Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Emily Atef im Gespräch
„Ich bin neugierig auf Menschen“

Filmstill aus „3 Tage in Quiberon“ (Ausschnitt)
Filmstill aus „3 Tage in Quiberon“ (Ausschnitt) | © Beta Cinema GmbH, Pressematerial

Der Film „3 Tage in Quiberon“ zeigt die Kinolegende Romy Schneider in einer schweren Krise. Die Regisseurin Emily Atef erklärt, warum sie sich – trotz anfänglicher Bedenken – bereit erklärte, diesen Film zu machen, und was sie an der Figur Romy Schneider so fasziniert.

Emily Atef Emily Atef | © Emily Atef Die Regisseurin Emily Atef wurde vor 45 Jahren als Tochter eines Iraners und einer Französin in West-Berlin geboren. Als sie sieben Jahre alt war, zog sie mit ihren Eltern nach Los Angeles. Mit 13 Jahren wurde sie zum Schulbesuch nach Frankreich geschickt. Eine Zeit lang arbeitete sie als Schauspielerin in London, bevor sie schließlich ein Studium für Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin absolvierte. Sie selbst sagt, sie kenne kein Heimatgefühl, da sie in so vielen unterschiedlichen Gesellschaften gelebt habe. Deshalb habe sie auch keine Angst davor, an Orten zu arbeiten, an denen sie niemanden kennt, nicht einmal die Sprache.
 
Ihren ersten Langfilm Molly’s Way drehte sie in Polen, obwohl sie das Land nie zuvor besucht hatte. In ihren Filmen behandelte sie Themen wie postpartale Depression (Das Fremde in mir) und schilderte die Beziehung zwischen einem geflohenen Strafgefangenen und einem selbstmordgefährdeten Mädchen (Töte mich). In den letzten Jahren arbeitete sie vornehmlich fürs Fernsehen: Wunschkinder handelte von einem jungen deutschen Paar, das sich dazu entscheidet, ein Kind aus einem russischen Kinderheim zu adoptieren, und Königin der Nacht erzählte die Geschichte einer jungen, verheirateten Bäuerin, die sich prostituiert, um den Familienhof zu finanzieren.
 
Mit 3 Tage in Quiberon kehrt Emily Atef triumphal auf die Kinoleinwand zurück. Ihr Film über Romy Schneiders Entziehungskur in einer Nobelklinik in der Bretagne, wurde mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. Im Mittelpunkt des Films steht ein Interview, das während dieses Aufenthalts entstand und 1981 im Stern erschien. Das Interview beginnt mit den Worten: „Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und heiße Romy Schneider“ …
 
Anna Tatarska: Wann haben Sie zum ersten Mal von Romy Schneider gehört?
 
Emily Atef: Als ich in Frankreich lebte. Das war einige Jahre nach Romys Tod, doch ihre Aura, ihre Legende, war noch immer spürbar. In Frankreich war Romy eine echte Filmikone und wurde von allen geliebt. Da ich damals selbst als Deutsche in Frankreich lebte und ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht hatte, spürte ich sofort eine enge Verbindung zu ihr. Im Fernsehen liefen damals einige ziemlich gute Filme, in denen sie mitgespielt hatte, und so lernte ich ihre Leinwandpersönlichkeit kennen. Als junger Mensch interessierte ich mich damals kaum für ihr Privatleben, ihre Liebesaffären, ihre Suchtprobleme und ihre Skandale. Doch ich weiß noch, dass die Erwachsenen mit großer Neugier verfolgten, was die Boulevardpresse alles über sie schrieb. Romy Schneider stand ständig im Fokus von Journalisten und Paparazzi. 
 
Hatten Sie damals schon die Idee, irgendwann einmal einen Film über sie zu machen?
 
Ganz im Gegenteil. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, weil ich mich ganz auf Spielfilme konzentrierte. Die Handlungen meiner Filme waren zwar immer von irgendwelchen wahren Ereignissen inspiriert, aber ich machte aus ihnen eigene, fiktive Geschichten. Außerdem kann ich Filmbiografien nicht ausstehen. Die Idee, ein ganzes Leben in einen Neunzigminutenfilm zu pressen, erscheint mir aus Zuschauersicht geradezu absurd. Ich rede von den konventionellen Filmbiografien, in denen der Protagonist in unterschiedlichen Phasen seines Lebens gezeigt wird, und bei denen wir alle zehn Minuten zehn Jahre in die Zukunft springen. Als mich also eines Tages ein französischer Filmproduzent anrief und mich fragte, ob ich nicht einen Film über Romy Schneider machen wolle, hätte ich fast abgelehnt.
 
