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Neue Definition des Komforts
Umland oder Kernstädte?

Straßenbahn
© Pixabay

Aus welchen Gründen ändern diese Menschen ihre Meinung und geben etwas auf, das ihnen bis dahin als der Inbegriff von Komfort erschien? Die Untersuchungen von Katarzyna Kajdanek von der Universität Breslau zeigen, wie interessant und vielschichtig dieses wenig untersuchte Phänomen ist. Sie zeigen auch, wie das städtische Leben von den Rückkehrer*innen profitiert – von Menschen, die sich dazu entschließen, dem Umland den Rücken zu kehren und wieder in die Kernstädte zurückzuziehen. Ihre Enttäuschung über das Leben im Umland führt zu einer Neudefinition des städtischen Komforts.

Ein Gespräch mit der Stadtsoziologin Dr. habil. Katarzyna Kajdanek von der Universität Breslau, der Autorin des Buchs Powrotnicy. Reurbanizacja w perspektywie przebiegu życia (Nomos Verlag, Krakau 2022).

Bogna Świątkowska: Du hast ein Buch über die Rückkehr von Menschen in die Großstädte geschrieben, in dem du deine langjährigen Untersuchungen zum Thema Wohnmobilität zusammenfasst. Was ist der genaue Gegenstand dieser Untersuchungen? Und was hat dich dazu bewogen, dich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Katarzyna Kajdanek: Die meisten polnischen Städte wachsen im Verlauf der Suburbanisierung über ihre Grenzen hinaus. Die größeren und mittleren Städte sind von einem „Speckgürtel“ aus Vororten mit vielen neu gebauten Häusern umgeben. In manchen Fällen werden ganze Reihen von Wohnsiedlungen auf bisher brachliegenden Flächen hochgezogen. Mir fiel auf, dass es in den Großstädten dennoch bestimmte Stadtteile und Wohnsiedlungen gibt, deren Einwohnerzahlen nicht zurückgehen, sondern die sich im Gegenteil prächtig entwickeln. Insbesondere hinsichtlich ihrer Infrastruktur: Es entstehen dort neue, multifunktionale Orte, wie zum Beispiel Cafés, Buchhandlungen, Blumengeschäfte, Fahrradläden und interessante Restaurants. Oder einfach Orte, an denen man sitzen, arbeiten und andere Leute treffen kann. Und anschließend kann man nach nebenan gehen, um dort einen Workshop zu besuchen und sich zum Beispiel eine Bluse zu nähen, oder um sein Fahrrad aufpumpen, zu tanzen oder um seine Kinder dort betreuen zu lassen. In diesen Stadtteilen werden auch Änderungen an der bestehenden Infrastruktur vorgenommen. Zum Beispiel wird die Anzahl der Parkplätze reduziert und der auf diese Weise gewonnene Raum für den Fußgänger- und Fahrradverkehr gestaltet. Der Autoverkehr wird durch die Einrichtung von Einbahnstraßen beruhigt, und der öffentliche Nahverkehr wird ausgebaut, indem zum Beispiel Straßenbahnlinien erweitert oder mit barrierefreien Fahrzeugen ausgestattet werden. Ich habe mich gefragt: Was geschieht dort eigentlich? Was ist das überhaupt für eine Phase – wenn man in der Stadtentwicklung überhaupt von Phasen sprechen kann –, in der einerseits viele Menschen der Stadt den Rücken kehren und es andererseits bestimmte Stadtteile gibt, die für andere Menschen sehr attraktiv sind. Als ich mir näher anschaute, was die Siedlungsgeografie, die Demografie und unterschiedliche Modelle der Stadtsoziologie zu diesem Thema zu sagen haben, stellte sich heraus, dass alle diese Modelle auf einem sehr konventionellen Verständnis von Stadtentwicklung basieren, in der bestimmte Phasen unweigerlich auf andere folgen. Wenn eine Stadt wächst, dann wächst sie im Ganzen. In der Phase der Suburbanisierung suchen Familien mit Kindern nach mehr Wohnraum und ziehen aus der Kernstadt in das Umland. Anschließend tritt eine Phase der Desuburbanisierung ein, in der aufgrund demografischer Veränderungen nicht nur die Kernstadt, sondern auch das gesamte Umland an Einwohnern verliert. Und erst nachdem die Stadt auf diese Weise geschrumpft ist, kommt es zu einem Umbruch, und die Menschen beginnen allmählich wieder, die Stadt als einen attraktiven Lebensraum zu begreifen. Dabei sehe ich an den Statistiken, dass ein solches Modell, das von einzelnen Phasen ausgeht und das sehr hierarchisch ist, hier nicht greift.


