Deutsch lernen nach und mit Englisch
„‘Haus‘ ist ja wie ‚house‘.“

Ein Mädchen lernt.
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Kann man überhaupt mehrere Sprachen gleichzeitig lernen und wie wird eine zweite oder weitere Fremdsprache gelernt? Diese und ähnliche Fragen aus dem Bereich Tertiärsprachenlernen versucht Sandra Ballweg zu beantworten.

Englisch wird derzeit in den meisten Ländern der Welt als erste Fremdsprache gelernt, oft schon ab Beginn der Grundschulzeit oder sogar im Kindergarten. Auch in Ländern, in denen eine andere Fremdsprache als Englisch die erste ist, wird damit üblicherweise im frühen Grundschulalter begonnen. Durch den frühen Beginn mit der ersten Fremdsprache kann auch der Unterricht in einer zweiten Fremdsprache immer früher einsetzen. An manchen Schulen beginnen Kinder auch gleichzeitig mit zwei Fremdsprachen, beispielweise mit Englisch und Französisch an Waldorfschulen in Deutschland oder mit Englisch und Deutsch an einigen Grundschulen in Dänemark. Welche Sprache gewählt wird, hängt von vielen Faktoren ab: von der politischen, wirtschaftlichen und geografischen Nähe zu einem Land, von der Verfügbarkeit von Ressourcen, Lerntraditionen und von vielem mehr.

In Polen ist Deutsch immer noch eine der beliebtesten Fremdsprachen nach Englisch, auch wenn die Zahlen der Deutschlernenden in Polen stetig sinken. Dabei bietet es sich durchaus an, Deutsch als zweite Fremdsprache nach Englisch zu lernen, nicht nur aufgrund kultureller und wirtschaftlicher Verbindungen, sondern auch, weil Englisch und Deutsch sprachlich eng miteinander verbunden sind. Beide zählen zu den sogenannten westgermanischen Sprachen und haben einige Gemeinsamkeiten, die schon beim Wortschatz anfangen: Haus – house; grün – green, Montag – Monday. Diese sprachliche Nähe kann man gut nutzen, unabhängig davon, ob der Deutschunterricht schon gleichzeitig mit dem Englischunterricht beginnt oder erst einige Jahre später.

Kann man überhaupt mehrere Sprachen gleichzeitig lernen?

Mehrsprachigkeit ist in weiten Teilen der Welt eine Selbstverständlichkeit. Kindern können problemlos mehrere Sprachen lernen, sowohl im ungesteuerten Spracherwerb in der Familie als auch später im Leben im Fremdsprachenunterricht in der Schule. Eine Überforderung entsteht daraus nicht, solange mit dem Sprachenlernen nicht überhöhte Erwartungen verbunden sind. Kinder sind interessiert, offen und aufnahmefähig. Schnell fangen sie ganz automatisch an, Sprachen miteinander zu vergleichen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten festzustellen.

Mehrsprachigkeit bedeutet nicht, dass mehrere Sprachen isoliert voneinander im Gedächtnis abgespeichert werden, sondern vielmehr, dass diese Sprachen miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Damit geht auch einher, dass Sprecherinnen und Sprecher mehrerer Sprachen Fähigkeiten und Eigenschaften entwickeln, die über das Sprechen von Einzelsprachen hinausgehen. So kann beispielweise in einem Gespräch ein fehlendes Wort in einer Sprache durch das in einer anderen ersetzt werden, oder beim Lesen eines fremden Textes werden Erfahrungen und Ressourcen in allen anderen Sprachen aktiviert.

Dieser sprachenübergreifende Zugang bedeutet auch, dass Sprachen gelegentlich gemischt werden. Das ist im Kontext von Mehrsprachigkeit als hilfreiche Kommunikationsstrategie ausdrücklich erwünscht. Dabei können Sätze wie die folgenden entstehen:
 
Ich und my Familie go in sarajevo.
Das Author heißt Mark Twain.
Mein father ist Doktor.
Mein Hobby ist schwimming.
Meine Freundee callst Mina.






Beispiele von Lernenden in Bosnien-Herzegowina im ersten Lernjahr aus Trbonja-Kahrima & Trbonja-Omanić (2019: 119f.).

