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Max Mueller Bhavan | Indien Chennai

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19:00 Uhr

Symphonische Dramen und eine Entdeckung

DIGITAL CONCERT HALL|Digital Concert Hall in Zusammenarbeit mit der Berliner Philharmoniker

  • Goethe-Institut / Max Mueller Bhavan Auditorium, Chennai

  • Preis Eintritt is Frei!

Symphonic Dramas and a Discovery © www.digitalconcerthall.com

Jakub Hrůša  Dirigent         
Stéphanie d’Oustrac Mezzo-Sopran
 
Das Goethe-Institut Chennai lädt alle Liebhaber der westlichen klassischen Musik zum digitalen Konzert der Berliner Philharmoniker mit hochauflösendem Video-Live-Streaming ein. Das Digital Concert Hall mit ihrem exzellenten Ton und Video ist das beste close-to-real-Erlebnis, das man bekommen kann.
 
Programm
 
Miloslav Kabeláč
Mysterium času (Mysterium der Zeit), Passacaglia für großes Orchester op. 31  (28 Min.)
Antonín Dvořák
Othello, Konzertouvertüre op. 93  (17 Min.)
Hector Berlioz
Cléopâtre, Scène lyrique (24 Min.)
Béla Bartók
Der wunderbare Mandarin, Suite Sz 73 (23 Min.)
 
Bei seinem philharmonischen Debüt im Oktober 2018 erwies sich Jakub Hrůša als begnadeter Geschichtenerzähler: Mit der Aufführung u. a. von Antonín Dvořáks Tondichtung Das goldene Spinnrad stellte er die musikalische Version eines der bekanntesten tschechischen Märchen vor. Nun kehrt der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker zum zweiten Mal ans Pult der Berliner Philharmoniker zurück und hat wieder eine mitreißende Tondichtung des tschechischen Komponisten auf das Programm gesetzt: die Konzertouvertüre Othello, die von William Shakespeares gleichnamigen Drama inspiriert ist und eine der destruktivsten Seiten des menschlichen Seins behandelt: Eifersucht, Rachedurst, Wut, zudem auch Liebe, Verzweiflung, Schmerz, und schließlich Reue – Dvořák führt den Titelhelden durch ein weitgespanntes emotionales Spektrum.
 
Auch Hector Berlioz weiß extreme Seelenlagen wirkungsvoll in Musik zu setzen. In seiner Scène lyrique Cléopâtre geht es um die letzten Augenblicke der ägyptischen Königin vor ihrem Freitod durch einen Schlangenbiss. Sie erinnert sich an glorreiche Zeiten und trauert um den Verlust ihrer Schönheit und Macht. Die Mezzosopranistin Stéphanie d’Oustrac, die als Spezialistin für das französische Repertoire gilt und nach fast 20 Jahren zu den Philharmonikern zurückkehrt, verleiht Kleopatra ihre Stimme. Noch am Anfang seiner Komponistenkarriere stehend bewies Berlioz in diesem Werk, welch revolutionäres Potenzial in ihm steckt. Sein exzentrischer Stil fand bei den Zeitgenossen allerdings noch wenig Anklang.
Einen regelrechten Skandal löste 1926 die Kölner Uraufführung von Béla Bartóks grotesker Ballettpantomime Der wunderbare Mandarin aus. Der ungarische Komponist spiegelt in diesem Werk das apokalyptische Lebensgefühl jener Zeit wider – mit einer aggressiven Motorik, einer atonalen Harmonik und einer expressiven, verstörenden Klangsprache. Das Ballett, aus dem Bartók zwei Jahre nach der Uraufführung eine Konzertfassung in Suitenform zusammenstellte, handelt von einem jungen Mädchen, das von gewissenlosen Zuhältern verschachert werden soll. Drei berührende Geschichten, drei packende Kompositionen.
 
Den Kontrast dazu bildet das erste Stück des Programms: Mysterium času, in dem Miloslav Kabeláč dem Phänomen der Zeit nachspürt. Der 1908 in Prag geborene Komponist hatte während des Nationalsozialismus und des kommunistischen Regimes in seinem Land keine Chance auf Erfolg. Das prägte seinen Stil. ‚Seine Stücke sind Studien, was Musik ohne außermusikalische Hilfe ausdrücken kann‘, erklärt Hrůša, für den Kabeláč einer der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts ist.
 
