Wir leben in einer Welt der Fake News
Dazu gehören Geschichten, in denen Hillary Clinton mit Kinderhandel in Verbindung gebracht wird, die während des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016 kursierten, ebenso wie Werbeanzeigen, die dazu verleiten, in das „Geschäft des Lebens“ zu investieren, oder „wissenschaftliche Berichte“ über die Schädlichkeit von Impfstoffen gegen das Coronavirus. Was haben all diese Behauptungen gemeinsam? Sie sind unwahr und beruhen auf Fake News.
Von Piotr Henzler
Die oben genannten Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs. Es wäre unmöglich, eine vollständige Liste solcher Falschmeldungen zu erstellen, da ständig neue Geschichten in großer Zahl auftauchen, die mehr oder weniger frei erfunden sind. Dass der erste Verweis auf die US-Wahlkampagne von vor neun Jahren fällt, ist kein Zufall: Damals wurde der Begriff „Fake News” erstmals breitenwirksam in den öffentlichen Diskurs eingeführt.
Obwohl Fake News so alt sind wie die Menschheit selbst, erleben sie in den letzten Jahren eine Art „goldenes Zeitalter“. Was entdecken wir bei der Betrachtung ihrer Geschichte? Beginnen wir mit der vielleicht gefährlichsten Form von Falschinformationen: dem sogenannten „Deep Fake“. Dabei handelt es sich um Videomaterial (manchmal auch Grafiken und Fotos), das mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) erstellt oder – was möglicherweise noch schlimmer ist – manipuliert wurde. Das Ergebnis? Wir können echtes Filmmaterial mit unserem Lieblingsschauspieler so verändern, dass er einer uns nahestehenden Person Glückwünsche übermittelt. Oder wir setzen unser eigenes Gesicht auf den Körper eines Stuntmans, der von einem galoppierenden Pferd springt, und prahlen anschließend mit unserer vermeintlichen Beweglichkeit und unserem Mut.
Doch wir können die Möglichkeiten der Technologie auch dazu nutzen, andere zu betrügen, zu manipulieren, lächerlich zu machen oder zu diffamieren.
Deepfakes und „normale“ Fakes
Videomanipulationen sind natürlich nicht die einzige Form von Fake News. Im öffentlichen Raum – vor allem im digitalen – kursiert eine riesige Menge an Textinformationen, die auf viele Menschen glaubwürdig wirken, aber ganz oder teilweise erfunden sind. Diese sehen aus wie Nachrichtenartikel, Experteninterviews, Werbeanzeigen, Ratgebertexte oder sogar „Augenzeugenberichte“ von Personen, die angeblich Zugang zu „geheimen Informationen“ hatten und diese nun veröffentlichen.
So sahen etwa die Inhalte rund um die sogenannte „Pizzagate“-Verschwörung während des US-Präsidentschaftswahlkampfs aus. Ähnlich verhielt es sich mit Hunderten von Angeboten für „lukrative Investments mit sicherer und hoher Rendite“, die angeblich von Prominenten und bekannten Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Sport, allen voran Elon Musk, beworben wurden. Laut Schätzungen der polnischen Nationalbank (NBP) führten diese Betrugsmaschen zu Verlusten in Höhe von rund 300 Millionen Złoty bei polnischen Bürger:innen. Und genauso war es während der Hochphase der Corona-Pandemie, als polnische – und nicht nur polnische – Medien von einer Welle beunruhigender Falschmeldungen über die angebliche Schädlichkeit der Impfstoffe überschwemmt wurden. Dazu gehörte auch die Behauptung, man wolle die Menschen „chippen, um sie zu kontrollieren“.
Neue Technologien ermöglichen die Erstellung manipulierter Inhalte, die kaum von der Wahrheit zu unterscheiden sind. Kritisches Denken und Informationsüberprüfung sind daher unerlässlich. | © Goethe-Institut
Aber was sind Fake News überhaupt?
Die meisten Definitionen gehen davon aus, dass es sich um Informationen handelt, die zumindest teilweise unwahr sind und mit der Absicht erstellt werden, den Empfänger in die Irre zu führen. Die „Unwahrheit“ kann verschiedene Formen annehmen: frei erfundene Fakten, irreführende Präsentationen wahrer Informationen, Berufung auf nicht existente Quellen oder die Darstellung aus dem Zusammenhang gerissener Inhalte.Früher zählten manche auch satirische Inhalte oder unbeabsichtigte Fehler der Autor:innen dazu. Heute wird jedoch vermehrt betont, dass die Absicht entscheidend ist – und damit auch die potenziellen Folgen der Verbreitung solcher Informationen.