Warum greift es nicht? Oder besser gefragt: Warum hat es aufgehört, zu greifen?

Vor allem deshalb, weil diesem Modell ein sehr normatives Verständnis des menschlichen Lebens zugrunde liegt. Es besagt, dass du zunächst ein junger Mensch bist, der noch nicht in einer Beziehung, einer Ehe oder einer anderen Lebensgemeinschaft lebt, du wohnst also allein in der Stadt. Anschließend gründest du selbstverständlich eine normative Familie bestehend aus Mann, Frau, einem oder mehreren Kindern und möglichst auch einem Hund. Danach ziehst du in das Umland. Die Kinder werden groß, verlassen das Elternhaus, und du wirst alt. Entweder du bleibst in deinem Haus wohnen oder du ziehst in eine soziale Einrichtung, wenn du dich nicht mehr selbst um dich kümmern kannst. Deine Kinder können dich dort besuchen, wenn sie es möchten. Und all jene, die in die Kernstädte zurückkehren, das ist die Boheme, das sind Künstler, Gentrifikatoren – im Grunde weiß man gar nicht so genau, wer das eigentlich ist. Doch es gibt auch Familien mit Kindern und ältere Menschen, die in die Kernstadt zurückkehren, und nicht nur junge Leute, die einen alternativen Lebensstil pflegen. Und an dieser Stelle wurde mir etwas klar. Es gibt schon seit längerer Zeit empirische Untersuchungen, die sehr deutlich zeigen, dass die alten – konventionellen, hierarchischen und zyklischen – Modelle nicht wirklich das beschreiben, was heute in städtischen Agglomerationen vorgeht. Nicht nur die Beziehungen zwischen der Kernstadt und dem Umland sind wesentlich komplexer geworden, sondern auch die Beziehungen zwischen kleinen und mittleren Städten und ihren Umlandgebieten, die Beziehungen zwischen einzelnen Umlandgebieten und auch die Beziehungen zwischen ganzen Regionen oder Randregionen. Wir dürfen uns nicht mehr auf ein Modell verlassen, das lediglich von einer Kernstadt und einem Umland ausgeht und ausschließlich die Wanderungsströme zwischen diesen beiden berücksichtigt. Der Hauptgrund dafür, dass die Beziehungen zwischen den einzelnen Strukturelementen komplizierter geworden sind, liegt darin, dass das soziale Leben komplizierter geworden ist.


Was bedeutet das? In welchem Sinne ist es komplizierter geworden?

Es sind die Auswirkungen des zweiten demographischen Übergangs: Die Menschen werden wesentlich älter, sie lassen sich häufiger scheiden, sie gehen später Beziehungen ein, leben häufiger in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften, bekommen später Kinder oder entscheiden sich bewusst gegen Nachwuchs. All diese demographischen Phänomene führen dazu, dass es eine größere Vielzahl von Lebensstilen und Lebensentwürfen gibt als noch vor 40 bis 50 Jahren. Wenn es also viele unterschiedliche Lebensweisen gibt und diese sich in unterschiedlichen urbanen Räumen verwirklichen lassen, dann spricht nichts dagegen, dass Städte gleichzeitig eine Suburbanisierung und Reurbanisierung erleben können. Es gibt nach wie vor viele Menschen, die in das Umland ziehen möchten, gleichzeitig gibt es jedoch auch Menschen, die sich dazu entschließen, in die Kernstädte zurückzukehren.


Was hast du im Rahmen deiner Untersuchungen über die Rückkehrer*innen erfahren? Wer sind sie? Was bewegt sie dazu, in die Kernstädte zurückzukehren?

