im Ain Shams-Theater
„Der Besuch der alten Dame”

„Der Besuch der alten Dame” im Ain Shams-Theater
Foto: © Mohamed Abdelrahim

Eine alte, wohlhabende Dame besucht nach 50 Jahren die verarmte Kleinstadt, in der sie einst aufgewachsen ist und beschließt, ihr eine großen Menge Geld zu stiften. Sie will Gerechtigkeit. Oder auch Rache, im Deckmantel der Gerechtigkeit.

Am 2. und 3. Mai begleiteten wir die Theatergruppe der Al Alsun-Fakultät ins Ain Shams-Theater zur Vorführung des berühmten Stücks „Der Besuch der alten Dame” des schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt.
 
Von Anfang an ist der Zuschauer hin und her gerissen zwischen der Sympathie für die Hauptdarstellerin, Claire Zachanassian, die vor 50 Jahren vertrieben wurde nachdem ihr damaliger Liebhaber, Alfred Ill, die Vaterschaft ihres gemeinsamen Kindes leugnete, und die nun zurückgekehrt ist, um Gerechtigkeit einzufordern, und der Sympathie für Alfred Ill, der, angesichts der Versuchung des Geldes, von seiner Heimatstadt im Stich gelassen wird.
 
Dürrenmatt erschafft eine Welt voller Heuchelei, Gier, Materialismus und Armut, die eine bittere Realität wiederspiegelt. Damit gehörte „Der Besuch der alten Dame” zu einem der ersten Werke des Genres der Dystopieliteratur. 
 
„Die Menschlichkeit, meine Herren, ist für die Börse der Millionäre geschaffen, mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell.” (Claire Zachanassian in „Der Besuch der alten Dame”).

„Der Besuch der alten Dame” im Ain Shams-Theater Foto: © Mohamed Abdelrahim Der ausdrucksstarke Text des Stücks sowie Dürrenmatts Ruhm haben den jungen Theaterregisseur Mohammed Jabr dazu inspiriert, dieses Stück zu inszenieren. „Dürrenmatts Werk zeichnet sich durch starken Realismus aus und transportiert wichtige soziale Themen,” so Jabr.
 
Der Text sieht früh die Krise der Moral in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus vorher. Ein Konflikt, der fest in kapitalistischen Systemen verankert ist, welche die Moral zur Nebensächlichkeit erklären. Eine Tatsache, die laut Jabr den Rahmen der Kreativität eines jeden Regisseurs sprenge, der sich mit diesem Stück beschäftigt.
 
Der sprachliche Reichtum des Texts stellte für Jabr auch eine Schwierigkeit dar: Er erklärt, um die junge Generation anzusprechen, und auch für das normale Publikum, aus dessen Reihen die Mehrheit der Theaterbesucher stammt, hätte er den Text angepasst.
 
Die Charaktere des Stücks sind komplex und tragisch zugleich, was die Hauptdarstellerin, Noha Mohammed, vor eine besondere Herausforderung stellte. Ihre dreijährige Erfahrung in der Theatergruppe der Universität half ihr bei der Darstellung der alten Dame, deren Persönlichkeit Mohammed als „von ihrer Macht an den Rand des Wahnsinns getrieben” beschreibt. „Andererseits haben die Erinnerungen an schmerzhafte Ereignisse in ihrem Leben diese Frau entstellt. Der Unterschied dieser Rolle zu anderen Charakteren, welche ich bereits gespielt habe, ist die Entwicklung, die Claire im Verlauf der Geschichte durchläuft.”
 
Und sie fügt hinzu: „Um die Widersprüchlichkeit der Claire Zachanassian darzustellen muss man ihre Persönlichkeit durchdringen, ihr Gefühlsleben, ihre Handlungsmotive und Rechtfertigungen.”
 
Das Gleiche gilt für die Besetztung der Rolle des 75-jährigen Alfred Ill. Es bedurfte den Schauspieler „Fadi Ayman” einiger Anstrengung, den Charakter so darzustellen, dass Mimik und Gestik auch dem Alter des Alfred Ill entsprechen.
 
Die größte Herausforderung für „Fadi” stellte allerdings die innere Wandlung des Alfred Ill dar, welche sich in seinen Handlungen widerspiegelt. Geliebt und respektiert zu Beginn des Stücks, wird er zum Angeklagten, der versucht, seinem Schicksal zu entkommen, und akzeptiert am Ende doch, sich ebendiesem zu fügen.
 
„Fadi” sieht keinen substantiellen Unterschied zwischen Friedrich Dürrenmatts beiden Stücken „Der Besuch der alten Dame” und „Ein Engel kommt nach Babylon”, denn beide diskutieren philosophische Themen, welche unabhängig sind von Zeit und Raum und können vor jedem Publikum gespielt werden.
 
Es scheint, „Der Besuch der alten Dame” wird nicht das letzte Stück aus dem deutschsprachigen Raum auf der Bühne des Ain Shams-Theaters gewesen sein. „Nada Ashoor” ist Mitglied der Theatergruppe und war bereits bei mehreren Stücken als Regieassistentin tätig. Sie bestätigte, sie plane das Stück „Faust” des deutschen Schriftstellers Johann Wolfgang von Goethe am Universitätstheater aufzuführen —vorausgesetzt, sie bekommt die Möglichkeit im nächsten Jahr die Regie dafür zu übernehmen.