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Kapitel 6
Wie die Mauer zum Material wurde

„Mauerspecht“, Berlin, November 1989, zwischen Reichstag und Potsdamer Platz
„Mauerspecht“, Berlin, November 1989, zwischen Reichstag und Potsdamer Platz | Foto: Jürgen Lottenburger © wir-waren-so-frei.de

Regelmäßige Schläge erklingen, von Weitem hören sie sich an wie ein Festival enthemmter Heimwerker. Doch der Hammer – eigentlich Symbol der Arbeiter*innen auf der Flagge der DDR – schlägt in den Wochen nach dem Mauerfall tausendfach gegen den Beton.

Von Regine Hader und Dr. Andreas Ludwig

Jahrelang ist die Mauer für beide Seiten der Stadt ein reales Bauwerk, das die Straßenbahnschienen abschnitt, Möglichkeiten, Beziehungen und Wege begrenzte. Gleichzeitig war die Mauer aber auch ein Symbol für den Kalten Krieg, das Entweder-Oder der Zugehörigkeit zu den politischen Blöcken – wechselweise der reaktionären Politik des Konsums oder der sozialistischen Unfreiheit. Sie symbolisierte eine Ordnung, die keine Zwischentöne zulässt und den Bürger*innen auf beiden Seiten die eigene Machtlosigkeit präsentiert. An diesen Novembertagen befreien sie sich auch körperlich.

Erste „Mauerspechte“, Berlin, 10. November 1989, Brandenburger Tor Erste „Mauerspechte“, Berlin, 10. November 1989, Brandenburger Tor | Foto: Monika Waack © wir-waren-so-frei.de Mit Hammer und Meißel beenden sie nicht nur die physische Unumgänglichkeit der Mauer, sondern zerstören auch die symbolische Ebene des Betons – entziehen ihm seine politische Autorität. Am neuen Ausflugsziel Berliner Mauer hackt man drauflos, arbeitet sich ab. Die Hammerschläge der „Mauerspechte“ klingen wochenlang fort. Am Ende ist der Beton wieder, was er war, bevor er in Form gegossen wurde: bloßes Material. Er endet als Füllstoff im Straßenbau.

In dieser Szene zwischen Reichstag und Potsdamer Platz sitzt ein „Mauerspecht“ auf der Mauerkrone, ein Bein im Westen, eines im Osten. Die Ästhetik dieser Zeit ist durchzogen vom Kontrasten: Situationen, die einige Tage zuvor unmöglich schienen, lassen die Menschen Freiheit atmen und sich lebendig fühlen. Stunden, in denen alles offen scheint.

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