Diversität in Kinder- und Jugendbüchern
Auf dem schwierigen Weg zur Normalität

Unsere reale Welt ist deutlich vielfältiger als die Erzählungen darüber. Eine Diskrepanz, die sich auch in (deutschsprachigen) Kinder- und Jugendbüchern findet. Victoria Engels schaut auf die Komplexität der Diversitäts-Frage und wirft ein exemplarisches Schlaglicht auf Autor*innen, die mit ihren Erzählungen dazu beitragen, die Lücken zu schließen.

Von Victoria Engels

Thesing: You don't look gay © © Bohem Press Thesing: You don't look gay © Bohem Press
Diversität ist kompliziert. Zumindest dann, wenn wir darüber sprechen oder schreiben. Insbesondere wird es heikel, wenn es nicht um Vielfalt im eigenen Leben geht, sondern um die Repräsentation von Wirklichkeit. Dann ist oft von der eigenen, alltäglich erlebbaren Vielfalt nicht mehr so viel übrig.

Die Autorin Martha Wohlleber präsentiert das Problem sehr differenziert im Beitrag Diversität in aktuellen deutschen Kinder-Bestsellern, der im Rahmen des international angelegten Projekts DRIN – Visionen für Kinderbücher des Goethe-Instituts Finnland erschienen ist. Die Konsequenz der mangelnden Darstellung von Diversität ist, dass vielen Kindern und Heranwachsenden wichtige Identifikationsangebote fehlen, was weitreichende Folgen für die Entwicklung haben kann. Wie können wir die Situation also verbessern?

Diversität ist vielschichtige Vielfalt

Diversität ist komplex und im wahrsten Sinne des Wortes vielfältig. Es gibt keine Schablone für eine ausreichende Menge an Vielfalt in einem Kinder- oder Jugendbuch. Diversität ist vielschichtig:

Angefangen mit der Frage nach einem diversen Team, das hinter einer Buchveröffentlichung steht, kommt Diversität nicht nur in der Narration von vielfältigen Formen von Familienleben und Rollenbildern zum Tragen. Sie zeigt sich zum Beispiel auch in der Bildsprache, der Auseinandersetzung mit Intersektionalität, also der Überschneidung mehrerer Formen von Diskriminierung bei einer Person, und in vielen weiteren Bereichen.

Die Autorin Aino-Maria Kangas macht in einem Beitrag zum Thema dennoch einen Vorschlag für ein Ziel, dem wir uns näher könnten:
 
„Aus Sicht der Kinder und Heranwachsenden wäre es mehr als fair, dass von jeder Familienform (oder jeder Ausdrucksform von Vielfalt) eine gleich große Anzahl erzählter Geschichten existieren würde.“

Mehrheit ist Normalität, Vielfalt ist (noch) Abweichung

Beese / Rousseau: Nelly und die Berlinchen. Die Schatzsuche © © HaWandel Beese / Rousseau: Nelly und die Berlinchen. Die Schatzsuche © HaWandel
Auch wenn Darstellungen von Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur eher die Ausnahme als die Regel zu sein scheinen, gibt es Gegenbeispiele:
 
Ein, auch in stilistischer Hinsicht, mutiger Beitrag ist der Erfahrungsbericht von Julius Thesing You don’t look gay. Eine Auseinandersetzung mit homophober Diskriminierung. Das Buch bietet eine kurzweilige, aber nachwirkende Lektüre von knappen, sehr eingängigen Erzählungen in Wort und Illustration, die oft aufgrund der Alltäglichkeit der Diskriminierungserfahrung erschüttern.
 
Jedes dritte Kind in Deutschland unter 15 Jahre hat einen Migrationsgeschichte, wie eine Studie zur Darstellung von „Migration und Integration“ in deutschen Schulbüchern von 2015 belegt. Diese Realität wird ganz nebenbei von Karin Beese und Mathilde Rousseaus Bilderbuchreihe Nelly und die Berlinchen erzählt. Die Geschichten für Kinder von zwei bis sechs Jahren stellen den Alltag und die Abenteuer von Nelly und ihren Freund*innen in Berlin dar.
 
Fajembola / Nimindé-Dundadengar: Gib mir mal die Hautfarbe © © Beltz Fajembola / Nimindé-Dundadengar: Gib mir mal die Hautfarbe © Beltz
Die Neuerscheinung „Gib mir mal die Hautfarbe“. Mit Kindern über Rassismus sprechen der Autorinnen Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar richtet sich an Eltern und Kinder, die zu einer Wirklichkeit frei von Rassismen beitragen wollen. Das Buch bietet Hintergrundinformationen und Checklisten, die dabei helfen sollen „aktiv gegen Rassismus im Alltag von Kindern vorzugehen“. Die Autorinnen werfen u.a. folgende Fragen auf: „Welche Worte und Sätze verletzen? Welche Symbolik versteckt sich in Kinderliedern, Büchern und Spielen?“ Passenderweise betreiben die Autorinnen einen Online-Shop (Tebalou), den es für mehr Vielfalt im Kinderzimmer aufzusuchen lohnt.

Weit weg von Normalität

Die genannten Erzählungen sind exemplarische Beiträge, neben denen viele andere genannt werden könnten. Und trotzdem: Vielfältige Erzählungen sind derzeit noch Abweichung und nicht die Norm. Bis die Darstellung von Diversität in Büchern für Kinder und Jugendliche zur Normalität wird, ist es ein weiter Weg.
 
Rosinenpicker © © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank
Karin Beese / Mathilde Rousseau: Nelly und die Berlinchen
Band 1: Rettung auf dem Spielplatz
Berlin: HaWandel, 2016. 24 S.
ISBN: 978-3-9817715-1-0
Band 2: Die Schatzsuche
Berlin: HaWandel, 2019. 36 S.
ISBN: 978-3-9817715-2-7
 
Olaolu Fajembola / Tebogo Nimindé-Dundadengar: „Gib mir mal die Hautfarbe“. Mit Kindern über Rassismus sprechen
Weinheim: Beltz, 2021. 247 S.
ISBN: 978-3-407-86689-9
 
Julius Thesing: You don't look gay. Eine Auseinandersetzung mit homophober Diskriminierung
Münster: Bohem Press, 2021. 96 S.
ISBN: 978-3-95939-094-1

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