Agnieszka Drotkiewicz empfiehlt
Ein Buch-Geschenk
„Am Fluss“ von Esther Kinsky ist ein persönliches Notizbuch oder ein Reiseführer, in dem uns die Protagonistin durch Londoner Seitengassen und Läden mit Waren aus verschiedenen Ecken der Welt führt. Sie unterhält sich auch mit Menschen, denen sie auf kürzeren und längeren Reisen begegnet.
Ein wenig später gelang mir dies tatsächlich – nicht so sehr in Esthers Wohnung, sondern vielmehr in der Welt ihres Romans Am Fluss. Ich fand darin all das wieder, was mich während meines Besuches so fasziniert hatte: Schätze, eine Zeit, die ein wenig anders verlief, Seitengassen und Randbezirke. Der meditative Rhythmus des Romans bietet eine willkommene Auszeit von der Hektik des Alltags. Am Fluss wirkt wie ein literarisches Notizbuch, er ist Reiseliteratur und Lokalliteratur zugleich, denn er dokumentiert das Heimisch-Werden der Protagonistin.
„Am Fluss“ wirkt wie ein literarisches Notizbuch, er ist Reiseliteratur und Lokalliteratur zugleich, denn er dokumentiert das Heimisch-Werden der Protagonistin.
Sie spaziert auch durch ihren eigenen Stadtrandbezirk oder blickt einfach aus dem Fenster. Sie beobachtet den Alltag der dort lebenden chassidischen Juden, sie besucht einen Laden mit koscheren Eiern, einen Trödelladen, der von einem Kroaten geführt wird, und einen Lebensmittelladen mit osteuropäischen Spezialitäten: „Ich suchte das Geschäft öfter auf, auch wenn ich dort wenig zu kaufen fand, doch ich betastete und betrachtete gerne die Dinge, die mir aus Osteuropa vertraut waren und sich immer mit einem kleinen Stich deplatzierten Heimwehs verbanden, einer Art Heimweh zweiter Hand, wie man es für Orte empfindet, von denen man unter Auslassung der sogenannten Wirklichkeitsform meint, sie hätten Heimat sein können.“ Daneben begleiten wir die Protagonistin des Romans auch auf längeren Reisen: nach Kanada, Israel und Indien, nach Słubice und Kroatien. Ein wichtiger Bestandteil dieser Reisen sind Unterhaltungen. Die Protagonistin macht sich die Welt zu eigen, indem sie Gespräche mit anderen Menschen, vor allem mit Frauen führt, wie zum Beispiel Sonja, die ein Faible für Lochkameras hat, ihrer Mitbewohnerin in Kanada, die in einer Bäckerei arbeitet, einer älteren Dame, die nach Warschau zurückkehrt, um dort zu sterben, oder einer indischen Hotelbesitzerin, die ihren Hund mit selbst gemachter Pastete füttert…
Esther Kinsky macht uns mit Am Fluss ein großes literarisches Geschenk, indem sie uns an ihren Reisen, Spaziergängen und Gesprächen teilhaben lässt.