Interview mit Aisha Franz
Earthling

 „Earthling“
„Earthling“ | Illustration: Aisha Franz

Die Comiczeichnerin und Illustratorin Aisha Franz sprach mit Schriftstellerin Michelle Kay über Comics, ihren Schreibprozess und ihre Graphic Novel „Earthling“, die in englischer Übersetzung bei Drawn & Quarterly erschienen ist. Im November 2014 war Aisha Franz auf Buchtour in Nordamerika.

Earthling ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, welches sich mit einem unnahbaren Alien anfreundet. Die Geschichte spielt an einem einzigen Tag im Leben des Mädchens, seiner älteren Schwester und seiner Mutter. Jede hat mit ihren eigenen Problemen zu schaffen: Reue, pubertäre Rebellion und Sexualität. Es passiert nicht viel, doch trotz dieser Einfachheit gibt die Geschichte einem Einiges zum Nachdenken.

Aisha, ich würde als Erstes gern auf „Earthling” zu sprechen kommen. Die Geschichte handelt von drei Frauen, na ja, oder eher einem Mädchen, einer Jugendlichen auf der Schwelle zum Erwachsensein und der Mutter der beiden. Magst du ein bisschen darüber erzählen, wie du die Geschichte der drei entwickelt hast?

Es fing alles damit an, dass ich ein Bild von dem jüngeren Mädchen und dem Alien gezeichnet habe. Anfangs war es – wieder – so eine blöde Idee, eine Story über ein Alien zu machen. Aber dann fiel mir auf, dass mich der Charakter des Mädchens irgendwie an mich selbst in dem Alter erinnerte, und da dachte ich, wäre es spannender, ihre Geschichte zu erzählen. Ich fing einfach an, all diese Ideen zu haben, worum es gehen sollte, Szenen zu kreieren darüber, was sie machen würde, mich an mich selbst in dem Alter zu erinnern und wie das für mich war, als ich aufgewachsen bin. So fing es an. Die anderen Charaktere kamen einfach in die Geschichte rein. Ich hab das Ganze entwickelt, während ich zeichnete. Ich habe nie ein Storyboard geschrieben.

Ich habe in anderen Interviews gelesen, dass Deine Charaktere ihre Geschichten selbst bestimmen. Lässt du das einfach so im Prozess geschehen? Du sagst, du planst das alles nicht. Wo kommt es her?

Es ist eine Mischung aus persönlichen Erfahrungen und Kleinigkeiten, Dingen die ich im Alltag erlebe. Meistens ist das der Auslöser für meine Geschichten. Ich erinnere mich an eine Kleinigkeit, etwas, das ich gesehen habe und vielleicht ist da das Potential etwas um das Objekt herum zu schaffen, was immer es auch sein mag. Als ichEarthling gemacht habe, war das mein erster längerer Comic. Ich wusste nicht wirklich, wie man an sowas rangeht, ans Geschichten schreiben, also hab ich es auf die naive Art gemacht und einfach angefangen. Zunächst war es ein Zusammenspiel aus Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen. Aber dann kommst du an einen Punkt, wo die Geschichte plötzlich zum Leben erwacht. Und so habe ich anfangen, Comics zu machen.

Was mir an „Earthling“ auffiel ist, dass es kaum Text gibt. Deine Arbeit besteht hauptsächlich aus Panels. Die Panels sind sehr ausdrucksstark, obwohl nicht unbedingt Text da ist, der einen Kontext liefert. Ist das Dein Lieblingsstil? Lässt du lieber die Illustrationen für sich sprechen?

Ja, aber ich glaube, nicht absichtlich. Ich bin, glaub ich, nicht so gut mit Worten (lacht). Ich versuche gerade einen Schreibstil zu entwickeln, mit dem ich in Comics arbeiten kann, um einen neuen Weg zu finden, aber generell ist das, warum ich Comics mache. Ich bin mir meiner Sache nicht so sicher, was das Schreiben angeht. Vielleicht gehe ich dem Ganzen auch aus dem Weg, aber eigentlich denke ich nicht wirklich darüber nach. Wenn es Text gibt, dann, weil es keinen anderen Ausweg gibt und es einen Dialog geben muss.

Aber die Geschichte kommt trotzdem rüber. Was mir an „Earthling“ gefiel, war, dass sämtliche Gefühle und Komplexitäten allein durch Zeichnungen vermittelt wurden.

Ich mag es nicht Comics mit Filmen zu vergleichen, aber in der Vergangenheit war ich nicht wirklich daran gewöhnt, Comics zu lesen. Der Großteil meiner visuellen Vorstellungskraft und Erzählkunst kam von Filmszenen. Und ich dachte: „Wie würde ich das darstellen?“ Die ganze Geschichte hat ein sehr langsames Tempo.