Totgeschwiegen: Miloslav Kabeláč und sein Mysterium času
 
Gänzlich andere Dimensionen berührt Miloslav Kabeláčs Mysterium času (Mysterium der Zeit). Nach Art eines Cantus firmus monothematisch gearbeitet, führt das Stück in einem gewaltigen Bogen von der Zeitlosigkeit über die Zeit zurück in die Zeitlosigkeit, kündet vom Geheimnis des Werdens und Vergehens. Diese Musik hat nicht Antagonismen zum Gegenstand, sondern das Wirken von Urkräften, die derselben Quelle entstammen. Kabeláč verwendete die gleiche Struktur später auch in seiner Siebten Symphonie, deren Sätze Ewigkeit – Mensch – Ewigkeit betitelt sind. Mysterium der Zeit nannte er eine Passacaglia, doch könnte es ebenso gut eine Chaconne oder nichts von beidem sein. Unbestreitbar ist es eine unmittelbar bezwingende Tondichtung, eine gleichermaßen verinnerlichte wie majestätische Meditation über das Wesen der Zeit, ohne die es weder Menschen noch Musik gäbe.
Kabeláč gehört zu den tragischsten Gestalten der modernen Musik. Seine Werke durften während der deutschen Besatzungszeit im damaligen »Protektorat Böhmen und Mähren« nicht gespielt werden, und er gab alle Ämter auf, weil er sich nicht von seiner jüdischen Frau trennen wollte. Das Ehepaar überlebte nur dank der aufopferungsvollen Hilfe einiger Freunde. Anders als viele seiner Kollegen verweigerte Kabeláč sich von 1948 an den politischen und ästhetischen Doktrinen des sogenannten Sozialismus. Die Partei strafte den Musiker dafür mit dauerhafter Marginalisierung. Nach Jahren, in denen nur grauer Beton gegossen wurde, verteilten die Apparatschiks auch gern mal ein paar Blumen – dann waren hin und wieder Kabeláč-Aufführungen möglich. Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs setzte endlich die Wiederentdeckung dieses Meisters ein. Sie fand ihren bisherigen Höhepunkt 2016 in der Gesamtaufnahme aller acht Symphonien durch das Rundfunk-Symphonieorchester Prag unter der Leitung von Marko Ivanovič.
 
Tod durch Eifersucht: Antonín Dvořáks Othello op. 93
 

1893 hatte Antonín Dvořák Aus der Neuen Welt vollendet, seine Neunte und letzte Symphonie, 1895 das Cellokonzert h-Moll und die letzten beiden Streichquartette. Danach mied er die absolute Musik. Die folgenden vier Tondichtungen nach Schauermärchen Karel Jaromir Erbens, sein letztes Instrumentalstück Heldenlied von 1897 und drei Opern, unter ihnen Rusalka (1900), bestätigten seine Selbsteinschätzung als vorwiegend dramatischer Tonsetzer. Doch ist die Grenze nicht so leicht zu ziehen, wie Dvořák behauptete. Er hatte schon vor 1895 programmatische Orchesterdramen geschrieben, und die wiesen sogar symphonische Formen auf. Hierzu zählen die Hussiten-Ouvertüre aus dem Jahre 1883 und ein Anfang der 90er-Jahre entstandener Zyklus von drei Konzertouvertüren. Sie bildeten ursprünglich ein thematisch und harmonisch verknüpftes Triptychon unter dem Titel Natur, Leben und Liebe, doch entschloss sich Dvořák dann zur Einzelveröffentlichung und gab den Ouvertüren konkretere Titel, nämlich In der Natur, Karneval und Othello. Er schätzte die Werke sehr hoch, verabschiedete sich mit zweien von ihnen im April 1892 vom Prager Publikum und dirigierte sie im Oktober bei seinem New Yorker Inaugurationskonzert.
Die Titeländerung deutet darauf hin, dass Othello in allgemeinen Zügen die Schattenseiten der Liebe schildern sollte, die Zerstörung des Glücks durch dämonische Eifersucht. Das Stück bedient sich der Konfrontation zweier symphonischer Themengruppen: Othello wird eröffnet durch einen ruhevollen, erfülltes Liebesglück vorstellenden Choral, der schon im zehnten Takt von einem schneidenden Aufschrei der Streicher unterbrochen wird; der Choral kehrt kurz zurück, dann meldet sich in den Holzbläsern das aus der ersten Ouvertürebekannte namensgebende »Natur«-Motiv, zunächst noch indifferent, doch alsbald dämonische Größe gewinnend. Die dunkle Seite der Natur, zerstörerische Leidenschaften symbolisierend, entwickelt es sich zum Hauptthema eines Werks, das nicht an brutalen Attacken in dreifachem Forte spart und am Ende die kompositorische Faktur selbst zu zerbrechen droht.
 
