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Frauen die in und durch Berlin drehen

Woman who film away in and through Berlin
© Mala Ghedia © Filmmaking for Fieldwork

Am 16. Dezember 2021 stellte die Filmanalystin Patrizia Simone im Rahmen des „Lab Femmes de Cinema“ beim Les Arcs Film Festival in Frankreich die neuesten Statistiken über weibliche Fachkräfte in der europäischen Filmproduktion vor. Laut ihrem Bericht über europäische Spielfilme, die zwischen 2016 und 2020 produziert und auf mindestens einem europäischen Markt in die Kinos gebracht wurden (wie in der LUMIERE-Datenbank erfasst), lag der Anteil von Regisseurinnen bei 21%, der Anteil von Drehbuchautorinnen etwas höher bei 25%, der Anteil von Produzentinnen bei 30% und der Anteil von weiblichen Kameraleuten bei nur 10%. Während der Anteil der Regisseurinnen in Deutschland mit 25% etwas höher zu sein scheint, berücksichtigen diese Statistiken nur die Herkunft der Filme, nicht die Herkunft der Regisseure/innen. Als Forscherin, die seit fünf Jahren in Berlin lebt und von diesem Bericht fasziniert ist, gehe ich in diesem Artikel darauf ein, wie Frauen, die nach Berlin ziehen wollen oder schon länger dort wohnen, ihre Karriere als Filmemacherinnen in Berlin vorantreiben.
 

Von Özgür Çiçek

Zeynep Dadak ist eine Filmemacherin, die im Juni 2018 in Zusammenhang mit dem Artist-in-Residency-Programm des Medienboard Berlin nach Berlin gezogen ist. Seitdem produziert sie in und durch Berlin und Istanbul. Vor ihrem Umzug nach Deutschland drehte sie zwei Filme in der Türkei, „Blue Wave“ (2013, Co-Regie mit Merve Kayan) und „Invisible to the Eye“ (2020), beides multinationale Co-Produktionen. Für dieses Interview trafen wir uns in einem Café in Berlin, und ihre Ausstrahlung und Energie haben mich während des Gespräches sehr beeindruckt.

Kann ich in Deutschland einen türkischsprachigen Film drehen, der nicht unbedingt einen Bezug zur Türkei hat?

In den letzten fünf oder sechs Jahren mussten viele Filmemacher/innen und auch andere Personen auf der ganzen Welt aus unvorhergesehenen politischen Gründen ihr Land verlassen oder über ihre internen Netzwerke hinausgehen und neue Wege finden, um Filme mit internationaler Finanzierung zu produzieren. Dies brachte einige direkte praktische Prozesse mit sich, die angefochten werden müssen, da es verschiedene undefinierte Barrieren gibt, die es zu überwinden gilt. Wenn Dadak zum Beispiel eine Filmemacherin aus der Türkei ist, bedeutet das, dass sie nur türkischsprachige und in der Türkei basierende Filme machen darf? Jetzt, wo sie auch in Deutschland lebt, ist ihre einzige Aussicht, die dort auf sie warten könnte, eines Tages Filme in deutscher Sprache zu drehen? Sie fragt auch: „Kann ich in Deutschland einen türkischsprachigen Film machen, der nicht unbedingt einen Bezug zur Türkei hat? Oder könnte es eine Möglichkeit geben, Türkisch und Deutsch in einem Film zu verwenden, der sich nicht unbedingt um Migrationsgeschichten dreht?“ Diese praktischen und einfachen Fragen verändern die Art und Weise, wie Filmemacher ihre Projekte entwerfen und visualisieren, argumentiert sie.

Dadak glaubt, dass sie nicht nur ihre Migrationserfahrung nach Berlin mitbringt, sondern auch ihren Blick, ihre Art, die Dinge zu sehen. So fragt sie, ob es eine Art des Filmemachens jenseits bestimmter Trends geben könnte, die sich bereits in dem erschöpfen, was als Migrantenfilm bezeichnet wird? Welche Art von Berliner Geschichte würde sie zum Beispiel erzählen? Welche Art von Rosa-Luxemburg-Geschichte würde sie erzählen? Und gibt es Platz für unterschiedliche Praktiken des Filmemachens in Berlin mit dem Gebrauch verschiedener Sprachen und künstlerischer Entscheidungen?

Berlin ist ein Melting Pot...

Der Umzug in eine neue Stadt ist ein dynamischer Prozess. Mit jedem Jahr, das vergeht, können sich die eigenen Ideen und Interaktionen ändern, und dass, wie Dadak erläutert, verändert auch die kreativen Entscheidungen und Praktiken. Eine weitere Filmemacherin und Drehbuchautorin, Mala Ghedia, ist vor fünfzehn Jahren nach Berlin gezogen. Sie studierte Film in Australien und Schauspiel in London. Sie arbeitete für Fernsehen, Film und Theater in Großbritannien, Australien, den USA, Indien, der Schweiz und Deutschland. Wie aus dem Bericht von Patrizia Simone hervorgeht, haben zwischen 2016 und 2020 83% der europäischen Filme mindestens eine weibliche Hauptrolle. Betrachtet man jedoch den Anteil der weiblichen und männlichen Rollen an der Gesamtzahl der Hauptrollen für jeden Film, so lag der durchschnittliche Anteil der weiblichen Rollen pro Film zwischen 2016 und 2020 bei 38%. Aufgrund dieses ungleichen Anteils an weiblichen Schauspielerinnen und aus anderen Gründen wie Typ-Casting oder Alter wechselte sie zum Drehbuchschreiben, Produzieren und Regieführen. Als nicht-einheimische Filmemacherin und Nicht-Staatsbürgerin sind ihre Möglichkeiten, Filme zu drehen, jedoch sehr begrenzt. Ihr erster Kurzfilm, in dem sie mitspielte und dessen Drehbuch sie mitverfasst hat, trägt den Titel „No Monsters in Berlin“ (2017) und entstand 2016 in Zusammenarbeit mit Neuankömmlingen in Berlin. Jetzt arbeiten sie mit Unterstützung des Writer's Lab Europe an einer TV-Serie, die auf diesem Kurzfilm basiert. Das Writer's Lab half beim Organisieren von Treffen, und somit konnten sie Fuß fassen und die richtigen Personen für die Produktion erreichen.