Ich würde gern über die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander reden. Welche Absicht steckt dahinter, Momentaufnahmen aus den Leben dieser drei Personen und der Art, wie sie miteinander verbunden sind, zu schaffen?

Da ich ja mit dem einen Mädchen angefangen habe, habe ich schnell gemerkt, dass es andere Charaktere braucht, um ihre Gefühle zu spiegeln. Anfangs habe ich versucht, alle mehr miteinander zu tun haben zu lassen, sie mehr kommunizieren zu lassen, aber es fühlte sich nicht richtig an, weil jede von ihnen so sehr mit sich selbst und ihren eigenen Problemen beschäftigt ist. Sie können nicht wirklich miteinander kommunizieren, also kommunizieren sie auf diese stereotype Art und Weise, auf die Schwestern nun einmal mit ihrer Mutter kommunizieren. Es ist sehr oberflächlich. Es ist etwas, das man in vielen Familien beobachten kann. Jeder spielt seine Rolle, aber sobald du deine Zimmertür zu machst, ist alles in deinem Zimmer komplett anders, voll mit Dingen, von denen die Anderen nichts wissen.

So, als würdest du ein Alien in deinem Zimmer verstecken.

Ja, im Prinzip so.

Warum wolltest du, dass alle Charaktere weiblich sind? Hast du auch mal mit dem Gedanken gespielt, einen Vater oder Bruder einzubauen?

Ich hab mit dem Gedanken gespielt einen Vater einzubauen, aber die Geschichte hat ihm nicht viel Raum gelassen. Es war irgendwie als hätte ich ihn ständig im Kopf und hab mich gefragt, wann er endlich auftaucht. Aber es klappte einfach nicht. Auch das geschah nicht absichtlich. Die Story hat mir gesagt, dass ich es besser bleiben lassen soll. Er ist da, aber nur marginal. Es ist leichter für mich – weil es eben so eine intuitive Geschichte ist – sie auf weibliche Charaktere zu projizieren. Beide, die jüngere und die ältere Schwester, ähneln mir in dem Alter und stehen für die Träume und Sorgen, die ich damals hatte. Die Mutter, würde ich sagen, ist eher eine Projektion meiner Ängste. Es ist alles sehr persönlich. So war es einfach. Es wäre verfälscht worden, wenn ich einen Vater eingebaut hätte.

Ich muss jetzt mal fragen: warum hat die Figur „Mädchen” keinen Namen?

Das passiert immer, wenn ich an größeren Projekten arbeite. Es fällt mir einfach unheimlich schwer ihnen Namen zu geben. Es ist wie seinem Kind einen Namen zu geben. Es war sozusagen der Arbeitstitel. Ich musste sie irgendwie nennen, um weitermachen zu können. Ich weiß noch, dass ich „Twin Peaks“ geschaut habe, und da gab es einen Charakter, der „Mädchen“ hieß. Und da dachte ich: „Wow, das ist sogar ein Name. Cool, den nehm‘ ich.“ (Sie bezieht sich auf Mädchen Amick, welche Shelly Johnson in der TV Serie „Twin Peaks“ spielt.)

Was die Schwester angeht, habe ich versucht zu vermeiden, ihr einen Namen zu geben. Die Mutter hat einen Namen, weil ich glaube, dass ihr Charakter derjenige ist, der mir an wenigsten nahesteht. Es war einfacher einen Namen auf sie zu projizieren.

Und es passt auch irgendwie, weil alles in einer Vorstadt spielt, und damit überall spielen könnte. Weder Zeit noch Raum werden benannt. Ich wollte alles sehr offen lassen. Und ich konnte mich nicht wirklich entscheiden. Und darüber hinaus wollte ich nicht so selbst-projizierend sein, dass ich einen bestimmten Ort nenne, an dem ich mal gewohnt hab oder so. Ich wollte einfach nur sehen, ob’s funktioniert.

Und es funktioniert, weil die Dinge, die die Charaktere durchmachen universell sind. Ob in Kanada oder Deutschland, jeder macht das Gleiche durch. Ich würde außerdem gern fragen, wie der Weg für Dich war, vom Selbstveröffentlichen hin zur Veröffentlichung durch D&Q, die ein ziemlich hoch angesehener und wirklich toller Verlag in Nordamerika sind.

Es ist eigentlich kein so großes Ding für mich. Ich werde immer selbstveröffentlichen. Es ist einfach mein Ding und ich werde das auch weiter machen. Ich meine, es fühlt sich anders an, weil mein erster Comic in Deutschland von einem ziemlich bekannten Verlag – Reprodukt – rausgebracht wurde. Das war mein erster Schritt in die Welt des Comics. Es war sozusagen andersherum. Ich war plötzlich Comiczeichnerin, was ich eigentlich nie vorhatte, und dann war ich’s auf einmal.