Doch schließlich änderten Sie Ihre Meinung.
 
Ich erfuhr von Romy Schneiders letztem großen Interview, das sie dem Stern-Reporter Michael Jürgs gegeben hatte, und den Bildern des Fotografen Robert Lebeck, die während dieses Interviews entstanden waren. Als ich mir diese Fotografien ansah, wurde mir klar, dass dies doch ein Thema für mich war. Ich hatte in meinem Leben schon viele Bilder von Romy Schneider gesehen. Sie war bereits mit vierzehn Jahren ein Star gewesen, und sie war eine Modeikone, die in unzähligen Sessions von den bekanntesten Fotografien abgelichtet worden war – sie war unglaublich fotogen. Doch so wie auf den Fotografien Robert Lebecks hatte ich sie noch nie gesehen. Ich denke, dass dies vor allem mit Lebecks beruflichem Hintergrund zusammenhing. Sein fotografischer Blick war von seiner langjährigen Tätigkeit als Reporter geprägt. Er war im Kongo gewesen, als das Land seine Unabhängigkeit erlangte, er hatte den Alltag in der Sowjetunion dokumentiert und zahlreiche Präsidenten fotografiert. Er arbeitete eng mit dem Stern zusammen, der in diesen Jahren so etwas wie das deutsche Pendant zum amerikanischen Life Magazine war.

Filmstill aus „3 Tage in Quiberon“ (Ausschnitt) Filmstill aus „3 Tage in Quiberon“ (Ausschnitt) | © Beta Cinema GmbH, Pressematerial Lebeck sah in Romy Schneider nicht den Star, sondern den Menschen.
 
Ich hatte das große Glück, Robert Lebeck vor seinem Tod im Jahr 2014 mehrfach persönlich zu begegnen. Er und seine Witwe gaben mir Abzüge sämtlicher Bilder, die während des Interviews in Quiberon entstanden waren. Das war mein Schatz. In der Öffentlichkeit waren nur die etwa zwanzig, von der Stern-Redaktion ausgewählten Bilder bekannt. Ich hatte sie alle. Das Ziel dieser Bilder war es nicht, Romys Schönheit zu zeigen, sondern ihre Essenz. Sie zeigen eine Frau, die in einer tiefen Krise steckt und von Emotionen zerrissen ist. Auf manchen Bildern wälzt Romy sich vor Lachen fast auf dem Boden oder tanzt ausgelassen in einer Bar, auf anderen Bildern wirkt sie gestresst, zieht nervös an ihrer Zigarette und hält sich an ihrem Drink fest. Dazu musste man nur noch dieses legendäre Interview lesen, in dem sie ganz offen über sich selbst sprach und das sie anschließend unzensiert zur Veröffentlichung freigab.
 
Das war sehr vielsagend.
 
Romy Schneider hatte wunderbare Kinder, aber ihre Beziehung zu ihnen war kompliziert. Sie schaffte es einfach nicht, die Mutter zu sein, die sie gerne gewesen wäre. Sie verspürte den Wunsch, sich zurückzuziehen und Ruhe zu finden, doch sie war abhängig vom Leben am Filmset, im Grunde musste sie einen Film nach dem anderen drehen. Alle dachten, sie schwimme im Geld, dabei war sie hoch verschuldet. Keiner ihrer Lebenspartner hat ihr je finanziell geholfen, im Gegenteil: Sie unterstützte sogar noch ihren Ex-Ehemann. Das Aufrechterhalten der idyllischen Fassade – die besten Schulen für ihre Kinder, ein Apartment im besten Viertel von Paris –, all das kostete Geld. Romy war auch abhängig von der Bewunderung durch die Medien, die Filmbranche und das Publikum. Das war zwar keine wirkliche Liebe, doch es war das, was sie mit vierzehn Jahren als Liebe kennengelernt hatte – so sehe ich das. Sie war psychisch und körperlich am Ende. Ich sah auf den Bildern einen der größten europäischen Filmstars, eine Muse vieler berühmter Regisseure, die in einer tiefen Depression steckte.
 
Frauen in Krisensituationen sind ein wiederkehrendes Motiv in Ihrem filmischen Schaffen. Woher kommt dieses Interesse?
 
