Sicherheitsmaßnahmen wieder geprobt und wieder vor Publikum aufgetreten werden kann. „Dabei ist Raum für Neues eine vier Mal vier Meter große, gelbe Fläche, die abwechslungsreiche Impulse aus Tanz, Schauspiel und Musik direkt ins Stadtleben bringt“, so Florian Geiger, der Direktor, Dramaturg und Gründer der AMP Dance Company.

Distanzen überwinden

Auf einem ersten Aktionstag „Making Frankfurt“ wurde dieses neue künstlerische Konzept im August 2020 am Mainufer in Frankfurt am Main als Idee präsentiert. Das Projekt zeigte, wie die alternative Nutzung von urbanen Räumen - in diesem Fall ein Transit-Raum - uns im Alltag wieder inspirieren und letztlich auch stärken können. Tanz spielt dabei eine besondere Rolle. Das Format reduziert die Distanz zwischen dem Publikum und den Tänzer*innen radikal. So kommt es zu einer neuen, unmittelbaren Rezeption von Tanz. Tanz zu erleben, erfordert die Empathiefähigkeit der Zuschauer*innen und diese verleiht ihnen die Möglichkeit des eigenen, körperlichen Erlebens. Mit dieser „Shared Experience“ kommen sich die Zuschauer*innen untereinander trotz der verordneten Distanz nahe. Raum für Neues schafft eine neue Aufmerksamkeit für Tanz im öffentlichen Raum. Es gibt zudem keine Zugangsbeschränkungen, wodurch auch soziodemografische Grenzen überwunden werden.

Bei dem zweiten Aktionstag „Post-Corona-Innenstadt“ der Initiative Making Frankfurt, der am 18. September 2021 in der Frankfurter Innenstadt stattfand, wurden die Idee in die Tat umgesetzt. Als Leitidee der Aktion fungierten die gelben Aktionsflächen von Raum für Neues, die in vielfältige, kreative und kollaborative Laboratorien verwandelt wurden. Die AMP Dance Company zeigte Auszüge aus Performances, darunter eine offene Probe der aktuellen Produktion Der Himmel über meinem Kopf, welche am 30.09.2020 Premiere feierte. Eine Wiederaufnahme durch das Gallus Theater Frankfurt findet im Februar 2022 statt.
„4x4 - Raum für Neues.“ AMP Dance Company, 2020 | Idee und Umsetzung © AMP Dance Company | Moritz Bernoully, moritzbernoully.com
„4x4 - Raum für Neues.“ AMP Dance Company, 2020 | Idee und Umsetzung © AMP Dance Company | Moritz Bernoully, moritzbernoully.com
Der Himmel über meinem Kopf erzählt davon, wie es ist, etwas zu verlieren, von dem man bisher gar nicht ahnte, wie sehr es das tägliche Leben und Handeln bestimmt. Das Stück widmet sich dem nachhaltigen Erleben des Verlusts von Sicherheit und seinen Folgen für unser freies Handeln. Anhand unterschiedlicher Erzählungen der Tänzer*innen werden die Erfahrungen vom Verlust der Sicherheit als traumatische Erlebnisse des Subjekts geschildert und dabei das zuweilen ambivalente Verhältnis von Freiheit und Sicherheit ausgelotet. Freiheit und Sicherheit - sie kommen nicht ohne einander aus. Allerdings stehen sie zueinander in einem komplexen und spannungsvollen Verhältnis. Wie sensibel das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit ist, stellen wir fest, wenn das Grundbedürfnis nach Sicherheit plötzlich erschüttert wird. Der Himmel über meinem Kopf steht somit als Bild für die Größe, die das verunsicherte Subjekt wieder erreichen kann, wenn es seinen Blick hebt, nachdem es den Boden unter den Füßen verloren hat. Ein Stück, das Mut macht.

Das Stück wurde in intensiven drei Wochen einstudiert und geprobt, wobei sich die sieben Tänzer*innen in dieser Zeit sehr nahe gekommen sind, da sie sich für den Zeitraum der Proben weitestgehend von anderen isoliert haben und teilweise zusammen in einer eigens angemieteten Wohnung gewohnt haben.

Nähe und Distanz im kreativen Schaffensprozess

Nähe schafft zunächst Nähe und Distanz. Für Kunstschaffende der darstellenden Künste ist das generell ein ständiges Thema und der Aspekt von Nähe und Distanz spielte auch vor der Pandemie eine oft entscheidende Rolle – wie weit nähere ich mich? Wie viel Nähe lasse ich zu? Welche Distanz benötige ich zu den Zuschauer*innen, also meinem Gegenüber? Welche Nähe lassen die Zuschauer*innen zu?

Raum für Neues ist in seinem Format als öffentliche Bühne und mit einem Mindestabstand von 1,5 Metern zu allen Seiten zugänglich und einsehbar - eine maximale Reduktion. Die Künstler*innen sind somit noch nahbarer als sonst auf der Bühne, es fehlt der Raum zum Rückzug – sie sind maximal exponiert. Das macht ein Spannungsfeld auf, in dem Tänzer*innen oft den Schritt nach vorne wagen – sie öffnen sich mehr, verlassen sich auf ihre Resilienz, bauen Ängste ab und sich dadurch Freiräume auf. Fehler und Imperfektion sind nicht mehr ein Scheitern und das Vorankommen durch Iterationen wird zum Programm - für die Choreografin der AMP Dance Company Marika Ostrowska-Geiger eine ganz neue Herausforderung: feststehende Scores aufbrechen, verändern und noch viel sensibler sein für die Reaktion und Interaktion mit dem Publikum.
  • In der ersten Aktion im August 2020 wurde „4x4 - Raum für Neues" am Mainufer installiert mit der Absicht, Flächen in urbanen Räumen alternativ zu nutzen, Inspirationen zu schaffen und zu stärken. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    In der ersten Aktion im August 2020 wurde „4x4 - Raum für Neues" am Mainufer installiert mit der Absicht, Flächen in urbanen Räumen alternativ zu nutzen, Inspirationen zu schaffen und zu stärken.