Man kann sich ihnen auf zwei Arten nähern. Einerseits über ihre soziodemografischen Merkmale: ihr Alter, ihre Haushaltssituation, ihr Einkommen, also alles, was ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft betrifft. Aber anderseits auch über ihre Werte und ihre Lebensvorstellungen: über die Frage, was Urbanität für sie bedeutet, und wie sie das Leben im Umland erlebt haben.
Die Menschen, die ich befragt habe, lassen sich in drei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe sind junge Erwachsene, also Personen, die die Kernstadt nicht aus eigener Entscheidung verlassen haben, sondern deren Eltern diese Entscheidung für sie getroffen haben. Sie sind im Umland aufgewachsen, haben dort ihre frühe Kindheit verbracht und sind zum Teil bis in ihre späten Jugendjahre dort wohnen geblieben. Die zweite Kategorie besteht aus Familien mit Kindern im Schulalter. Dies ist eine sehr ungewöhnliche Kategorie, denn die meisten Untersuchungen zu diesem Thema, vor allem englischsprachige Studien, gehen davon aus, dass Familien die mit ihren Kindern ins Umland ziehen, dort langfristig wohnen bleiben, weil es dort bessere Schulen gibt und es den Eltern nicht in den Sinn kommt, die Schulausbildung ihres Kindes zu unterbrechen. Doch die von mir befragten Rückkehrer*innen mit Kindern im Schulalter warten einfach auf einen geeigneten Moment (zum Beispiel die Schulferien oder den Übergang von der Grundschule zum Gymnasium), um in die Kernstadt zurückzuziehen. Die dritte Kategorie besteht aus älteren Menschen, die sich dazu entschließen, ihr Haus im Umland wieder zu verlassen.
Ich sollte hierbei betonen, dass es sich bei den Rückkehrer*innen um finanziell gut gestellte Personen handelt, die nicht jeden Pfennig zweimal umdrehen müssen. Eher im Gegenteil: Es sind Menschen, die trotz der großen Schwierigkeiten auf dem Immobilienmarkt in der Lage sind, die finanziellen Einschränkungen, mit denen viele Menschen derzeit konfrontiert sind, zu überwinden und in die Kernstadt zurückzukehren.


Es scheint, dass dies nicht das einzige Potenzial ist, das sie besitzen. Aus deinen Untersuchungen geht hervor, dass die Energie, die die Rückkehrer*innen mitbringen, neue Erwartungen an das Leben in der Stadt hervorbringt. Welche Dienstleistungen sollte die Stadt für sie bereithalten? Welche Aktivitäten sollte sie den Menschen garantieren, die sich dazu entschließen, in ihr zu leben? In welcher Weise definieren die Rückkehrer*innen die Stadt als einen Gesellschaftsvertrag?

Es gibt drei Werteverschiebungen, die ich bei den Rückkehrer*innen beobachtet habe. Ich möchte sie als „vom Individuellen zum Kollektiven“, „vom Privaten zum Öffentlichen“ und „vom Besitzen zum Nutzen“ bezeichnen. In den Gesprächen mit mir brachten die Rückkehrer*innen zum Ausdruck, dass ihre Entscheidung aus der Kernstadt ins Umland zu ziehen, von einer gewissen Sorglosigkeit (die von einigen auch offen als „Fehler“ bezeichnet wurde) begleitet war. Besonders gut sichtbar wurde dies am Verhältnis zur Natur. Es war faszinierend zu hören, welche Vorstellungen die Rückkehrer*innen vor ihrem Umzug von ihrem Leben im Umland hatten. Sie malten sich aus, in ihrem Garten zu sitzen, auf ihre Obstbäume zu blicken und mit ihren Füßen über den gepflegten Rasen zu streichen, der sich dort schon irgendwie selbst aussäen würde. Sie stellten sich ihr Leben im Umland als ein Paradies der Ruhe und Entspannung vor. Doch schon bald mussten sie erkennen, dass dieses Paradies eine Menge harter, körperlicher Arbeit erforderte. Dass sie nicht nur Blumensträuße arrangieren mussten, sondern auch Äste schneiden, Dachrinnen säubern, den Rasen mähen und so weiter. Die daraus resultierende Erschöpfung nahm ihnen die Freude an jeglicher etwaigen Erholung. Zu allem Überfluss hörten diese Arbeiten auch nie auf, sondern nahmen in einem bestimmten Moment – ihres eigenen Lebens oder jenes des Gartens – solche Ausmaße an, dass sie spezielle Firmen mit ihnen beauftragen mussten. Im Gegensatz zu diesen Erfahrungen schwärmten die Rückkehrer*innen davon, wie schön es sei, durch einen städtischen Park zu spazieren und Einrichtungen zu nutzen, die sie nicht selbst instand halten müssen. In solchen Parks erleben sie eine Artenvielfalt, die ein eigener Garten ihnen niemals bieten kann. Sie können zwischen großen Bäumen entlangschlendern, die wesentlich älter sind als die Umlandgemeinden, in denen sie gewohnt haben. Außerdem kannst du in städtischen Parkanlagen wirklich spazieren gehen, anstatt nur herumzusitzen und zu gucken. In einem Park verändert sich die Landschaft, wenn du dich bewegst und wenn du dich umsiehst, während im eigenen Garten die Aussicht immer die gleiche ist.

