30 Jahre Goethe-Institut Warschau
Aktiv, jugendlich und wach

Goethe-Institut Warschau
Goethe-Institut Warschau | © Goethe-Institut

Im September vor 30 Jahren nahm das Goethe-Institut Warschau seine Arbeit auf, im bewegten und bewegenden Frühherbst 1990, als der Eiserne Vorhang zerrissen war, die deutsche Wiedervereinigung besiegelt wurde und die Welt mit einem Mal grenzenlose Möglichkeiten anzubieten schien. Ein Rückblick des Institutsleiters Christoph Bartmann.

Wir nicht mehr ganz Jungen erinnern uns noch gut an diesen Taumel der Begeisterung, in den sich eher selten kritische und mahnende Stimmen mischten. „Transformation“ hieß das Zauberwort, und wir, die damals Jungen, waren glücklich, in diesem historischen Moment Zeuge und vielleicht sogar Mit-Akteur sein zu dürfen.

Was das Goethe-Institut Warschau betrifft, muss man wohl besonders Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki dankbar sein. Mit ihrer Teilnahme an der berühmt gewordenen Versöhnungsmesse in Kreisau im November 1989 hatten sie ein neues Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte aufgeschlagen. Als dann im Juli 1990 Michail Gorbatschow bei seinen Gesprächen mit Kohl im Kaukasus der deutschen Einheit zustimmte, wurde buchstäblich auf dem Rückflug zwischen Kohl und dem damaligen Goethe-Präsidenten Hans Heigert die Gründung von Instituten in den Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts auf den Weg gebracht. Bis dahin hatte in diesen Ländern allein die DDR den Kulturaustausch betrieben (nur in Ungarn und Rumänien gab es schon Goethe-Institute). Nun aber zog das Goethe-Institut erst einmal in die verwaisten Räume des DDR-Kulturzentrums in der Swiętokrzyska ein, ehe man bald in den Kulturpalast übersiedelte und von dort nach 15 Jahren in die Chmielna, den heutigen Standort des Instituts. Manche noch aktiven Kolleginnen haben diese Anfangsjahre selbst erlebt und können unglaubliche Geschichten aus jener Zeit erzählen, in der Improvisation alles und Routine nichts bedeutete.

Was war nun die „Mission“ des Goethe-Instituts, damals und heute? Nun, wie immer ging es um „Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit“ und „Pflege der deutschen Sprache“. Wenn man ehrlich ist, muss man konstatieren: das Goethe-Institut wusste 1990 wenig oder nichts über die Länder Mittel- und Osteuropas. Es wusste viel mehr über Frankreich, über Italien, über Brasilien oder Indien, wo es schon seit Jahrzehnten Institute gab. Polen war eine terra incognita für die Meisten von uns, und das ist für den Kulturaustausch keine gute Voraussetzung. Umso wichtiger war es, dass in umgekehrter Richtung, also mit Blick auf Deutschland (West und Ost) Wissen und Kenntnisse vorhanden waren, die sich in Jahrzehnten der erzwungenen Isolation zu einem regelrechten Kontakthunger gesteigert hatten. Für das neue Goethe-Institut bot sich so die wunderbare Herausforderung, eilig das Versäumte nachzuholen und die deutsche Nachkriegskultur (die westdeutsche wohl stärker als die ostdeutsche) ins polnische Bewusstsein zu heben. Gemeinsam mit seinen großartigen Partnern im ganzen Land erlebte das Goethe-Institut in jenen Jahren manche Sternstunde der polnisch-deutschen Kulturbegegnung. Es war, wir erinnern uns, noch die Zeit der hohen kulturellen Prominenz, der großen Stars auf beiden Seiten, und natürlich kamen sie alle und wurden gefeiert, von Pina Bausch bis Günter Grass, von Jürgen Habermas bis Karlheinz Stockhausen, von Wim Wenders bis Margarethe von Trotta. Es war eine Zeit der permanenten Premieren, es war auch die Zeit einer fast verwegenen Zuversicht, was die Möglichkeiten der Kultur anging. Zukunft war ein schönes Wort: noch kein Klimawandel (dachte man), keine Digitalisierung, keine neo-autoritären Regimes. Die Zukunft gehörte der liberalen Demokratie, glaubten wir – und hätten es schon damals besser wissen können.

Und heute, 30 Jahre, also etwa eine Generation später? Die Ernüchterung nach dem Karneval von 1990 hatte schon bald eingesetzt, aber wie auch nicht? Nach dem kurzen Rausch der nachgeholten Völkerfreundschaft fordert die Realität ihr Recht. Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland waren und sind nicht unbelastet, und sie können es auch nicht sein. Aber sie wären schlechter ohne das Goethe-Institut und verwandte Organisationen, die sich Tag für Tag, Jahr und Jahr darum kümmern, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt, dass neue Projekte und Initiativen entstehen, dass verlässliche Informationen fließen, dass alle die, die sich für Deutschland und die deutsche Sprache interessieren, eine Anlaufstelle haben, und dass alle anderen mit unserer Hilfe Deutschland besser kennen und verstehen lernen können. Manchmal lesen wir über uns, wir seien eine Regierungsagentur, die politische Positionen propagiere, und das auch noch besonders geschickt, weil man es nicht auf den ersten Blick erkenne. Tatsächlich aber agiert das Goethe-Institut frei von politischen Imperativen und neigt viel eher dazu, Dinge zu problematisieren als schlichte Parolen auszugeben. Unsere Projekte sind seit den gloriosen Gründerjahren auch nicht kleiner geworden, man denke zuletzt nur an die große Bauhaus-Ausstellung in Warschau und Breslau, an die Tournee des Ausstellungs-Containers „Das Kabinett“ zum 100. Geburtstag des Filmklassikers Das Cabinet des Doktor Caligari, oder an die vielen großen Projekte zur Förderung des Deutschunterrichts in Polen. Im dreißigsten Jahr seines Bestehens ist das Goethe-Institut Warschau so wach, aktiv und jugendlich wie zu seinen Anfangszeiten, dank seiner MitarbeiterInnen und Mitarbeiter, dank seiner Partner, Kunden und Freunde, und dank der vielfältigen Unterstützung aus dem eigenen Haus und aus dem Auswärtigen Amt. Auch wenn der Blick in die Zukunft besorgter, skeptischer geworden ist als damals: wir sind gut gerüstet.
 

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