Filmfestival Deutsche Filmwoche 2024

Deutsche Filmwoche 2024 © Material des Veranstalters

Fr, 26.01.2024 –
Do, 08.02.2024

Film

In 10 polnischen Städten beginnt am 26. Januar 2024 die Deutsche Filmwoche. Präsentiert werden neueste Filme, die jenseits unserer westlichen Grenze entstanden. Diese größte Übersicht der deutschen Filme, die in Zusammenarbeit des Nürnberger Hauses in Krakau, des Goethe-Instituts und des deutschen Generalkonsulats in Wrocław entsteht, wird in Krakau, Warschau, Wrocław, Katowice, Opole, Poznań, Gdańsk, Rzeszów, Lublin und Kielce vorgestellt und dauert bis zum 8. Februar 2024. Dieses Mal werden die Filme ausschließlich in Kinos gezeigt.
  Anselm 3 © Material des Veranstalters

Das Programm der Deutschen Filmwoche umfasst sowohl Produktionen von Filmmeistern, die dem polnischen Publikum bestens bekannt sind, als auch von Filmemachern, die sich mit ihren hervorragenden Filmen eine feste Position in der Filmwelt aufbauen. Die Filme greifen Themen auf, die sich auf die individuelle, alltägliche Existenz des Einzelnen sowie auf die Familie oder die soziale Gruppe beziehen, in der die Filmfiguren leben.

İlker Çataks "Lehrerzimmer" zeigt am Beispiel einer Mikro-Gemeinschaft von Lehrern und Schülern die Probleme der heutigen Demokratie und wie man mit einem hierarchischen System umgeht, das weder erhalten, noch vollständig abgeschafft werden kann. Asli Ösge beobachtet in ihrem Film "Black Box" die Bewohner eines Berliner Mietshauses, die gezwungen sind, unter den Bedingungen einer immer stärker eingeschränkten Freiheit zu leben. Ihr bisher freundschaftliches, nachbarschaftliches Zusammenleben beginnt angesichts der Gefahr zu bröckeln, was schließlich zu einer polizeilichen Sperrung des Hauses führt. Abgeschnitten von der Welt sind auch die Protagonisten des Films "Roter Himmel" von Christian Petzold, die ihren Urlaub in einem Ferienhaus an der Ostsee verbringen. Man spürt zwar die drohende Gefahr in der Luft, die von der Hitze und dem umliegenden Waldbrand glühend heiß ist, aber das ist dem angehenden Schriftsteller gleichgültig, denn das Wichtigste ist für ihn das Buch, an dem er gerade arbeitet. Schriftstellerisches Schaffen überschattet auch die Beziehung zwischen zwei herausragenden Schriftstellern, Ingeborg Bachmann und Max Frisch, über deren schwieriges Zusammenleben der Film "Ingeborg Bachmann, die Reise in die Wüste" von Margarethe von Trotta erzählt. "Der vermessene Mensch" von Lars Kraume beschäftigt sich mit deutscher Kolonialgeschichte und der Verstrickung von Wissenschaft und Politik. Am anderen Ende des Spektrums stehen die Figuren in "Wann wird es wieder so, wie es noch nie war" von Sonja Heiss, in dem die Familie des Leiters einer psychiatrischen Klinik dargestellt wird, die dessen Patienten behandelt, als wären sie ihre Verwandten.  Einzigartig und mit der heutigen Welt unvereinbar ist auch der Protagonist in Wim Wenders Film "Perfect Days", ein Toilettenhäuschen-Reiniger in Tokio, der es vermag, die Freuden des Lebens wahrzunehmen, sie zu genießen und den Menschen in seinem Umkreis Aufmerksamkeit und Taktgefühl entgegen zu bringen. Der herausragende deutsche Regisseur ist auch Autor eines anderen Films, der im Rahmen der Deutschen Filmwoche in zusätzlichen Vorführungen präsentiert wird. "Anselm" handelt vom Werk eines der wichtigsten zeitgenössischen Künstler, Anselm Kiefer, und seinen in Deutschland und Frankreich realisierten monumentalen Projekten.