  • Ein gelber Quadrat von vier mal vier Metern, auf dem das AMP-Ensemble von Marika Ostrowska-Geiger und Florian Geiger tanzen und performen konnte. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    Ein gelber Quadrat von vier mal vier Metern, auf dem das AMP-Ensemble von Marika Ostrowska-Geiger und Florian Geiger tanzen und performen konnte.

  • AMP Dance Company entwickelte im Rahmen ihres Projektes „4x4-Raum für Neues“ gelbe quadratische „Aktionsflächen“ die erstmal beim Making Frankfurt Aktionstag im August 2020 am Frankfurter Mainkai zum Einsatz kamen. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    AMP Dance Company entwickelte im Rahmen ihres Projektes „4x4-Raum für Neues“ gelbe quadratische „Aktionsflächen“ die erstmal beim Making Frankfurt Aktionstag im August 2020 am Frankfurter Mainkai zum Einsatz kamen.

  • Das Team probte auf der Tanzfläche ihre Choreographien mit musikalischer Begleitung vor den Augen der interessierten Passanten. Die Resonanz nach dem zweistündigen Auftritt war groß, berichtete Florian Geiger. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    Das Team probte auf der Tanzfläche ihre Choreographien mit musikalischer Begleitung vor den Augen der interessierten Passanten. Die Resonanz nach dem zweistündigen Auftritt war groß, berichtete Florian Geiger.

  • Die Aktionsflächen bilden den räumlichen und konzeptionellen Rahmen für eine Vielzahl von teilweise interaktiven Aktionen und Darbietungen in verschiedenen Bereichen in der Frankfurter Innenstadt im September 2021. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    Die Aktionsflächen bilden den räumlichen und konzeptionellen Rahmen für eine Vielzahl von teilweise interaktiven Aktionen und Darbietungen in verschiedenen Bereichen in der Frankfurter Innenstadt im September 2021.

  • Neben der Performances während des Aktionstages symbolisiert das gelbe Quadrat auch Leerstellen in der Stadt, die aktiviert, gefüllt und bespielt werden können. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    Neben der Performances während des Aktionstages symbolisiert das gelbe Quadrat auch Leerstellen in der Stadt, die aktiviert, gefüllt und bespielt werden können.

  • Bei dem Aktionstag „Post-Corona-Innenstadt“ der Initiative Making Frankfurt im September 2021 standen die gelben quadratischen Flächen im Mittelpunkt der Aktion vor Ort. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    Bei dem Aktionstag „Post-Corona-Innenstadt“ der Initiative Making Frankfurt im September 2021 standen die gelben quadratischen Flächen im Mittelpunkt der Aktion vor Ort.

  • Sie dienen auch als temporäre Bühnen für Kulturschaffende verschiedener Disziplinen und Richtungen, Redner*innen und Aktivist*innen. Foto: © Moritz Bernoully, http://moritzbernoully.com

    Sie dienen auch als temporäre Bühnen für Kulturschaffende verschiedener Disziplinen und Richtungen, Redner*innen und Aktivist*innen.

Reaktionen, Formate und Konsequenzen

Die Wertschätzung des Publikums war eine andere und um ein Vielfaches größer als im tradierten Umfeld. Durch die Nahbarkeit der Künstler*innen und das unmittelbare Erlebnis der Darbietungen entsteht eine ganz neue Identifikationsebene für die Betrachter*innen. Zuschauer*innen sind nicht mehr ein homogenes Format, sondern sie lassen sich durch eine wesentlich höhere Empathiebereitschaft im Einzelnen zur spontanen Bekundung von Freude und Mitgefühl hinreißen.

Als Konsequenz arbeitet die AMP Dance Company gerade an neuen Formaten: Wie können wir noch direkter werden? Wie können wir die Zuschauer*innen noch tiefer berühren und somit in kurzer Zeit Impulse geben? Was ist, wenn wir uns vollständig abkehren, uns verweigern? Welche Themengebiete entstehen hier und wie können wir diese mit einer Nachhaltigkeit und Relevanz verknüpfen, die wiederum dazu führt, dass Rezipient*innen sich bewegt fühlen? In einem ersten Versuch wurden verschiedene Formate kombiniert: klassische Musik, live gespielt von der Frankfurter Kammerphilharmonie mit vier Streicher*innen, und ein improvisiertes Pas de deux aus dem klassischen Ballett.

Raum für Neues schafft eine Plattform für Tanz als feste Instanz im öffentlichen Raum. Jenseits von Bühnen suchen wir nach Formen der Bewegung, die einen anderen Umgang und Ausdruck des Körpers mit und im Raum zeigen. Städtische und urbane Räume haben unterschiedliche Strukturen und Atmosphären. Sie bestimmen in hohem Maße die Art, wie wir uns im öffentlichen Raum verhalten und bewegen. Mit Raum für Neues bringen wir die Zuschauer*innen ihrem eigenen Bewegungsraum wieder näher und regen an, diesen zu erkunden.

 

Bisherige Produktionen der AMP Dance Company

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