Für die Regisseurin Verena Regensburger stellt die Entwicklung von Theaterprojekten im Team das Zentrum ihrer künstlerischen Arbeitsweise dar. Inhaltlich beschäftigt sie sich in ihren Projekten mit unterschiedlichsten Facetten von Kommunikation. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gegenüber steht hierbei stets im Fokus.
Regensburger plant in ihrer bangaloREsidency zusammen mit den SchülerInnen der Abhinaya Taranga Schauspielschule Spektren verschiedener Kommunikationsstrategien zu untersuchen.
Wie können wir uns verständigen, wenn wir nicht die selbe Sprache sprechen? Zum einen lässt sich über Körper — Gestik und Mimik — Rudimentäres unmittelbar ausdrücken, zum anderen bietet auch der Klang der Stimme, die Akzentuierung und die Sprachmelodie Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren. Durch gemeinsam entwickelte ästhetische Formen wird der Mensch als Sprachkünstler identifiziert und ein System über allgemeingültige und individuelle Ausdrucksweisen ohne Sprachbarrieren kreiert.
Verena Regensburger studierte Theaterwissenschaften sowie Sprachen, Literatur und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2013 und 2014 erhielt sie das "Deutschland Stipendium". Während ihres Studiums hospitierte sie u.a. am Residenztheater München sowie an den Münchner Kammerspielen in Regie, Video und Bühnenbild.
Von der Spielzeit 2014/2015 bis 2016/2017 war Regensburger Regieassistentin an den Münchner Kammerspielen. Sie arbeitete u.a. mit den RegisseurInnen Susanne Kennedy, Martin Kušej, Armin Petras, Nicolas Stemann, She She Pop, Stefan Pucher, Yael Ronen und Christoph Marthaler.
Im Rahmen ihrer Assistenzzeit inszenierte sie u.a. das Märchen "Peterchens Mondfahrt" und "Das Leben am Ende der Selfie-Stange" — ein Projekt, das Regensburger mit Schülerinnen aus München entwickelte und an den Kammerspielen sowie beim “TuSCH“-Festival zeigte. "LUEGEN" ist ihre Abschlussarbeit an den Münchner Kammerspielen. Verena Regensburger erarbeitete mit der Schauspielerin Wiebke Puls, der gehörlosen Schauspielerin/Tänzerin Kassandra Wedel und ihrem Team ein Theaterstück, bei dem die Bühne zum Experimentierraum für bewusst und unbewusst Kommuniziertes wird. "LUEGEN" wurde zum "NO-LIMITS" Festival Berlin, dem "SOMMERBLUT" Festival in Köln sowie zu den "Bayerischen Theatertagen" in Fürth eingeladen und ist weiter im Repertoire der Münchner Kammerspiele zu sehen.
Am Residenztheater München leitet Regensburger Workshops zur Vorbereitung für Vorsprechen an Schauspielschulen. Derzeit arbeitet sie mit den Schweizer Musikern Hank Shizzoe und Michael Flury an einem Update der "Golden Record", einem Datenträger, der sich auf zwei NASA Sonden befindet und Außerirdischen von uns Menschen berichten soll. In der Veranstaltungsreihe "VOYAGER III" in Zürich (Schweiz) werden bei jeder Folge neue Bild-, Ton- und Musikinhalte mit einem musikalischen und einem intellektuellen Experten diskutiert. Ihre aktuelle Inszenierung "die dada. das öffnen und schließen des mundes." untersucht Lautgedichte und behandelt dabei folgende Fragen: Welche Kraft entfaltet Lautmalerei für eine gehörlose Person, für die das ursprüngliche Klangereignis zunächst nicht wahrnehmbar scheint? Wie gestalten sich alternative Wahrnehmungsweisen, wenn auditive Impulse fehlen? Die Arbeit erhielt die Debütförderung der Stadt München.
Abschlussbericht
Ich wäre gerne geblieben. Sieben Wochen in Bangalore und ich habe nicht genug gesehen und erfahren, obwohl ich bereits viel über die Kultur, das Land und die Menschen lernen konnte. Beim Zusammenleben mit den Menschen vor Ort und der Entwicklung eines Theaterstücks, gemeinsam mit indischen Schauspielern sammelte ich ganz persönliche Eindrücke und Einsichten in die Lebensweise der Menschen in diesem Land. Dies hätte mir kein Reiseführer vermitteln können. Ich bin mehr als dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, so viel zu lernen. Es geht stets um einen, den eigenen Entwicklungs-Prozess.
Mein BangaloREsidency-Host war Abhinaya Taranga — eine Schauspielschule, die eine wichtige Rolle in der Kultur-Szene Bangalores spielt.
Bevor ich nach Indien kam, wusste ich nicht, wie das Theatersystem in Indien funktioniert und was es wirklich bedeutet “eine Theaterschule für Berufstätige aus allen Bereichen des Lebens“ zu sein. Es heißt im Wesentlichen, dass die meisten SchülerInnen arbeiten müssen, um Geld zu verdienen und am Nachmittag den Schauspiel-Unterricht zu besuchen. Die Besonderheit von Abhinaya Taranga ist: das Ziel der Schule besteht nicht primär darin, die StudentInnen zu guten SchauspielerInnen zu erziehen, sondern zu sehen, wie sich die StudentInnen am Ende der Ausbildung zu kritischen Denkern entwickelt haben.