Das zeitgenössische deutsche Kino ist - wie die gesamte deutsche Bevölkerung - ein Kulturkessel. In Deutschland angesiedelte ausländische Filmemacher werfen einen kritischen Blick auf die europäische Demokratie und deutsche Filmemacher suchen nach Inspiration in fernen Ländern, und allesamt versuchen sie, eine Geschichte über die heutige Welt zu erzählen, indem sie sich mit ihren Problemen konfrontieren oder nach ihren Ursachen suchen. Viele der Filmerzählungen basieren auf individuellen Geschichten, die uns erfahren lassen, wie die einzelnen Personen in zwischenmenschlichen Beziehungen funktionieren und wie diese Beziehungen die Welt um uns herum beeinflussen.

Programm

  1. Roter Himmel, Regie: Christian Petzold, 102 min
  2. Der vermessene Mensch, Regie: Lars Kraume, 116 min
  3. Black Box, Regie: Asli Ösge, 120 min
  4. Das Lehrerzimmer, Regie: İlker Çatak, 98 min
  5. Wann wird es wieder so, wie es noch nie war, Regie: Sonja Heiss, 116 min
  6. Ingeborg Bachmann, die Reise in die Wüste, Regie: Margarethe von Trotta, 110 min
  7. Perfekt Days, Regie: Wim Wenders, 123 min
  8. Anselm, Regie: Wim Wenders, 93 min


Programm
der Deutschen Filmwoche 2024


Anselm (VORFÜHRUNG NUR IN AUSGEWÄHLTEN STÄDTEN)

Deutschland, 93'

Regie: Wim Wenders
Kamera: Franz Lustig
Drehbuch: Wim Wenders
Besetzung: Anselm Kiefer, Daniel Kiefer, Anton Wenders
Produktion: Road Movies, DCM Film Distribution

Vorführungen auf Festivals: Cannes 2023, Sydney 2023, Nowe Horyzonty Wrocław 2023, Melbourne 2023, Telluride 2023, BFI London 2023, Busan 2023, Chicago 2023, Reykjavík 2023, Montclair 2023, AFI FEST Los Angeles 2023, Vancouver 2023, Denver 2023, Cork 2023, DOC New York 2023, Bilbao 2023

 

Anselm Kiefer, dessen Filmporträt von Wim Wenders gedreht wurde, ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler, der zu den Klassikern des 20 Jahrhunderts zählt. Das Werk des 1945 geborenen Künstlers umfasst großformatige Gemälde, Skulpturen, Objekte, Künstlerbücher und Rauminstallationen, mit denen der Künstler eine neue Landschaft gestaltet oder die bereits existente ergänzt. Mit einem solchen Bild beginnt der Film: Die Kamera fängt eine zwischen den Bäumen stehende Figur im weißen Kleid ein, erst eine, dann andere Skulpturen, mit denen die öde Landschaft übersät ist. Weiße Kleider, die dem Kleid einer Frau oder eines Kindes ähneln, tauchen in zahlreichen Werken Kiefers auf, deren Themen häufig an Mythen, an die jüdische Kabbala, an biblische Szenen, an historische Ereignisse oder Bücher anknüpfen, die für den Künstler von Bedeutung sind und vor allem an die Gedichtbände von Ingeborg Bachmann und Paul Celan.    

Indem Wenders ein Porträt von Kiefer zeichnet, erinnert er an die wichtigsten Ereignisse in seinem Leben und auf seinem Schaffensweg: Die Reise auf den Spuren von van Gogh und seine damals entstandenen und mit dem Jean-Walther-Preis ausgezeichneten Skizzen, das Atelier im Landkreis Odenwald, in dem die ersten großformatigen, von der dortigen Landschaft inspirierten Werke entstanden, das Studium in Düsseldorf bei Josef Beuys, die Performance "Nazi-Gruß", die eine Welle von Kritiken auslöste, und schließlich die Auswanderung nach Frankreich, zunächst in den Süden, nach Barjac und später nach Croissy-Beaubourg, die Vorstadt von Paris. In diese dokumentarische Geschichte flicht der Regisseur erzählerische Elemente ein, er greift auf Archivmaterial zurück, nimmt die Aussagen des Künstlers auf und lässt uns sein großartiges und unvergleichliches Werk ergründen. 