Die zweite Umorientierung, die mich interessierte, betraf das Verhältnis „zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen“. Es war verblüffend zu hören, welch große Genugtuung die Rückkehrer*innen aus der Nutzung öffentlicher Dienstleistungen ziehen, die sich nur Großstädte in diesem Umfang leisten können. Das kann der öffentliche Nahverkehr sein oder Einrichtungen der Kinderbetreuung oder auch andere öffentliche Einrichtungen wie Ärztehäuser, Bibliotheken und Veranstaltungszentren. Oder auch kommerzielle Einrichtungen, wie zum Beispiel Cafés, die die Rückkehrer*innen ebenfalls nutzen können, weil sie zum öffentlichen Raum der Stadt gehören.

Auch die dritte Umorientierung „vom Individuellen zum Kollektiven“ war für mich sehr überraschend, weil mir bewusst wurde, dass es den Rückkehrer*innen nicht nur um ihren eigenen, persönlichen Komfort geht. Eher im Gegenteil: Es sind Menschen, in denen des Potenzial brodelt, mehr zu tun, etwas für das Gemeinwohl zu leisten, für andere Menschen da zu sein – sowohl für ihre Nachbarn als auch für Menschen, die sie gar nicht kennen, mit denen sie jedoch gemeinsame Werte, Normen oder Interessen teilen.
Die Rückkehrer*innen engagieren sich nach ihrem Umzug zurück in die Kernstadt stark im sozialen Leben: Sie beteiligen sich an Bürgerbeteiligungsprojekten, gründen Nachbarschaftsinitiativen und organisieren lokale Veranstaltungen, bei denen man zum Beispiel Bücher oder Spielzeug tauschen kann oder bei denen man einfach gemeinsam Limonade trinkt und die eigenen Nachbarn besser kennenlernt. Also zum Teil ganz unkomplizierte und spontane Aktionen, aber auch Projekte, die gewisse Kompetenzen erfordern: Manche der Rückkehrer*innen sichten zum Beispiel Stadtentwicklungspläne, um zu überprüfen, ob in der näheren Umgebung nicht irgendwelche Pläne realisiert werden, die eher den Bauunternehmern als den Anwohnern nützen. Manche stellen sich auch zur Wahl für den Stadtteilrat oder sogar den Stadtrat, um dort die Rechte der Anwohner durchzusetzen. Ich denke, dass sich darin eine Abkehr von den individuellen Interessen – für die sinnbildlich das durch einen Zaun abgegrenzte Vororthaus mit Garten, um den herum es keinen öffentlichen Raum gibt, steht – und eine Hinwendung zum Kollektiven und Gemeinsamen, also zum Öffentlichen ausdrückt.


Welche Rolle spielen die Rückkehrer*innen bei der Neudefinition der Stadt als Gesellschaftsvertrag? In welchem Maß resultiert ihre Entscheidung, in die Kernstädte zurückzukehren, aus ihrer Enttäuschung über das Leben im Umland, also aus all den Unannehmlichkeiten, die du gerade beschrieben hast? Aus welchen Gründen entschließen sich diese Menschen, in die Kernstadt zurückzukehren, die ihnen zwar einerseits ein Mehr an Möglichkeiten, jedoch andererseits auch ein Weniger an Komfort bietet.

