Argumente für eine kulturelle Umgestaltung
Die digitale Bühne in Indien

Die Wahrnehmung der lokalen Kultur während der Pandemie in Indien.
Die Wahrnehmung der lokalen Kultur während der Pandemie in Indien. | Foto (Ausschnitt): © Adnan Sharda

Ob Theater, Tanz, Musik, Kunst, Film oder Literaturfestivals, die Pandemie hat die Kreativwirtschaft gezwungen, ihre Beziehung zur digitalen Welt zu überdenken. Warum die Nutzung digitaler Formate für Kulturschaffende im Allgemeinen kein schlechter Ansatz ist, erklärt die indische Kulturunternehmerin Rashmi Dhanwani im folgenden Beitrag.

Von Rashmi Dhanwani

Welche tiefgreifenden Auswirkungen die Pandemie auf die Kreativwirtschaft in Indien hat, das versuchen der British Council, die Industrie- und Handelskammer Indiens sowie die Art X Company in der dreiteiligen Umfragereihe Taking The Temperature aufzuzeigen. 742 Vertreter*innen von Kulturorganisationen und Einzelpersonen des indischen Kultursektors haben teilgenommen. Die zweite, Anfang 2021 veröffentlichte Umfrage untersucht die zunehmende Krise und legt offen, wie stark der Kultursektor in Indien unter der Pandemie leidet.

Die Umfrage vermittelt das folgende Bild: 67 Prozent der Befragten sind sich nicht sicher, ob sie mit ihrem vorhandenem Einkommen und Fördermitteln mehr als ein Jahr lang existieren können; 90 Prozent der Befragten befürchten, dass das Social Distancing langfristig die Kreativwirtschaft beeinflussen wird; 60 Prozent der Befragten glauben, dass es neun Monate bis zu einem Jahr dauern wird, bis sich in der Kreativwirtschaft erste Anzeichen einer Erholung bemerkbar machen werden. Die Kreativwirtschaft schrumpft, da 16 Prozent des Kreativsektors kurz vor der Dauerschließung stehen. Viele Kulturorganisationen schließen, um nicht Konkurs anmelden zu müssen. 22 Prozent des kulturellen Sektors werden geschätzt mehr als 75 Prozent ihres Jahresumsatzes einbüßen. Einzelne Fachleute und Kunstschaffende leben in Zeiten, in denen Tätigkeiten auf digitale und Live-Geschäftsmodelle ausgelagert werden, bereits von der Hand in den Mund.

In Indien gibt es keine Kulturpolitik, kaum Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Kunstmanagement - der Kultursektor funktioniert sehr informell und basiert oft auf seinem eigenen Erfindungsreichtum, um überleben zu können. Als während der Pandemie die Alarmglocken ertönten, hatte man es plötzlich sehr eilig, seine Angebote zu digitalisieren. Die Digitalisierung barg jedoch ganz eigene ungeahnte Herausforderungen.

Eine davon ist die Annahme, dass Digitalisierung mit einem demokratischen Zugang einhergeht. Der Zugang zur digitalen Infrastruktur und zu Endgeräten ist jedoch von Ort, Geschlecht und soziökonomischen Faktoren abhängig. Darum ist es wichtig, zu wissen, wie man das digitale Publikum digital gezielt anspricht. Auch die Machenschaften der großen Technologiefirmen und die Konsequenzen für die ästhetische und soziale Autonomie geben Grund zur Besorgnis. Digitale Plattformen werden für verschiedene Zwecke gestaltet, und digitale Angebote werden generell an diese angepasst. So wurde auf Zoom, einer Plattform, die ursprünglich als Treffpunkt konzipiert war, auch „digitales Theater“ möglich gemacht. Die meisten neuen digitalen Räume sind nicht für kulturelle Onlineaktivitäten und Veranstaltungen konzipiert worden und so ist es Kulturmanager*innen überlassen damit zu experimentieren und ständig Neues zu lernen.

Mehr Publikum im digitalen Raum erreichen

Der Beginn der Pandemie brachte einerseits eine neue Chance, aber auch eine Gefahr. Durch die Einschränkungen im Live-Sektor sah man sich bedroht, Publikum, Jobs und seine Lebensgrundlage zu verlieren. Das Ganze barg jedoch auch die Chance, Kultur neu zu denken. Es galt, neue Wege zu finden, wie man sein Publikum erreicht und diesem gleichzeitig ein attraktives Kulturangebot bietet.