Wim Wenders, geboren 1945, ist Regisseur, Produzent, Fotograf und Autor. Sein Werk umfasst Spiel- und Dokumentarfilme, Fotoausstellungen und -alben, Filmbücher und Textsammlungen. Er ist Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen in München.
Er debütierte 1971 mit dem Film Die Angst des Torwarts vor einem Elfmeter, danach entstand die Road-Cinema-Trilogie Alice in den Städten (1973) und die Filme Falsche Bewegung (1974) und Im Lauf der Zeit (1975). International berühmt wurde er mit dem Film Der amerikanische Freund (1977). Seitdem hat Wenders in Europa, den USA sowie in Lateinamerika und Asien gedreht und wurde mit zahlreichen Preise auf Festivals in der ganzen Welt bedacht: u.a. die Goldene Palme und den British Academy Film Award für Paris, Texas (1984), den Regiepreis in Cannes für Der Himmel über Berlin (1987), den Goldenen Löwen in Venedig für Der Stand der Dinge (1982) und den Silbernen Bären auf der Berlinale für The Million Dollar Hotel (2000). Seine Dokumentarfilme Buena Vista Social Club (1999), Pina (2011) und Das Salz der Erde (2014) wurden für einen Oscar nominiert. Auf der Berlinale 2015 wurde er mit dem Goldenen Ehrenbären für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Sein neuester Film Perfect Days wurde bei den Filmfestspielen von Cannes gezeigt.



Black Box

Deutschland, Belgien, 120'

Regie: Asli Özge
Kamera: Emre Erkmen
Drehbuch: Asli Özge
Besetzung: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhiev, Anne Ratte-Polle
Produktion: Zeitsprung Pictures, Les Films du Fleuve

Vorführungen auf Festivals: Chicago 2023, Warschau 2023, Rom 2023, Sao Paulo 2023, München 2023

Preise und Auszeichnungen: Bestes Drehbuch, Rom 2023

 

Eines Tages taucht im Innenhof eines alten Berliner Mietshauses ein Glascontainer auf, worin das Büro des neuen Immobilienverwalters untergebracht ist. Von diesem strategischen Standort aus kann er nicht nur die Arbeit des Verwalters ausführen, sondern auch die Bewohner des Hauses beobachten. Seine Mieter sind eine multikulturelle Gemeinschaft: ein Lehrer, eine IT-Spezialistin, ein Künstler aus Dagestan, der Besitzer einer kleinen Bäckerei, ein Musiker und eine Libanesin, die in einem Großunternehmen arbeitet. Die Versuche des Verwalters, eine neue Ordnung einzuführen, und die auftauchenden Gerüchte über die geplante "Umstrukturierung" des Hauses rufen Beunruhigung und Widerstand der Hausbewohner hervor. Zusätzlich verschärft wird die Ungewissheit durch das Einschreiten der Polizei, die ohne Angabe von Gründen nicht nur die Straße absperrt, sondern den Bewohnern ebenfalls verbietet, das Haus zu verlassen. Die bis dahin freundschaftlichen nachbarschaftlichen Beziehungen beginnen angesichts der wachsenden Bedrohung zu wanken.

Asli Özge greift in ihrem Film soziale Probleme auf, mit denen die heutigen Bürger zahlreicher europäischer Länder konfrontiert werden: die Unsicherheit der Existenz, unklare, durch Verschwörungstheorien zusätzlich geschürte Gefahren, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Gentrifizierung von Wohngebieten, Polarisierung und gegenseitige Abneigung und die damit einhergehende Zerstörung menschlicher Beziehungen. Am Beispiel einer kleinen, geschlossenen Gruppe enthüllt die Regisseurin die Manipulationsmethoden und deren Steuerungsmechanismen.

Asli Özge wurde 1975 in Istanbul geboren. Nach ihrem Filmstudium an der Universität Film- und Fernsehakademie in Marmara führte sie Regie bei kurzen Spiel- und Dokumentarfilmen. Sie debütierte mit dem Film Männer auf der Brücke (2009), der auf dem Filmfestival von Locarno seine internationale Erstaufführung feierte und zahlreiche internationale Auszeichnungen erhielt. Ihr zweiter Film Lifelong wurde 2013 auf der Berlinale in der Kategorie Panorama Special präsentiert.
Ihr erster deutschsprachiger Kinofilm war Es war einmal, für den sie den FIPRESCI-Preis auf dem Istanbul Film Festival erhielt.



Roter Himmel / Czerwone niebo

Deutschland, 103'

Regie: Christian Petzold
Kamera: Hans Fromm
Drehbuch: Christian Petzold
Besetzung: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs
Produktion: Florian Koerner von Gustorf, Michael Weber, Anton Kaiser

Vorführungen auf Festivals: Berlinale 2023, Tribeca Film Festival 2023, Buenos Aires 2023, TIFF Transilvania 2023, Sydney 2023, Edinburg 2023, Nowe Horyzonty Wrocław 2023, Melbourne 2023, Palic 2023, Sarajewo 2023, San Sebastian 2023, Tallin Black Nights 2023, Valladolid 2023, Gijón 2023, Odessa 2023

Preise und Auszeichnungen: Grand Prix Jury - Silberner Bär für Christian Petzold, Berlinale 2023, Bester Film, FIPRESCI-Preis, Palic 2023.
 