Die Rückkehrer*innen vergleichen ihr Leben im Umland mit ihrem Leben in der Kernstadt. Selbstverständlich sind die Kernstädte alles andere als perfekt, doch im Vergleich mit dem, was sie im Umland erlebt haben, bieten sie ihnen das, was für sie wesentlich ist. Das Leben im Umland war für sie gewissermaßen ein Test, der ihnen klargemacht hat, was ihnen im Bezug auf Leben und Wohnen wirklich wichtig ist. Und die wichtigste Einsicht, zu der sie gelangt sind, ist, dass eine Isolation in den eigenen vier Wänden – und sei es in einem noch so schönen Haus auf einem noch so schönen Grundstück mit einem noch so schön entworfenen Garten – ihnen das Gefühl gibt, dass ihnen etwas fehlt. Menschen, die sich dazu entschließen, ins Umland zu ziehen, gehen davon aus, dass sie auf diese Weise die volle Kontrolle über ihre Wohnumgebung erlangen. Sie erliegen dem Trugschluss, dass sie, sobald sie sich ein Haus bauen oder kaufen und ihr Grundstück mit einem Zaun abgrenzen, sämtliche Faktoren, die eine Auswirkung auf ihre Lebensqualität haben, selbst bestimmen. Doch schon bald wird ihnen bewusst, dass dies nicht der Fall ist. Sie haben keinen Einfluss auf ihren Nachbarn, der seinen Plastikmüll im Garten verbrennt, sie müssen selbst Schnee schaufeln oder ihr Grundstück vor ansteigendem Grundwasser schützen. Allmählich begreifen sie, dass die Lösung ihrer Probleme in der Rückkehr in die Kernstadt liegt, in der zwar auch nicht alles perfekt ist, aber in der sie Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen haben und in der ihre Einflussmöglichkeiten und ihr Handlungsvermögen größer sind als in den individualisierten und privatisierten Umlandgemeinden.

Der Vorteil der Kernstadt besteht darin, dass sie nach wie vor, wenn auch nicht im idealen Sinne, eine Polis ist. Wenn du im Umland wohnst, bist auf ein eigenes Auto angewiesen. Wenn es bei dir im Garten stinkt, gibt es keine Institution, bei der du dich beschweren kannst, denn in Umlandgemeinden herrscht ein amoralischer Familismus: Der Nachbar, der ein paar Meter neben dir seinen Müll verbrennt, ist möglicherweise der Schwager, Onkel oder entfernte Verwandte des Polizisten. Die Funktion des Ortsvorstehers oder der Ortsvorsteherin ist de facto ohne Bedeutung, und im Grunde hast du keine Möglichkeit, deine Meinung zu äußern, außer vielleicht auf den nur selten stattfindenden Dorfversammlungen. Der Staat hat sich aus den Umlandgemeinden zurückgezogen, es sind ungeplante und ungenügend finanzierte Gebiete. Die Betreuung von Kindern im Vorschulalter erfolgt dort überwiegend durch Privatpersonen. Bei anderen Institutionen sieht es ähnlich aus. Es gibt Gemeinschaftshäuser, die überhaupt nicht genutzt werden, außer für kommerziell organisierte Veranstaltungen wie Taufen, Kommunionsfeiern, Hochzeiten und Beerdigungsfeiern. Es gibt nichts, was man als öffentliches Leben bezeichnen könnte. Ich denke also, dass ein Bestandteil dieses neuen Gesellschaftsvertrags, der durch die Rückkehrer*innen entstehen könnte, eine Neudefinition und Aufwertung der Rolle des Gemeinschaftlichen, Kollektiven und Öffentlichen ist. Ich weiß, dass das vielleicht ein wenig utopisch klingt, aber ich denke, dass die Erfahrungen der Rückkehrer*innen eng mit der Frage verbunden sind, wie ein neuer städtischer Lebenskomfort aussehen könnte.


Komfort und Sicherheit sind die wichtigsten Faktoren beim Treffen wichtiger Entscheidungen, darunter auch der Entscheidung, wo man gerne leben möchte. Ist das auch für die Rückkehrer*innen zutreffend?