Ich sehe mich nicht als Schriftstellerin, die von einem Buch zum nächsten geht. Ich brauche viel Raum zum Experimentieren und um Spaß an meinem nächsten Projekt zu haben und mich darin zu verstecken. Es ist eigentlich wie ein Spielplatz, Selbstveröffentlichen. Es ist eine großartige Art und Weise, um Leute kennenzulernen und mit Anderen zusammenzuarbeiten.

Ich würde noch gern etwas über [das Berliner Kollektiv] Treasure Fleet sprechen.

(Lacht.) Also, es fing alles damit an, dass wir in unterschiedlichen Städten wohnten und die Arbeiten der Anderen aus dem Internet kannten, hauptsächlich durch Flickr. Wir alle hatten gerade unser Kunststudium abgeschlossen und wir alle zogen zur gleichen Zeit nach Berlin. Mein Freund Till hatte diese Idee – weil wir alle selbstveröffentlichten – dass wir uns zusammenschließen könnten und diese Community gründen, so dass wir unsere Comics gemeinsam vertreiben konnten, was einfacher war, als dass jeder für sich war. Tja, wir wurden Freunde, fuhren gemeinsam zu Festivals, Buchmessen und Small Press Fairs. Aber wir haben mittlerweile aufgehört damit. Treasure Fleet ist jetzt tot. Doch eigentlich ist es wie ein Kreislauf. Es wird was Neues kommen. Weil da immer ein Bedürfnis danach ist. Es ist großartig eine Community zu haben. Es ist schwer, wenn man auf sich allein gestellt ist.

So ist es in Toronto, alle Graphic Novelists und Comiczeichner sind eine große Community. Wie wichtig ist Dir das, besonders für deine Arbeit?

Für mich ist das das Wichtigste. Ich weiß nicht, ob ich mit so viel Freude bei der Sache wäre, wenn es keine Community gäbe. Aber in Berlin gibt es nicht eine große Community, sondern viele kleine. Es ist wichtig sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Das muss man einfach machen. Die meisten Leute, die ich kenne, haben eine Vollzeitstelle und trotzdem immer noch genug Energie und sind voll bei der Sache, wenn’s um Comics geht. Das geht nur, wenn du eine Community hast.

Siehst Du viele Unterschiede zwischen den Comic Communities, sagen wir in Kanada und Deutschland oder Toronto, Montreal und Berlin?

Na ja, ich lerne die Leute in Toronto, Montreal ja gerade erst kennen, aber so viele Unterschiede gibt es da nicht. Die Vorstellungen, die die Leute haben und die ganze Energie der Communities (Ich hab auch viele Leute in Baltimore, in den U.S.A., getroffen). Aber ich würde schon sagen, dass es Unterschiede in der Herangehensweise und im Stil gibt. Das ist natürlich sehr spannend. Es gibt überall viele verschiedene Stile. Im Kern ist es sehr ähnlich, würde ich sagen – die Ideen, die Leute haben.

Gibt es einen besonderen, deutschen Stil?

Ich weiß nicht. Das haben Leute mich schon oft gefragt, aber ich weiß es nicht. Es gibt natürlich bestimmte Stile, die von verschiedenen Kunsthochschulen kommen, wegen der Professoren, die dort unterrichten. Etwa Bleistift und expressivere Zeichnungen aus Hamburg, ein bisschen härter und bunter aus Leipzig. Oder hier in Berlin, eher ein etwas geometrischerer Stil.

Woran arbeitest Du als nächstes?

Ich arbeite an einem neuen Buch. Nach einer Pause, in der ich kleinere Projekte und Selbstveröffentlichungen gemacht habe und Auftragsarbeiten und gereist bin. Mein Verleger hier meinte: „Es ist wie ein erwachsenes ‚Mädchen‘!”

Es wird ein bisschen wie Earthling sein, aber es handelt von einer 13-Jährigen in einer Großstadt. Um genau zu sein, versuche ich dahin zurückzugehen, wie ich die Geschichte für Earthling entwickelt habe. Ich habe viele verschiedene Arten und Weisen versucht. Es war cool so rumzuexperimentieren. Ich vermisse, was ich vorher als naive Herangehensweise an die Story beschrieben habe und versuche einen Weg dahin zurückzufinden, um es wirklich herauszulassen. Es hört sich kitschig an, aber es ist eine Art Therapie zurückzugehen.

Ist es möglich zur Naivität zurückzukehren?

(Lacht) Ich denke nicht, aber man kann so tun als ob. Vielleicht kann ich über die Techniken, die ich damals nicht kannte, aber trotzdem benutzte, nachdenken und jetzt einfach schlauer sein.