Leon und Felix verbringen den Sommer in einem Ferienhaus an der Ostsee. Sie wollen ihren Urlaub mit kreativer Arbeit verknüpfen, was der abseits gelegene Ort begünstigen soll. Leon beendet gerade sein zweites Buch, Felix plant ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste und stellt seine Bewerbungsmappe zusammen. Bereits beim Betreten des Hauses wird es den Feriengästen klar, dass sie nicht die einzigen Bewohner sein werden. Felix' Mutter hat das Haus auch Nadja zur Verfügung gestellt, die sich in der Nachbarstadt mit dem Verkauf von Eiscreme etwas dazu verdient. Die von der prallenden Sonne erhitzte Luft sorgt nicht nur für Emotionen, die die Hauptfiguren des Films miteinander verbinden, sie begünstigt auch die Entstehung von Bränden, die sich in der Gegend recht schnell ausbreiten. Der 'rote Himmel' im Titel beschreibt keineswegs einen romantischen Sonnenuntergang an der Ostseeküste, sondern vielmehr die Flammen des Feuers, das die umliegenden Wälder verwüstet. Obwohl die Urlauber ihre Buchungen in dem Ferienort stornieren und obwohl man von weitem die gegen den Waldbrand eingesetzten Löschgeräte vernehmen kann und obwohl der vom Wind aufgewirbelte Ruß auf der Haut festklebt, scheint niemand in dem Ferienhaus die drohende Gefahr wahrzunehmen. Für Leon ist sein Roman und das bevorstehende Gespräch mit seinem Verleger am wichtigsten, deshalb meidet er den Rest der unbekümmerten Gesellschaft. Dass er so selbstbezogen ist, liegt jedoch nicht an seiner Konzentration auf den kreativen Prozess, sondern an seiner Selbstsucht und der Unfähigkeit, die Vorteile des Lebens mit anderen zu teilen.

Roter Himmel ist Christian Petzolds zweiter Film mit einem Elementarmotiv: In Undine war es das Wasser, das die Figuren begleitete und ihre Gefühle abkühlte, hier ist es das Feuer, das sie beflügelt. Die vom Regisseur beschwingt erzählte Geschichte glimmt gemächlich vor sich hin und umfasst einen weiteren Sommerferientag, bis sie ein unerwartetes Ende nimmt.

Christian Petzold wurde 1960 in Hilden geboren. Er studierte Germanistik und Theaterwissenschaften in Berlin. 1994 absolvierte er die Deutsche Filmakademie. Er ist einer der wichtigsten Regisseure des zeitgenössischen deutschen Films. Er wurde zweimal mit dem Preis des Verbands der deutschen Filmkritik für den besten Film ausgezeichnet (2000 und 2005). Er erhielt darüber hinaus zweimal den Deutschen Filmpreis für die beste Regie. Er ist Autor von Filmen wie: Die innere Sicherheit (2000), Toter Mann (2002), Gespenster (2005), Yella (2007), Jerichow (2008). Für den Film Barbara erhielt er 2012 auf der Berlinale den Silbernen Bären in der Kategorie Beste Regie.



Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste / Ingeborg Bachmann - Podróż na pustynię

Deutschland, Italien, Frankreich, 110'

Regie: Margarethe von Trotta
Kamera: Martin Gschlacht
Drehbuch: Margarethe von Trotta
Besetzung: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch, Basil Eidenbenz
Produktion: MFA Filmdistribution, Alamode Film, FilmAgentinnen

Vorführungen auf Festivals: Berlinale 2023

 

„…So will ich den Brief rasch abschicken mit der Frage, ob ich Sie, wenn ich Sonntag (diesen kommenden Sonntag) nach Zürich komme, sehen darf. Ich könnte zwei, drei oder vier Tage bleiben, und ich hoffe so sehr und ohne rechte Überlegung, das auch Sie es wünschen könnten. (…) Es wäre schön, aber ich verlange wahrscheinlich zu viel" - schrieb Ingeborg Bachmann an Max Frisch auf dessen mehr als wohlwollende Reaktion nach der Ausstrahlung des Hörspiels "Der gute Gott von Manhattan". So beginnt eine Bekanntschaft, die sich später zu einer innigen Beziehung entwickelte. Margarethe von Trotta erzählt die Geschichte dieser Beziehung aus ihrer Sicht, aus der Perspektive einer Schriftstellerin. Die gegenseitige Begeisterung zweier herausragender literarischer Persönlichkeiten hat sich leider nicht in ein harmonisches Miteinander verwandelt. Als Ingeborg Bachmann Max Frisch kennenlernte, war sie ein anerkannter und verherrlichter Star in der Welt der Literatur, sie machte mit ihrer Schönheit und ihrem poetischen Talent auf sich aufmerksam, sie liebte es zu reisen und ihre Wohnorte zu wechseln. Der Autor von "Homo Faber" fühlte sich hingegen außerhalb seines Heimatortes Zürich und der vertrauten patriarchalischen Welt nie richtig wohl. Und eben dorthin wollte er seine geliebte Dichterin locken und ihre Beziehung zu "literarischem Material" gestalten.

Obwohl der Suhrkamp Verlag im vergangenen Jahr den Briefwechsel der beiden Schriftsteller veröffentlichte, war dieser nicht die Grundlage für das Drehbuch. Margarethe von Trotta griff auf Briefe, Traumaufzeichnungen und Notizen zurück, die wahrend ihrer Krankheit nach der Trennung von Max Frisch entstanden sind. Die unter dem Titel "Male oscuro" erschienenen Skizzen geben einen Einblick in den Seelenzustand ihrer Verfasserin und beleuchten nicht nur die gescheiterte Beziehung, sondern auch die Verflechtung von Leben und Schreiben einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen.

Margarethe von Trotta wurde 1942 in Berlin als Tochter einer deutschbaltischen Adelsfamilie geboren. Ihre Jugend verbrachte sie in Paris, wo sie sich für das New-Wave-Kino und die Filme von Ingmar Bergman begeisterte. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland begann sie in Filmen von Reiner Fassbinder und Volker Schlöndorff zu spielen. Ihre Bekanntschaft mit Schlöndorff führte zu ihrer Vermählung und 1975 zu ihrem gemeinsamen Spielfilmdebüt, der Verfilmung von Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Der Goldene Löwe, den sie 1981 in Venedig für Die bleierne Zeit erhielt, verschaffte ihr den Status der führenden Individualität des deutschen Films. Neben Auszeichnungen auf der Berlinale und zahlreichen Filmfestivals nahm sie zweimal am Hauptwettbewerb in Cannes teil. Ein wichtiges Thema ihrer filmischen Tätigkeit sind die Porträts namhafter Frauen: Rosa Luxemburg, Hanna Arendt, Hildegard von Bingen - in all diesen Filmen gespielt von einer der Lieblingsschauspielerinnen von Trotta, Barbara Sukowa. Ingeborg Bachmann ist eine weitere Figur in dieser Sammlung. 



Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war / Kiedy znów  będzie tak, jak nigdy nie było

Deutschland, Belgien, 116' 

Regie: Sonja Heiss
Kamera: Manuel Dacosse
Drehbuch: Sonja Heiss, Lars Hubrich
Besetzung: Devid Striesow, Laura Tonke, Arsseni Bultmann, Axel Milberg, Pola Geiger
Produktion: Die Komplizen Film, Warner Bros. Entertainment

Vorführungen auf Festivals: Berlinale 2023, Warschau 2023
 

Josse lebt mit seinen Eltern und zwei älteren Brüdern in einer Villa auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik in Schleswig-Holstein. Sein Vater ist Leiter dieses Krankenhauses, und die Patienten, die er betreut, ähneln weiteren, nahezu vertrauten Familienmitgliedern. Die Geschichte des Aufwachsens und des Erwachsenwerdens in einer nicht althergebrachten Umgebung und in einer ungewöhnlichen Familie ist eine bittersüße Erzählung über schwierige zwischenmenschliche Beziehungen. Die Mutter von Josse lebt von den Erinnerungen an ihre in Italien verbrachte Jugend, sein Vater geht eine Liaison ein, seine Brüder verkriechen sich in ihren Zimmern und Josse sucht die Nähe von Patienten, die seine Bedürfnisse besser zu verstehen scheinen als seine Eltern. Die sozialen Normen, die generell als richtig gelten, sind nicht so selbstverständlich, wenn man sie mit den Augen von Menschen betrachtet, die als psychisch krank diagnostiziert wurden und deren Erkrankung eine unbeholfene Ehrlichkeit, eine zuweilen verblüffende Direktheit oder kindliche Naivität zulässt.  

Der Film von Sonja Heiss ist die Verfilmung des autobiografischen Bestsellers des Schauspielers und Schriftstellers Joachim Meyerhoff. In der Beschreibung seiner zwanzigjährigen Adoleszenz konzentriert sich der Autor nicht nur auf die wichtigen Abschnitte dieses Werdegangs, er beobachtet dabei auch seinen Vater. Der beruflich erfolgreiche und mit theoretischem Wissen ausgestattete Psychotherapeut scheitert in seiner eigenen Familie an der praktischen Umsetzung dieses Wissens. Sonja Heiss ergänzt dieses intime Porträt und fügt hinzu, dass sie aufzeigen wollte, wie eine nicht funktionierende Familie funktioniert.

Sonja Heiss studierte von 1998 bis 2006 Dokumentarfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und arbeitete parallel dazu von 1998 bis 2004 als Casting-Direktorin für eine Werbefirma. 2003 war sie Assistentin der Regisseurin Maren Ade bei der Produktion des Films Der Wald vor lauter Bäumen. Sie debütierte 2007 mit dem Film Hotel Very Welcome, für den sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Sie ist Gastdozentin an der Hochschule für Fernsehen und Film in München in den Bereichen Film und Fernsehjournalismus. Außerdem ist sie Autorin von zwei Büchern: Das Glück geht aus: Storys (2011) und Rimini (2017).


Der vermessene Mensch / Miara człowieka

Deutschland, 116'

Regie: Lars Kraume 
Kamera: Jens Harant
Drehbuch: Lars Kraume
Besetzung: Leonard Scheicher, Girley Charlene Jazama, Peter Simonischek, Sven Schelker
Produktion: zero one film in Koproduktion mit Akzente Film & Fernsehproduktion, ZDF, ARTE

Vorführungen auf Festivals: Berlinale 2023, Vancouver 2023

 

Alexander Hoffmann, ein junger und ehrgeiziger Ethnologe, lernt 1896 auf der Kolonialausstellung in Berlin ein junges Mädchen vom afrikanischen Herrero-Stamm kennen. Die Vertreter dieses Stammes sollen sich mit dem Kaiser treffen und über die Zusammenlebensbedingungen in den von Deutschland kolonisierten Gebieten verhandeln. Kezia ist mit ihnen als Dolmetscherin angereist. Ein Berliner Wissenschaftler unterzieht, während er auf eine Audienz wartet, die Afrikaner demütigenden Schädelmessungen, um zu beweisen, dass die von anderen Forschern verbreiteten Vorstellungen über Rassenunterschiede irrtümlich sind.  Alexander findet großen Gefallen an der schönen und resoluten Kezia, so dass er beschließt, seine Arbeit in Afrika fortzusetzen. Da die Mission der Herero-Vertreter keine erwarteten Ergebnisse gebracht hat, bricht in der Kolonie ein Aufstand aus. Um die Aufruhr niederzuschlagen, schickt der Kaiser seine Truppen hin. Auch Hoffmanns Expedition macht sich mit seinen Soldaten auf den Weg zum Schwarzen Kontinent. 

Der Regisseur Lars Kraume ist dem polnischen Publikum durch Filme wie "Das schweigende Klassenzimmer" oder "Der Staat gegen Fritz Bauer" bekannt. Er wendet sich diesmal der tragischen und immer noch wenig bekannten deutschen Kolonialgeschichte zu. Zwischen 1904 und 1908 verübten kaiserliche Truppen im heutigen Namibia den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, indem sie fast 60.000 Menschen aus den Völkern der Herero und Nama auslöschten. In Deutsch-Südwestafrika entstanden auch die ersten Konzentrationslager und der Ertrag des "Forschungsauftrags" der deutschen Wissenschaftler sind u.a. die Exponate im Humboldt- Forum, das kürzlich in Berlin eröffnet wurde.

Lars Kraume wurde 1973 in Chieri, in Italien geboren. Er wuchs in Frankfurt am Main auf. Nach dem Abitur arbeitete er zwei Jahre lang als freischaffender Fotograf. Seinen ersten Kurzfilm 3:21 drehte er 1992. Von 1994 bis 1998 studierte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) in Berlin. Für seinen Diplom-Film Dunckel von 1998 erhielt er den Adolf-Grimm-Preis, für seinen nächsten Film Guten Morgen, Herr Grothe (2007) den Deutschen Filmpreis und erneut den Adolf-Grimm-Preis. Kraume hat außerdem als Regisseur und Drehbuchautor an zahlreichen Fernsehproduktionen mitgearbeitet, darunter an den Krimiserien KDD-Kriminaldauerdienst und Tatort. Für den Film Der Staat gegen Fritz Bauer wurde er mit dem Deutschen Filmpreis für die beste Regie ausgezeichnet.



Perfect Days

Japan, Deutschland, 123' 

Regie: Wim Wenders
Kamera: Franz Lustig
Drehbuch: Takuma Takasaki,Wim Wenders
Besetzung: Kōji Yakusho, Min Tanaka, Arisa Nakano,Yumi Asô
Produktion: DCM Film Distribution

Vorführungen auf Festivals: Cannes 2023, Hamburg 2023, Leipzig 2023, Viennale 2023, Mannheim-Heidelberg 2023, Miskolc 2023, Montclair 2023, Nowe Horyzonty Wrocław 2023

Preise und Auszeichnungen: Preis der Ökumenischen Jury, Goldene Palme für den besten Darsteller Kōji Yakusho, Cannes 2023, Asia Pacific Screen Award 2023, Preis der Jugendjury, Montclair 2023
 

Hirayama ist ein einsamer sechzigjähriger Mann, der öffentliche Toiletten im Tokioter Stadtteil Shibuya reinigt. Die Kamera begleitet ihn aufmerksam bei seinen täglichen Ritualen: allmorgendliche Vorbereitung auf den kommenden Tag, äußerste Sorgfalt bei der Arbeit, Besuche im städtischen Badehaus, im beliebten Restaurant oder in seinem Lieblingsantiquariat. Für einen Mann, der einen so prosaischen Job ausübt, der normalerweise als der schlimmstmögliche betrachtet wird, hat der Protagonist in Wenders' neuestem Film ungewöhnliche Interessen: Er liest gute, wenn auch nicht die neuesten Bücher, er hört in seinem Auto Musik aus den sechziger und siebziger Jahren auf alten Kassetten und in seiner Mittagspause widmet er sich dem Fotografieren. Die fertigen Fotos unterzieht er wie ein echter Künstler einer drakonischen Selektion und sammelt sie in einem privaten Archiv. Auch seine Sammlung von Baumsetzlingen, die er im Park findet und dann zu Hause sorgfältig pflegt, ist durchaus ansprechend. Aus den wenigen Schnappschüssen, die eine kleine Ablenkung von seinem Alltag darstellen und auf Hirayamas Vergangenheit hindeuten, lässt sich erahnen, dass er sich bewusst für das Leben eines Stadt-Eremiten entschieden hat und dass die Zelebrierung des Alltags ihn zu einem glücklichen Menschen macht, der die Welt und die Menschen liebt.

Wim Wenders, der sich in seinen letzten Filmen mit Vorliebe der dokumentarischen Form zuwandte, hat diesmal einen Spielfilm gedreht, der jedoch sehr einem Dokumentarfilm ähnelt. Der andere, ebenso wichtige Protagonist des Films ist neben Hirayama die japanische Hauptstadt. Und die Tokioter Toiletten, die wir in diesem ungewöhnlichen Porträt der Stadt in diesem sehen, sind echte Kunstwerke, die von prominenten Architekten entworfen wurden.

Wim Wenders, geboren 1945, ist Regisseur, Produzent, Fotograf und Autor. Sein Werk umfasst Spiel- und Dokumentarfilme, Fotoausstellungen und -alben, Filmbücher und Textsammlungen. Er ist Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen in München.
Er debütierte 1971 mit dem Film Die Angst des Torwarts vor einem Elfmeter, danach entstand die Road-Cinema-Trilogie Alice in den Städten (1973) und die Filme Falsche Bewegung (1974) und Im Lauf der Zeit (1975). International berühmt wurde er mit dem Film Der amerikanische Freund (1977). Seitdem hat Wenders in Europa, den USA sowie in Lateinamerika und Asien gedreht und wurde mit zahlreichen Preise auf Festivals in der ganzen Welt bedacht: u.a. die Goldene Palme und den British Academy Film Award für Paris, Texas (1984), den Regiepreis in Cannes für Der Himmel über Berlin (1987), den Goldenen Löwen in Venedig für Der Stand der Dinge (1982) und den Silbernen Bären auf der Berlinale für The Million Dollar Hotel (2000). Seine Dokumentarfilme Buena Vista Social Club (1999), Pina (2011) und Das Salz der Erde (2014) wurden für einen Oscar nominiert. Auf der Berlinale 2015 wurde er mit dem Goldenen Ehrenbären für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Sein neuester Film Perfect Days wurde bei den Filmfestspielen von Cannes gezeigt.



Das Lehrerzimmer / Pokój nauczycielski  

Deutschland, 98'

Regie: İlker Çatak
Kamera: Judith Kaufmann
Drehbuch: Johannes Duncker, İlker Çatak
Besetzung: Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak, Anne-Kathrin Gummich
Produktion: if… Productions Film GmbH

Vorführungen auf Festivals: Berlinale 2023, Busan 2023, Toronto 2023, Hampton 2023, Chicago 2023, Montclair 2023, Los Angeles 2023, Philadelphia 2023, Middleburg 2023, Mill Valley 2023, Vancouver 2023, Denver 2023, Tallin Black Nights 2023, Stockholm 2023, Valladolid 2023

Preise und Auszeichnungen: CICAE Art Cinema Award, Label Europa Cinemas Award, Berlinale 2023, Deutscher Filmpreis 2023 für den besten Film, die beste Regie (İlker Çatak), für das beste Drehbuch (Johannes Duncker, İlker Çatak), für die beste Schauspielerin (Leonie Benesch) und für den besten Schnitt (Gesa Jäger).
 

Carla Nowak ist eine junge und engagierte Lehrerin an einem Berliner Gymnasium. Während einer Unterrichtsstunde wird einer ihrer Schüler aus der Klasse geholt, weil er verdächtigt wird, Geld gestohlen zu haben. Der Junge ist Sohn türkischer Einwanderer und will seine Schuld nicht zugeben. Carla ist über die Art und Weise bestürzt, wie ihr Schüler grundlos beschuldigt wird, und beschließt, die Wahrheit auf eigene Faust herauszufinden. Sie hinterlässt im Lehrerzimmer Geld in ihren persönlichen Sachen und lässt die Kamera in ihrem Computer an, um den Langfinger aufzunehmen. Carla, die in gutem Glauben handelt, ist nicht imstande vorauszusehen, welche Konsequenzen ihr Vorhaben nicht nur für sie, sondern für die gesamte Schulgemeinschaft haben wird.

Der Film des türkischstämmigen Regisseurs, İlker Çatak, in dem eine junge Frau polnischer Herkunft die Hauptrolle spielt, spiegelt das Bild der deutschen multikulturellen Gesellschaft wider und zeigt die Probleme, welchen sich die heutige Demokratie stellen muss. Die Schule mit ihrer hierarchischen Struktur, dem Kampf um den Vorrang, den Vorurteilen und Gefahren wird zu einem Beispiel, anhand dessen der Regisseur die öffentliche Debatte über die wichtigsten Themen aufzeigt: Gerechtigkeit, Verantwortung, Manipulation, Rassismus und moralische Prinzipien. "Das Lehrerzimmer" bekam in diesem Jahr 5 Deutsche Filmpreise in den wichtigsten Kategorien, darunter als bester Film. Er ist auch ein deutscher Kandidat für den Oscar.

İlker Çatak wurde 1984 in Berlin in einer Familie türkischer Einwanderer geboren. Im Alter von zwölf Jahren zog er nach Istanbul, kehrte dann nach Deutschland zurück und arbeitete vier Jahre lang für deutsche und internationale Filmproduktionen. Sein Masterstudium absolvierte er an der Hamburg Media School. Seit 2005 dreht er seine eigenen Kurzfilme. Sein Diplom-Film Sadakat (2014) wurde mit der Goldmedaille der Studentenfilmakademie ausgezeichnet und gewann 2015 auch den Kurzfilmwettbewerb beim Max Ophüls Festival. Er debütierte 2017 mit Es war einmal Indianerland und erhielt für seinen nächsten Film Es gilt das gesprochene Wort eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis. Der Film Das Lehrerzimmer, dessen Premiere auf der Berlinale 2023 stattfand, gewann fünf Deutsche Filmpreise, darunter für Çatak in den Kategorien Regie und Drehbuch.
 

 

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