Im Kontext meiner Untersuchungen gewinnt der Begriff Komfort noch einen zusätzlichen Aspekt. Einerseits gibt ein Haus im Umland, das man selbst gebaut, gekauft oder geerbt hat, vielen Menschen eine große Befriedigung und das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Einige dieser Menschen haben mir gesagt, dass man im Umland sehr angenehm leben kann. Doch für die Rückkehrer*innen erweitert der Begriff Komfort seine Bedeutung. Er umfasst nicht nur das eigene Zuhause und die eigene Privatsphäre, sondern auch andere Dinge, die für Menschen wichtig sind. Also all das, was bewirkt, dass sie sich wie sie selbst fühlen. Ich denke, dass ein Teil der Probleme, die Menschen mit dem Leben im Umland haben, und ein Teil der Gründe dafür, dass sie wieder in die Kernstädte zurückkehren, damit zusammenhängt, dass der Komfort des Wohnens in einem eigenen Einfamilienhaus nicht den Diskomfort aufwiegt, der mit der Einschränkung anderer Aktivitäten als der des Wohnens verbunden ist. Zum Beispiel der Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen und des Aufbaus sozialer Kontakte außerhalb der Familie.


Man tauscht also eine gewisse Version von Komfort gegen eine andere ein, die besser zu den eigenen Bedürfnissen und Erwartungen passt?

Genau. Und die Erfahrungen der Rückkehrer*innen zeigen dies sehr gut. Das heutige allgemeine Verständnis von Komfort ist eng mit dem Leben im Umland und dem Besitz eines großen, individuellen und individualistischen Einfamilienhauses verbunden. Die Menschen, die sich dazu entschließen, in die Kernstadt zurückzuziehen, nehmen ein Downsizing ihres Wohnraums vor. Sie ziehen aus großen Häusern – die man heizen, sauber halten und warten muss, was viel Zeit, Geld und Aufwand erfordert – in kleinere Wohnungen um. Die damit verbundene Notwendigkeit, sich von gewissen Dingen zu trennen, verschafft ihnen ein Gefühl von Erleichterung. Viele verkaufen ihren Zweitwagen, und manche verzichten sogar ganz auf ein eigenes Auto. Und sie freuen sich darüber, dass sie und ihre Kinder mit dem Zug in den Urlaub fahren können, weil diese Art des Reisens in Wirklichkeit ausgesprochen bequem ist – man kann zum Beispiel einen Gepäckservice in Anspruch nehmen und anschließend ganz entspannt und nachhaltig an den Urlaubsort reisen. Ganz ohne Stress, bei einer Tasse Kaffee im Speisewagen. Solche Beispiele können verdeutlichen, dass der Verzicht auf bestimmte Annehmlichkeiten, die einem zunächst als unentbehrlich erscheinen, sehr interessante Vorteile mit sich bringt, die über den bisherigen Vorstellungshorizont hinausgehen. Die Rückkehrer*innen zeigen, dass es auch anders geht – und sogar sehr gut.

Publikation mit freundlicher Genehmigung der Fundacja Bęc Zmiana, der Text erschien in Notes na 6 tygodni  Nr. 146.
 

Das Labor für Glücksforschung. Das Leben nach dem Komfortozän
Ein künstlerisch-wissenschaftliches Projekt, das Akteure aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Design, Technologie und Wirtschaft zusammenbringt. Themen: eine Zukunft mit eingeschränktem Komfort, Stadtökologie, die Wirtschaft der Zukunft, die Suche nach Quellen des Optimismus, spekulatives Denken als Motor des Fortschritts und die Bewältigung von Krisen und Knappheiten.

Ein Projekt des Goethe-Instituts, der NGO Bęc Zmiana und des Zentrums für Kunst und Urbanistik (Berlin) mit Unterstützung der Stadt Warschau, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.

Wissenskoproduktion:
Die Akademie der Bildenden Künste in Katowice, BWA Wrocław Galerie Sztuki Współczesnej, das Institut für Stadtkultur (Instytut Kultury Miejskiej) in Gdańsk, der Verband Media Dizajn (Szczeciński Inkubator Kultury) und die Galerie Arsenał in Białystok.

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