Ihr anstehendes TV-Serienprojekt mit dem Titel „ReBIRTHING SAMIRA“ wurde von Gaumont Productions optioniert. Ghedia reflektiert, dass einer der Hauptkonflikte in Deutschland darin besteht, dass die Filmindustrie sehr hinterherhinkt, wenn es darum geht, mehrsprachige Drehbücher oder nicht-deutsche Charaktere zu integrieren. Diese Serie wird bahnbrechend sein, wenn sie mit einem Produktionsbudget aus Deutschland hergestellt wird, aber selbst mit der Unterstützung der größten Produktionsfirma Europas steht noch einen langen Weg bevor!

Ghedia leitet auch das Filmfestival Down Under Berlin in Berlin, das Filme aus Australien und Neuseeland zeigt. Ihre Erfahrung in Berlin hat es ihr ermöglicht, dieses Festival zu leiten, denn Berlin ist das Zentrum vieler Menschen und ein „Melting Pot“. Es gibt das alte und das neue Berlin, es gibt Auswanderer und große Unternehmen, die sich hier niederlassen, so dass es viele Fotos des Geschichtenerzählens und eine große Anzahl von Menschen mit unterschiedlichen Geschichten und Geschmäckern gibt. Diese Vielfalt schafft unendlich viele Möglichkeiten, mit dem physischen Raum und den Räumen, die die Menschen mit sich tragen, zu interagieren.

Das Leben im Ausland ist nicht immer schön und rosig...

Für Megha Wandhwa wurde das Filmemachen zu einem Wunsch aus einer anderen Perspektive. Sie ist Migrationsforscherin an der Freien Universität Berlin und arbeitet mit der Methode der Ethnografie, d.h. sie führt eine engagierte Forschung mit ihren Probanden durch, indem sie deren Ton aufnimmt. Aber nachdem sie die Interviews mit der Kamera aufgezeichnet hatte, stellte sie fest, dass die Gefühle, die sie wahrnehmen und verinnerlichen kann, ganz anders sind.

Als Migrationsforscherin betont sie, dass Menschen, die aus ihrem Land wegziehen wollen, vielleicht denken, dass die Probleme mit der Migration aufhören. Aber die Realität sieht anders aus. Man lässt die Probleme nicht hinter sich, wenn man den Ort wechselt, sondern schafft sich nur neue Erfahrungen und neue Probleme. Obwohl die Menschen ihre Heimat mit vielen Erwartungen verlassen, ist das Leben im Ausland nicht unbedingt so schön oder rosig. Und das Filmemachen kann diese Intensität und Komplexität auf eine großartige Weise einfangen. Durch den Film erzählen die Menschen ihre Geschichten direkt dem Publikum, und das führt zu einer intensiven emotionalen Interaktion.

Filmemachen unter Frauen verbreiten

Bei ihrem aktuellen Projekt arbeitet Wadhwa mit einer Gruppe von Frauen zusammen, die gleichzeitig filmen und forschen. Sie erzählt leidenschaftlich davon, wie sie das Filmemachen unter Frauen verbreitet. Ihr nächster Film entsteht in Zusammenarbeit mit ihren derzeitigen Projektmitgliedern und wird sich mit Migrationsgeschichten aus Asien befassen. Außerdem hat sie in Manchester, Großbritannien, eine Ausbildung zur Filmemacherin absolviert, und zwar im Rahmen des Schulungsprogramms „Filmmaking for fieldwork“. Sie empfindet eine solche Leidenschaft und Liebe zum Filmemachen, dass sie sich wünscht, jeder könnte diese Erfahrung machen. Obwohl das Filmen viel Arbeit ist, verrät sie, dass sie durch das Filmemachen ihre Nische gefunden hat.

Diese drei Frauen haben unterschiedliche Motivationen für das Filmemachen, aber sie treffen sich in dem gemeinsamen Punkt, dass eine Person, die einen Film machen möchte, einen Weg finden würde, dies zu tun, egal wo sie lebt oder wo sie ankommt. Wie Wadhwa betont, bringt die Migration Herausforderungen mit sich, und der Bericht von Patrizia Simone zeigt, dass das Filmemachen für Frauen in Europa eine besondere Herausforderung darstellt. Auch wenn die Filmindustrie nicht leicht zu durchschauen ist und es Hindernisse zu überwinden gibt, finden diejenigen, die im Filmemachen ihre Leidenschaft gefunden haben, einen Weg zu produzieren, zu schreiben und zu drehen. Berlin außergewöhnlich, weil es ein Hub ist, an dem viele Filmemacherinnen und Filmemacher aus unterschiedlichen Ländern darum kämpfen, ihre Filme in und durch Deutschland zu drehen. Diese Vielfalt schafft kollaboratives Wissen und findet ihr Gegenstück in der Kreation und dem solidarischen Austausch unterschiedlicher Erfahrungen.

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