Das Literaturfestival Tata Literature Live, das 2021 digital stattfand, ist ein Beispiel dafür, wie die digitalen Beziehungen zu einem Publikum aufgebaut oder gestärkt werden können. Das Festival gibt seine Daten auf Instagram bekannt und ein Freund oder eine Freundin teilt diese Informationen mit Ihnen und beeinflusst Sie dahingehend, sich anzumelden. Wenn Sie gerne lesen und motiviert sind, sich anzumelden, nehmen Sie Ihr Gerät (Smartphone, Tablet, Computer) zur Hand, um mehr darüber zu erfahren. Wahrscheinlich finden Sie die Informationen auf den Social Media Seiten oder der Website der Veranstaltung, daher bestimmen Sie die Plattform, auf der Sie besagte Informationen finden. Die Reichweite dieser Plattform und deren Kommunikation mit Ihnen (Informationen zur Registrierung, Tageskalender, Einladungen zu besonderen Veranstaltungen, Anzeige, wie viele Ihrer Freunde sich bereits angemeldet haben) hat Einfluss auf Ihr Verhalten und entscheidet mit, ob Sie teilnehmen oder nicht.
  • CMDA, Grafikschreiber - WS7c © Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan Mumbai

    Ablauf für das Engagement mit dem Publikum

  • CMDA, Grafikschreiber - WS7d © Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan Mumbai

    Ablauf für das Engagement mit dem Publikum

​​​​​​​ Das Verständnis dieses Ablaufs ermöglicht es, die einzelnen Handlungen zu identifizieren und zu beeinflussen. Eine kulturelle Organisation kann also noch proaktiver und zielgenauer mit ihrem Publikum in Kontakt treten.

Die digitale Welt neu denken

Ist digital das Gegenteil von physisch? Dr. Padmini Ray Murray, die Gründerin des feministischen Designkollektives Design Beku, plädiert dafür, beide Dinge nicht als gegenteilig zu betrachten, sondern Wege zu finden, wie sie miteinander existieren können. Onlineveranstaltungen ermöglichen eine bessere Skalierbarkeit, etwa bei Großveranstaltungen. Gleichzeitig können hier ganz neue Formen der Intimität entstehen, die die Grenzen von Raum und Zeit überwinden. Gleichzeitig bedeutet online zu sein nicht automatisch vernetzt zu sein; dass man mit einer großen Gruppe verbunden ist, nur weil man online ist.

Dr. Ray Murray schlägt vor, den Fokus weg von den Vorteilen der Skalierbarkeit zu lenken und stattdessen die Intensität in den Vordergrund zu rücken. Ersteres sei ein Netzwerk, das die Verbreitung einer Menge an Informationen zum Ziel hat, letzteres intensiviert und verbreitet dagegen mit Bedacht. Zoom-Boxen können anstrengend sein, sie bieten jedoch auch die Möglichkeit eines intimen Rahmens, den man sonst nur durch Reisen von einem Kontinent zum anderen schaffen kann. Hier können exklusive Erlebnisse entstehen, etwa genau auf die Zielgruppe abgestimmte Workshops und Ideenfindungsprozesse, und man kann auf ganz neue Weise kreativ und flexibel sein.

Bei der Auswahl der Plattform sind die Art der Veranstaltung und die Zielgruppe sehr wichtig. Online-Plattformen werden zu verschiedenen Zwecken entwickelt und können jeweils auf die Beschaffenheit der digitalen Veranstaltung angepasst werden. So wurde Zoom, wie bereits oben erwähnt, als Online-Treffpunkt geschaffen, später aber auch für „digitales Theater“ genutzt. Einige andere, etwa HopIn, Harkat Virtual Interactive Stage und GatherTown erlauben noch innovativere Experimente rund um die Bereiche Workshops, Kulturkonferenzen und digitales Theater.

In einer post-pandemischen Welt – oder besser in mitten eins pandemischen Universums – verlangt es Ideen als auch Kapazitäten um in der digitalen Welt zu bleiben. Letztere sind allerdings auf dem Kultursektor in Indien sowohl in Sachen Förderung als auch Weiterbildung Mangelware. Daraus ergibt sich ein Ansatz, der gleichermaßen kollaborativ wie demokratisch ist und der auf das Teilen von Erlebnissen, gerechtem Zugang für alle und übersetzbare Inhalte setzt. Wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann die Verletzlichkeit des kulturellen Bereichs, denn hier herrschen äußerst ungleiche Förderstrukturen und Wissenslücken im Umgang mit der digitalen Welt. Für kulturelle Einrichtungen ist das Teilen von Daten, Informationen und Ressourcen als Akt der Kollektivierung ein idealer Weg, den Herausforderungen der digitalen Sphäre zu begegnen.

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