Ausgesprochen ... Berlin
Ab jetzt: 3Gal!

Das Programm des Kant-Kinos
Im Kant-Kino hat unsere Autorin einen Nebenjob. | Foto (Detail): Stephan Schultze

Im Regel-Wirrwarr der Pandemiebekämpfung wurde die Kulturszene oft vergessen. Jetzt sind fast überall in Deutschland die Regeln gefallen – auch in Berlin. Unsere Kolumnistin Marie Leão arbeitet im Kant-Kino und erzählt, wie das Hin und Her für sie war.

Von Marie Leão

Es klang wie ein Scherz: 1. April war Freedom Day in Berlin! Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus lag in der Stadt zu Beginn des Monats über 1.100 pro 100.000 Einwohner*innen, aber was soll's? In den letzten Monaten wechselten die Coronaregeln für Kinos häufiger als das Programm. Jetzt ist aber jeder für sich und das Virus gegen alle.

Wie Ihr wisst, arbeite ich im Kant Kino – „in meiner Freizeit“, wie ich zu sagen pflege. Die letzten zwei Jahre waren angespannt, sowohl weil wir Angst hatten, uns bei der Arbeit anzustecken, als auch aufgrund der zahlreichen Diskussionen mit einem Teil der Besucher*innen: Sie wollten entweder die Maske nicht tragen, ihre Kontaktdaten nicht erfassen lassen oder sträubten sich gegen die Überprüfung des Impfpasses.

Gesichtsminislip

Nach dem ersten Lockdown wurde das Kant Kino im Sommer 2020 wiedereröffnet. Da gab es noch keinen Impfstoff und die berühmte Corona-Warn-App steckte noch in den Kinderschuhen. Die Kinos haben sich insgesamt mit größter Sorgfalt auf die neue Situation vorbereitet. Wir arbeiteten jedoch mit Verlust: Ohne die Coronahilfen wären wir schon längst pleite. Die tägliche Zuschauer*innenzahl war stark zurückgegangen, die Menschen hatten Angst. Diejenigen, die kamen, empfanden jedoch große Dankbarkeit. Seitdem hat sich unser Trinkgeld vervielfacht. 

Damals war es noch erlaubt, im Kino eine beliebige Maske zu tragen. Ich erinnere mich an einen Mann, der eine Art Gesichtsminislip trug. Und es gab immer zwei oder drei Coronaleugner*innen am Tag, bei denen wir sicher sein konnten, dass sie uns offen ins Gesicht logen, indem sie angebliche ärztliche Atteste vorlegten, die sie aus angeblichen medizinischen Gründen vom Tragen einer Maske befreiten. Im November 2020 haben wir wieder geschlossen.

Dschungel der Regeln. Alle drehen durch

Im Juli 2021 haben wir mit neuem Elan wieder eröffnet. Und schon waren wir mitten im Berliner Regelungsdschungel mit seinen fast wöchentlich neuen Verordnungen für Theater und Kinos: Die Maske war nach wie vor Pflicht, diesmal aber nur FFP2. Außerdem musste die Person entweder den Impfpass oder einen offiziellen negativen Schnelltest vorlegen. Wir hatten sogar ein offizielles Testzentrum im Foyer! Da die deutschen gelben Impfausweise aus Papier häufig gefälscht wurden, mussten wir den Impfnachweis in digitaler Form kontrollieren. Das Problem war, dass 80 Prozent unseres Publikums Frauen über 70 sind, von denen viele mit Internet und Smartphones überhaupt nichts anfangen und oft nicht verstehen konnten, warum gelben Impfpässe nicht mehr akzeptiert wurden. Wir versuchten sie zu beruhigen, indem wir ihnen den Weg zur nächsten Apotheke zeigten, wo der Impfpass dann digitalisiert werden könnte.

Mit der Omikron-Variante wurden die Regeln verschärft. Nun konnten nur noch Geboosterte oder Genesene gegen Vorlage ihres digitalen Impfpasses und ihres Personalausweises das Kino betreten. Wir schlossen das Testzentrum im Foyer, da immer mehr Positive kamen und nach einem PCR-Test fragten, und keiner von uns hatte darauf Lust, sich bei ihnen zu infizieren. Doch dann begann das Durcheinander. Eine Zeit lang galt der Johnson & Johnson-Impfstoff nicht als Doppeldosis. Wenn die Genesung zwischen zwei Impfungen stattfand, galt sie nicht als „Impfung“. Wenn die Genesung aber nach der zweiten Impfdosis stattfand, war sie erst nach 28 Tagen gültig, durfte aber nicht älter als drei Monate sein (eine sehr Berlin-spezifische Regel, denn im übrigen Deutschland sind es sechs Monate). In den letzten Wochen des Dschungels der Regeln reichten zwei Impfungen aus, um dabei zu sein. Ist Dir schon schwindlig geworden? Du kannst Dir vorstellen, wie viele Auseinandersetzungen wir mit Kund*innen an der Kinotür hatten, wie viele Beschimpfungen wir gehört haben, bei denen wir fast die Polizei rufen mussten.

Und jetzt ist alles vorbei. Hurra! Der Berliner Senat hat das Ganze für Theater und Kinos und sogar für Clubs gelockert. Es ist interessant, nach den neuen Regeln zu arbeiten – oder besser gesagt, nach gar keinen Regeln. Viele Menschen tragen immer noch Masken, weil wir sie höflich darum bitten. Aber viele der älteren Damen scheinen sich entschieden zu haben, die Maske einfach zu Hause zu lassen – ich nehme an, sie fühlen sich sicher, weil sie wahrscheinlich schon ihre vierte Dosis bekommen haben? Wir können froh sein, dass die Omikron-Variante in den allermeisten Fällen viel milder ist. Ich bezweifle, dass Menschen, die immer noch nicht geimpft sind, jetzt plötzlich ihre Meinung ändern werden. Aber jetzt ist fast alles ЗGal.

 

„AUSGESPROCHEN …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Marie Leão, Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm und Sineb el Masrar. Unsere Berliner Kolumnist*innen werfen sich in „Ausgesprochen … Berlin“ für uns ins Getümmel, berichten über das Leben in der Großstadt und sammeln Alltagsbeobachtungen: in der U-Bahn, im Supermarkt, im Klub.

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