Ich hatte das große Glück, dass ich mich als Teil der ganzen Familie meiner Gastmutter fühlen durfte. Mal bei der einen, mal bei der anderen Tochter von Gowri untergebracht, verbrachte ich viel Zeit mit der gesamten Familie. Sie alle sind Künstler. Wir führten tiefgreifende Diskussionen, in denen sie mir erzählten, wie sie ihr traditionelles und / oder modernes Leben in Indien führen und, was noch wichtiger ist, wie andere im Gegensatz zu ihnen leben. Ein Teil von Abhinaya Taranga zu sein bedeutet auch Teil einer Schauspielschule, einer Kunstschule und einer Puppenspieler-Familie zu sein. Ich war umgeben von SchauspielerInnen, SängerInnen, TänzerInnen, PuppenspielerInnen und bildenden KünstlerInnen. Ich hatte viele Fragen und erhielt viele Antworten. Eines habe ich gleich zu Beginn gelernt: Es ist immer 50/50, es gibt immer zwei Seiten einer Münze bzw. der indischen Gesellschaft.
Als ich die drei ehemaligen Schauspielschüler von Abhinaya Taranga, Vishal Patil, Ajay Sharma und Raghu Dayear traf, stand es noch nicht fest, dass wir gemeinsam ein Theaterstück entwickeln würden. Wir wollten zunächst nur an dem Thema arbeiten: „Wie können wir miteinander kommunizieren, auch wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen.“ Nach eineinhalb Wochen verstand ich jedoch, dass jeder der drei Schauspieler zwar bis zu fünf verschiedene Sprachen und Dialekte sprechen kann, aber selbst wenn das Publikum diese Sprachen nicht sprechen würde, könnten sie doch das Meiste verstehen. Deshalb änderten wir unsere Fragestellung ab. Wir hatten bis dato bereits Einiges gemeinsam herausgefunden und Szenen entwickelt — Szenen, bei denen ich erstaunt versucht hatte, herauszufinden, was die Drei mir in ihrer Sprache vermitteln wollten. Doch dieser Effekt und diese Lernerfahrung könnte sich niemals in einem vergleichbaren Maße bei einem lokalen Publikum einstellen, welches die Sprache versteht. Ein Beispiel: die drei Schauspieler teilten sich in einer Szene die Möglichkeiten, sich auszudrücken, auf: einer konnte nur seine Stimme verwenden, der andere seine Körpersprache und der dritte seine Gesichtsausdrücke, um gemeinsam etwas zu erzählen. Würden die Zuschauer die Wörter jedoch verstehen, würden Gesten und Gesichtsausdrücke nur wie Pantomime für die gesprochene Sprache sein und somit weniger interessant, um nicht zu sagen langweilig.
Am Ende blieben wir beim Thema „Wie kann man sich kennenlernen?“ und nahmen den zweiten Teil der Frage „…, selbst wenn man nicht dieselbe Sprache spricht“ im doppelten Sinne. In der Inszenierung geht es nun also nicht um verschiedene gesprochene Sprachen, sondern um unterschiedliche Denkweisen. Die Inszenierung My Name Is I Love You gibt Aufschluss über die Hindernisse, welche die drei jungen Männer in ihrem Streben nach Liebe im Kontext der indischen Gesellschaft zu bewältigen haben. Es geht um verliebte Menschen und wie sie mit ihren Beziehungen Verstecken spielen müssen. Es geht um Liebe und arrangierte Liebe. Wir erforschten weiterhin das Spektrum unterschiedlicher Kommunikationsstrategien und stellten uns die Frage, wie wir einander begegnen, wenn wir jemanden kennenlernen oder wie wir uns in Sachen Liebe verhalten. Nach den ersten Wochen intensiver Gespräche über die verschiedenen kulturellen Kontexte entstand das Stück aus dem Team heraus. Wir wollten die Perspektive öffnen, sodass wir nicht nur den Standpunkt der drei Männer zeigen und wollten somit genau die 50/50-Kultur darstellen, von der ich bereits so viel erfahren hatte. Die fünf Antworten, die ich während den Proben am häufigsten auf meine Fragen erhielt: Wir sprechen nun generell, also im Allgemeinen. Es kommt darauf an. 50/50. Weil es gesund ist. Dies ist aus religiösen Gründen.
Es war nie so gedacht, dass ich als Fremde nach Bangalore komme, Fragen stelle, ihre Lebensweise hinterfrage und die Ergebnisse in einem Theaterstück zeige — wir haben uns getroffen und alles andere hat sich daraus entwickelt. Für Einheimische, die dieses Stück sehen, ist das, über was wir sprechen, zum größten Teil vielleicht nichts Neues. Aber es ist neu, dies auf einer Theaterbühne und auf eine humorvolle Art und Weise zu zeigen. Ja, manchmal ist dieser Abend auch sarkastisch, aber wir wollen niemals urteilen oder verurteilen.
Unsere Arbeit und unsere Ideen werden davon beeinflusst, was wir sehen, was wir tun und worüber wir nachdenken — und andersherum. Dies ist immer so. Ein BangaloREsident zu sein war für mich sehr intensiv, denn ich hatte einen anderen Fokus, eine andere Wahrnehmung, Verknüpfung, einen anderen Flow, da mein privates Leben in Bangalore eine direkte Inspiration für meine Arbeit mit den drei indischen Schauspielern war. Fragen, die ich mir am Tag stellte, fanden ihre direkten Antworten in der Arbeit. Dabei lernte ich neben der fremden Kultur viel über mein eigenes Zuhause und über mich selbst. Denn jede Frage, die ich stellte, warf nicht selten eine Gegenfrage auf. Ich musste unsere deutschen oder bayerischen Gewohnheiten erklären und mich selbst formulieren.
Vishal Patil, Ajay Sharma und Raghu Dayear erklärten mir: „Alles, von dem man lernen kann, ist ein Gott.“ Ich kam, um sie als Theaterregisseurin zu unterrichten, aber sie haben mir sehr viel beigebracht. Dhan’yavādagaḷu.