An den Beispielen wird deutlich, dass Lernende gelegentlich einzelne Wörter oder auch Strukturen aus dem Englischen übernehmen. Das ist positiv zu werten, weil es eine effektive Kommunikationsstrategie darstellt und den Lernenden ermöglicht, sich schon von Anfang an besser in der Zielsprache auszudrücken. Ähnlich wie bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern werden Sprachmischungen auch bei Fremdsprachenlernenden mit der Zeit immer seltener, wenn die Lernenden sich in der Zielsprache, hier: im Deutschen, besser ausdrücken können. Lernende können unterscheiden, in welchen Situationen Einsprachigkeit erwünscht oder angebracht ist, zum Beispiel weil der Gegenüber die anderen Sprachen nicht versteht, oder wann Sprachmischungen helfen können, eine Kommunikationssituation besser mitzugestalten.

Dieses Mischen von Sprachen zu verbieten, würde Kinder und Jugendliche unnötig unter Druck setzen und den kreativen Umgang mit Sprachen verhindern. Aber genau darin liegt ein großes Potenzial, wenn mehrere Sprachen gleichzeitig gelernt werden.

Wie wird eine zweite oder weitere Fremdsprache gelernt?

Alle Menschen, die mehrere Sprachen gelernt haben, kennen das Phänomen, dass ihnen beim Lernen einer Sprache immer wieder Wörter in einer anderen Fremdsprache einfallen. Das kann störend sein, ist aber ein hilfreicher Prozess. Man geht davon aus, dass es beim Lernen einer zweiten oder weiteren Fremdsprache eine Sprache als sogenannte Hilfssprache (engl. supplier language) genutzt wird (Williams & Hammarberg 1998). Welche Sprache das ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, beispielsweise wie eng die Sprachen verwandt sind, wie präsent sie im Leben einer individuellen Lernerin oder eines individuellen Lerners ist und wie gut die jeweilige Sprache gesprochen wird. Wenn Kinder oder Jugendliche in der Schule Englisch und Deutsch lernen, ist es aufgrund der Ähnlichkeiten der Sprachen naheliegend, dass Englisch eine wichtige Hilfssprache beim Lernen des Deutschen ist und auch umgekehrt.

Beim Lernen weiterer Fremdsprachen ist es immer sinnvoll, Kenntnisse und Lernerfahrungen aus anderen Fremdsprachen einzubeziehen. In dem Fall haben Lernende schon wertvolle Erfahrung im Sprachenlernen gesammelt, die für das Lernen einer weiteren Sprache genutzt werden können. Sie kennen beispielsweise Lern- und Kommunikationsstrategien, verfügen auch über sprachliches Wissen und kennen ihre eigenen Präferenzen, Stärken und Schwächen (vgl. dazu auch das Faktorenmodell von Britta Hufeisen 2003). Darüber hinaus haben sie schon Erfahrung damit gemacht, dass auch kulturelle Kompetenz benötigt wird, um in einer Fremdsprache zu kommunizieren.

Wie lernt man Deutsch nach oder mit Englisch?

Wenn im Deutschunterricht Englischkenntnisse einbezogen werden, kann vor allem die großen Ähnlichkeiten zwischen deutschem und englischem Wortschatz genutzt werden. Auch im Satzbau gibt es einige Gemeinsamkeiten. Das bedeutet, dass schon in den ersten Unterrichtsstunden komplette Sätze verstanden werden können, wenn genug Ähnlichkeiten bestehen und die Kinder und Jugendlichen darauf aufmerksam gemacht werden. Die Vorteile bestehen also zunächst beim Lesen und Hören in der neuen Fremdsprache Deutsch.
Wenn Kinder beispielsweise einen Satz wie der folgende auf Englisch verstehen:

We see brown bears, striped tigers, grey elephants and green crocodiles in the zoo.

ist damit eine gute Grundlage für das Verstehen des deutschen Satzes gegeben:

Wir sehen Braunbären, gestreifte Tiger, graue Elefanten und grüne Krokodile im Zoo.