Ich bin neugierig auf Menschen, ich will sie näher und näher kennenlernen. Meine Filme sind für mich auch eine Chance, selbst etwas zu lernen. Ich schaue gerne meinen Protagonistinnen zu, Frauen in unterschiedlichem Alter, die an einem Wendepunkt ihres Lebens stehen. Ich folge ihnen in dunkle Abgründe, versuche dabei jedoch immer auch, ein wenig Licht zu finden. Sogar bei einem Film wie diesem. Wenige Monate nach dem Stern-Interview kam Romys Schneiders Sohn ums Leben, ein Jahr später starb sie selbst. Aber so konnte ich die Geschichte einfach nicht enden lassen. Ich habe mich stattdessen lieber auf ein Bild konzentriert, das ich ebenfalls unter den Fotografien von Robert Lebeck entdeckt hatte: Romy mit einem Lächeln im Gesicht, in einem Moment der Ruhe. Sie hatte sich den Fuß gebrochen und lag ganz entspannt auf dem Bett, als habe sie für einen Moment all ihre Sorgen vergessen. Lebeck selbst sagt, er habe Romy nie entspannter gesehen als an diesem Nachmittag mit dem gebrochenen Fuß.
 
Wie kam es zu der Entscheidung, das Farbschema von Lebecks Fotografien auch für den Film zu übernehmen?
 
Die Entscheidung, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen, kam gewissermaßen aus dem Bauch heraus. Robert Lebecks Fotografien waren schwarz-weiß, und ich hatte sie mir so lange angesehen, dass ich, als ich anfing das Drehbuch zu schreiben, mir alles immer nur in Schwarz-Weiß vorstellen konnte – obwohl die Filme, die Romy Schneider zu dieser Zeit drehte, Farbfilme waren. 3 Tage in Quiberon ist ja auch der erste Spielfilm über Romy Schneider, alle anderen Filme waren Dokumentarfilme, Farbfilme. Ich wollte mich von diesem Realismus abgrenzen und ein wenig Spielraum für die Phantasie lassen. Die Hauptfigur des Films ist zwar eine reale Person, die Handlung ist jedoch fiktiv. Dass der Film so gut funktioniert, ist auch zum großen Teil ein Verdienst von Marie Bäumer, die die Hauptrolle spielt. Sie hat eine so unglaubliche Ähnlichkeit mit Romy, dass die Menschen den Eindruck haben, eine lebende Legende auf der Leinwand zu sehen, obwohl sie genau wissen, dass Romy Schneider schon viele Jahre nicht mehr unter uns weilt!
 
Wie wir bereits gesagt haben, ist Romy Schneider bis heute eine Ikone. Haben Sie nach der Premiere des Films auch Kritik wegen ihrer Darstellung Romys einstecken müssen?
 
Ich wollte vor allem zeigen, wie Romy Schneider von der Presse fertiggemacht wurde. Während des Interviews tranken alle Kaffee, nur ihr gab man Alkohol. Das konnte selbstverständlich auch daran liegen, dass, wenn Romy sagte, sie wolle Wein trinken, niemand den Mut hatte, ihr das abzuschlagen – aber ich habe den Eindruck, dass es viele Menschen gab, die einen Nutzen aus ihrer privaten Tragödie zogen. Ich war nach der Premiere auch verblüfft darüber, wie viele Leute sich daran gestört haben, dass ich eine Frau beim Trinken gezeigt habe. Manche beschwerten sich darüber, dass „meine“ Romy trinkt, raucht und manchmal traurig ist. In Frankreich kam der Film nicht besonders gut an, weil er Romy angeblich in einem schlechten Licht zeigt. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass das Stern-Interview, das der Ausgangspunkt des Films war, mit den Worten beginnt: „Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren und heiße Romy Schneider“. Ein Jahr später starb sie an einem Mix aus Alkohol und Tabletten. Sollen wir so tun, als sei das alles nicht geschehen? Wir sollten uns auch bewusst sein, dass Romy Schneider keine Mimose war, sondern eine emanzipierte Frau. Sie hatte eine Abtreibung vornehmen lassen, als dies in Deutschland noch illegal war. Ihr Foto befand sich auf dem legendären Titelbild des Stern aus dem Jahr 1971, als 374 Frauen in einem Artikel öffentlich bekannten, einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt zu haben. Für Romy war das eine Frage des Menschrechts. Und sie hatte keine Angst, offen darüber zu reden.

 

Top