Tod einer Königin: Cléopâtre von Hector Berlioz
 
Dass Hector Berlioz bei seinen Anläufen, den Rompreis zu ergattern, mehrmals scheiterte, ist eine immer wieder gern referierte Geschichte, die freilich niemand so süffisant zu erzählen weiß wie der Meister selbst in seinen Memoiren. Dem avantgardistischen Geniestreich Cléopâtre, einer Scène lyrique für Sopran und Orchester, fällt in der Erzählung eine zentrale Rolle zu: Was die Jury der Académie des Beaux-Arts so schockierte, dass sie 1829 Berlioz den Preis nicht zuerkennen wollte (der wurde in jenem Jahr allerdings auch keinem anderen Aspiranten zugesprochen), hatte mit der revolutionären Tonsprache dieser Kantate zu tun. Frankreich liebte politisch-gesellschaftliche Umstürze, aber keine musikalischen. Bei Berlioz war es umgekehrt.
Cléopâtre zelebriert den Freitod der ägyptischen Königin mit veristischer Genauigkeit, das Stück ist Thriller und Psychogramm in einem. Die orchestrale Einleitung kündet von der seelischen Zerrissenheit und Trauer der Protagonistin. Ihre Situation ist denkbar tragisch: Die Seeschlacht von Actium Anfang September des Jahres 31 v. Chr. ging auch für Kleopatra verloren; Marcus Antonius, ihr Geliebter und Gegenspieler des siegreichen Octavian, nahm sich das Leben, und der neue Herr Roms wies die Königin schändlich zurück. In ihrem ersten Rezitativ bedenkt Kleopatra die aussichtslose Situation. Ein Lento cantabile ist der Erinnerung an ihre beiden römischen Liebhaber Cäsar und Marcus Antonius geweiht. Doch mit erschrecktem Aufschrei fährt die Erinnerung an Actium dazwischen. Ein mit Méditation überschriebenes Largo misterioso bringt, zu suggestiven Klängen wie aus einer altägyptischen Totengruft, Kleopatras Beschwörung der Vorfahren, der ruhmreichen Pharaonen. Letzte Rettung scheint ihr der tödliche Biss einer Natter zu sein. Mit verlöschender Sprechstimme gedenkt sie noch einmal ihres Geliebten Marc Anton, dem sie sich durch dieses Ende als würdig zu erweisen hofft. Das Orchester schildert die Todeszuckungen und den immer stockender werdenden Herzschlag der größten Königin des Altertums.
 
Tod und Erlösung im Stundenhotel: Béla Bartóks Wunderbarer Mandarin
 

Béla Bartóks für Orchester, Chor und Tänzer geschriebene Pantomime Der wunderbare Mandarin wurde bei der Uraufführung 1926 in Köln niedergebrüllt, die örtliche Presse wählte Formulierungen wie »Dokument geistiger Pervertierung« und »Hottentottenkralsmusik«, ein scheinheiliger Berliner Kritiker beklagte, dass man es gewagt hatte, »im ›heiligen‹ Köln ein derartiges Machwerk aufzuführen.« Daraufhin ließ der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer das Stück sofort absetzen. Die Thematisierung von Zwangsprostitution konnte einen schon empören, wenn man den philosophischen Hintersinn nicht verstand, nämlich die Beschwörung des unzerstörbaren sexuellen Triebs – der Komponist selbst sprach von einem Symbol der »alles überwindenden Liebe«. Geschildert wird, wie drei Strolche ein Mädchen zwingen, Männer von der Straße anzulocken. Ein schäbiger alter Kavalier und ein schüchterner Jüngling werden als arme Schlucker hinausgeworfen. Der dritte Gast ist ein unheimlicher Mandarin. Das Mädchen versucht, seine Furcht und Abscheu vor ihm durch einen Tanz zu überwinden, flieht dann aber entsetzt. Nach wilder Jagd holt der exotische Freier die Verstörte ein. Da stürzen die Strolche aus ihrem Versteck, plündern ihn aus und versuchen, ihn unter Kissen zu ersticken, mit einem Schwert zu durchbohren und an der Zimmerlampe aufzuhängen, aber der Mandarin ist partout nicht umzubringen. Er stirbt erst, als ihn das Mädchen in die Arme schließt.
Aufgrund des Skandals fürchtete Bartók, dass andere Bühnen das Stück ablehnen würden. Er schuf deswegen eine Konzertfassung, die eher musikalischen als dramatischen Erfordernissen gehorchte. Verwendung fanden nur die ersten beiden Drittel der Bühnenfassung bis zur Verfolgungsjagd, der Chor entfiel, und es gab einen neuen Konzertschluss. Damit verzichtete Bartók auf die ohnehin von niemandem begriffene moralische Pointe der Pantomime, die mystische Verklärung der Liebe.
 
Das sind die drei herzergreifende Geschichte, spannende Kompositionen und starke dramatische Erfahrungen!