Auf dieser Grundlage können beispielsweise im Deutschunterricht im frühen Grundschulalter Kinderbücher wie The Very Hungry Caterpillar von Eric Carle (auf Polnisch Bardzo glodna gasienica; auf Deutsch Die kleine Raupe Nimmersatt) gleichzeitig auf Polnisch, Englisch und Deutsch gelesen werden. Für jugendliche Deutschlernende können youtube-Clips zu für sie interessanten Themen ansprechend sein. Gerade bei Themen wie Freizeit, Technik und Musik werden im Deutschen viele englischsprachige Begriffe genutzt, die Jugendlichen mit Englischkenntnissen helfen können, Clips auf Deutsch zu verstehen. So entsteht schon früh die Möglichkeit, für die jeweilige Altersgruppe anspruchsvolle und relevante Themen zu bearbeiten, was auch für die Lernmotivation förderlich ist.

Der Unterricht in einer weiteren Fremdsprache, auch Tertiärsprachenunterricht, ist natürlich nicht völlig anders als der Unterricht in der ersten Fremdsprache. Es gelten weiterhin dieselben Anforderungen und Ziele wie für jede andere Form von Fremdsprachenunterricht. Allerdings versteht Tertiärsprachenunterricht die Vorkenntnisse und Lernerfahrungen aus anderen Sprachen als wichtige Ressource und baut darauf auf. Dabei liegt ein Fokus zu Beginn auf dem Hören und Lesen, ohne natürlich andere Bereiche zu vernachlässigen.

Wenn im Deutschunterricht auf Englischkenntnisse und Erfahrungen aus dem Englischunterricht zurückgegriffen wird, beschränkt sich das aber nicht auf einzelne Wörter und auf den Satzbau, sondern auch die Sprachbewusstheit und die Sprachlernbewusstheit können einbezogen werden. Zu Sprachbewusstheit zählen Wissen über die Struktur von Sprachen und die Fähigkeit, über Sprachen zu reflektieren, zu sprechen, sie zu analysieren und auch kreativ zu verändern.

Sprachlernbewusstheit bezieht sich auf die Erfahrungen in Sprachlernprozessen, was beispielsweise beinhaltet, dass Kinder und Jugendlich das Sprachenlernen schon geübt haben, über Strategien verfügen und schon wissen, wie sie gerne und erfolgreich lernen können (vgl. Neuner 2003: 22).

Gerade in Bezug auf Lernstrategien kann man im Unterricht in einer weiteren Fremdsprache auf vorhandene Strategien und Techniken zurückgreifen, zusätzlich aber auch spezifische Strategien einführen, die das Lernen erleichtern können, wie zum Beispiel der Vergleich zwischen Sprachen (vgl. Ballweg et al. 2013). Besonders hilfreich ist es, wenn es an Schulen gelingt, dass Sprachenlehrende zusammenarbeiten und den Polnisch-, Englisch- und Deutschunterricht aufeinander abstimmen und die Sprachen im Unterricht so vernetzen, wie sie in den Köpfen der Lernenden verbunden sind.

Literatur

Ballweg, Sandra; Drumm, Sandra, Hufeisen, Britta; Klippel, Johanna, Pilypaityte, Lina (2013), Wie lernt man die Fremdsprache Deutsch? Dll Band 2. Stuttgart: Klett.

Hufeisen, Britta (2003), L1, L2, L3, L4, Lx - alle gleich? Linguistische, lernerinterne und lernerexterne  Faktoren in Modellen zum  multiplen Spracherwerb. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 2/3, 97-109.

Neuner, Gerhard (2003), Mehrsprachigkeitskonzept und Tertiärsprachendidaktik. In: Hufeisen, Britta; Neuner, Gerhard (2003), Mehrsprachigkeitskonzept. Tertiärsprachen. Deutsch nach Englisch. Strasburg: Council of Europe Publishing, 13-34.

Trbonja-Kahriman, Alisa & Trbonja-Omanić, Anisa (2019), Deutsch nach Englisch in der Grundschule. Istraživanja 14, 117-125.

Williams, Sarah & Hammarberg, Björn (1998), Language Switches in L3 Production: Implications for a Polyglot Speaking Model. In: Applied Linguistics 19/3, 295-333. 


 

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