Aus dem Netz – und von unseren Liebsten
Man neigt dazu, die Schuld für die Verbreitung von Fake News allein dem Internet oder den sozialen Medien zu geben, was durchaus berechtigt ist. Aber man sollte nicht vergessen, dass falsche Informationen auch in den traditionellen Medien und überall dort, wo Informationen ausgetauscht werden, zu finden sind.Laut einer im Jahr 2024 durchgeführten Studie des Verbands der PR-Agenturen, des Vereins Demagog und der Stiftung Digital Poland gaben 57 % der Befragten an, eine Falschmeldung von einem Familienmitglied oder einer nahestehenden Person erhalten zu haben. Soziale Medien rangieren ebenfalls weit oben: Fast die Hälfte (49 %) stieß dort auf Fake News und jede vierte Person erhielt einen Link zu einer solchen Nachricht über Messenger.
Insgesamt, so die Studie, sind bereits vier von fünf Pol:innen auf Fake News gestoßen. Was ist mit den übrigen 20 %? Haben sie einfach Glück gehabt? Vielleicht. Oder sie wissen schlicht nicht, dass eine der von ihnen gelesenen Nachrichten in Wahrheit falsch war. Denn wer sich aktiv mit Medien beschäftigt oder am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, wird früher oder später auf eine Falschinformation stoßen.
Wie viele Fake News gibt es?
Vor einigen Jahren versuchte man noch, die Gesamtzahl der Fake News zu erfassen. Heute beschränken sich glaubwürdige Daten meist auf bestimmte Kategorien, Kommunikationskanäle oder Märkte. Laut der dem britischen Innenministerium zugeordneten Accelerated Capability Environment (ACE) werden im Jahr 2025 über 8 Millionen Deep Fakes veröffentlicht werden. Beeindruckend ist dabei nicht nur die Zahl an sich, sondern auch die Steigerung: Zwei Jahre zuvor waren es „nur” etwa 500.000.Und wie sieht es mit gesprochenen oder geschriebenen Fake News aus? Die lassen sich wohl kaum zählen. Denn neben den ursprünglich erstellten Falschinformationen gibt es auch zahllose Kommentare dazu, Reaktionen auf Kommentare, Zusammenfassungen usw. Manchmal stammen diese von ahnungslosen, gutgläubigen Nutzer:innen, manchmal von Leuten, die angeheuert wurden, um Fake News zu streuen – und immer öfter nicht von „jemandem”, sondern von „etwas”: von der künstlichen Intelligenz, die darauf programmiert ist, Fake News zu erstellen, zu verbreiten oder zu kommentieren. Die Themen solcher Desinformationswellen reichen von Wahlen über geopolitische Konflikte bis hin zu Spannungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Dabei geht es nicht mehr nur um kurzfristige finanzielle Gewinne, sondern um politische Einflussnahme, die Erzeugung von Angst, Polarisierung oder die Unterstützung einer Sache, einer Meinung oder sogar eines Staates.
Wie reagieren wir darauf?
Das Bewusstsein für die Existenz von Fake News wächst, wenn auch nicht immer im gleichen Maß wie das Verständnis für ihre Gefahren. Laut einer Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism aus dem Jahr 2025 machen sich rund 60 % der Bevölkerung Gedanken darüber, ob die Informationen, die sie im Internet finden, wahr oder falsch sind. Interessant ist dabei die regionale Verteilung: In Afrika liegt dieser Wert bei 73 %, in den USA bei 68 %, in Europa jedoch nur bei 54 %.Das heißt: Fast die Hälfte der Menschen macht sich keine Gedanken über Fake News! Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Was wir jedoch wissen: Die Macher von Fake News geben sich Mühe, ihre Inhalte glaubwürdig erscheinen zu lassen. Sie wissen genau, was Menschen beeinflusst. Sie wissen, welche Formulierungen oder Elemente es uns leichter machen, manipulierten oder komplett erfundenen Informationen zu glauben, und unser Vertrauen zu gewinnen. Dieses Wissen nutzen sie gezielt aus.
Lesen Sie die nächsten Beiträge unserer Serie und erfahren Sie, warum wir an Fake News glauben und wie kritisches Denken sowie der sogenannte CRAAP-Test uns helfen können, Desinformationen zu erkennen. So schützen wir uns vor kleinen wie großen Folgen – angefangen mit der Verspottung im Freundeskreis, wenn wir erfundenen Unsinn weitererzählen, bis hin zu ernsthaften finanziellen, gesundheitlichen oder weltanschaulichen Konsequenzen.
Die Veröffentlichung dieses Artikels ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. Das deutsch-tschechisch-slowakisch-ukrainische Onlinemagazin JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES