Buchvorstellung Karol Sauerland „Tagebuch eines engagierten Beobachters”

„Tagebuch eines engagierten Beobachters” © Goethe-Institut

Di, 07.02.2023

18:00 Uhr

Bibliothek Goethe-Institut Warschau

mit Karol Sauerland und Aneta Jachimowicz

Ein Gespräch zu Karol Sauerlands Buch "Tagebuch eines engagierten Beobachters", das 2021 im Neisse Verlag erschien. Dieses Tagebuch enthält Aufzeichnungen des Autors aus der Zeit zwischen Oktober 1980 und Februar 1992.

Aus dem Tagebuch zwischen 18. Oktober 1980 und 14. Februar 1992Im Herbst 1980, als Solidarnosc im polnischen öffentlichen Leben immer bedeutender wurde, beschloss ich, Tagebuch zu führen. Ich wollte darin das politische Leben festhalten, so wie ich es sah, aber auch das, was ich zu hören bekam, seien es auch nur Gerüchte. Dabei sollte ich eigentlich von einem Nacht- und nicht einem Tagebuch sprechen, denn ich setzte mich stets kurz vor dem Schlafengehen hin, um das aufzuschreiben, was ich für wesentlich hielt. Als am 13. Dezember 1981 der Kriegszustand von der Jaruzelski-Equipe ausgerufen wurde, der zum Verbot von Solidarnosc führen sollte, verließ ich meine Wohnung, um anderswo zu übernachten und abzuwarten, was sich tun würde. Als aktives Solidarnosc-Mitglied konnte ich damit rechnen, so wie andere interniert zu werden. Für mein Tagebuch stellte dies eine neue Situation dar, denn es konnte einer Hausdurchsuchung zum Opfer fallen. Ich gab daher von nun an jedes beschriebene Blatt außer Haus. Es war alles so neu, was ich in dieser Zeit erlebt bzw. miterlebt hatte. Ein Land versuchte auf friedliche Weise, sich von einem System zu befreien, das ein großer Teil seiner Bevölkerung für fremd, von außen oktroyiert erachtete. Es misslang zwar fürs erste, aber es hatte Folgen, die von heute aus gesehen kolossal waren. Diese friedliche, sechzehn Monate währende Revolution trug wesentlich zum Niedergang des Sowjetsystems bei, wenngleich das Ergebnis ein anderes ist, als man es sich in Polen 1980/1981 vorstellte.

Die polnischen Ereignisse der 1980er Jahre sind singulär und waren in dieser Form aus historischen und kulturellen Gründen nur in Polen möglich, doch zugleich kristallisiert sich in ihnen, wenn man Sauerlands Tagebücher liest, etwas Allgemeineres heraus, das wir leicht zu vergessen neigen: das Fragile, ja geradezu Fragmentarische der menschlichen Existenz, das sich zuweilen im unheimlichen Nebeneinander von Alltäglichkeit und Groteske manifestiert. Oder wie Sauerland am 29.1.1981 notiert: „Es ist alles romantisch, surrealistisch und erschreckend zugleich“. Das Erschreckende bezieht sich dabei auf die wachsende Unerschrockenheit der Menschen im Umgang mit der Macht, die natürlich jederzeit zurückschlagen kann. (Frank Hahn, https://www.spree-athen-ev.de)

Karol Sauerland persönliches Archiv Karol Sauerland, geboren 1936 in Moskau, Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin, das er aus politischen Gründen abbrach; Fortsetzung des Studiums der Mathematik und Germanistik an der Universität Warschau; Habilitation 1975. Professor für deutschsprachige Literatur an den Universitäten Warschau und Nikolaus Kopernikus in Toruń; zahlreiche Gastprofessuren im Ausland und Veröffentlichungen in deutscher und polnischer Sprache, u.a. "Od Diltheya do Adorna. Studia z estetyki niemieckiej " (PIW 1986) und " Dreissig Silberlinge. Denunziation in Gegenwart und Geschichte " (Berlin 2000), und 2021 wurde das Buch "Tagebuch eines engagierten Beobachters" im Neisse Verlag veröffentlicht. Im Jahr 1995 wurde er mit dem Preis der Alexander-Humboldt-Stiftung ausgezeichnet, 2015 mit dem Petöfi-Preis in Budapeşt.   

Aneta Jachimowicz persönliches Archiv Aneta Jachimowicz, Professorin an der University of Warmia and Mazury in Olsztyn, Germanistin und Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Lehrstuhls für Literatur und Kultur der deutschsprachigen Länder; 2006 Promotion an der Universität Warschau (Postmoderne und Robert Menasse), 2018 Habilitation (Historischer Roman im Österreich der Zwischenkriegszeit); Autorin von zwei Monographien und Herausgeberin von sieben Monographien mit mehreren Autoren zu vorwiegend österreichischer Literatur und Kultur; Forschungsschwerpunkte: Österreichische Literatur von 1918 bis 1938, Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts; aktuelles Verlagsprojekt mit Karsten Dahlmanns: "Geliebtes, verfluchtes Amerika. Zu Antiamerikanismus und Amerikabegeisterung im deutschen Sprachraum 1888-1933" (Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2022).     


 

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