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Hannah Arendt und ihre Leidenschaft für die Philosophie
Ich muss verstehen

Die Illustration zeigt Hannah Arendt im Zentrum
Illustration: © Eléonore Roedel

Arendt sitzt mit überschlagenen Beinen in einem Sessel, den sie bewusst zur Gänze für sich einzunehmen scheint. Sie fühlt sich wohl, es ist, als würde die Kamera für sie nicht existieren. Sie hat schöne, schlanke Beine und schmale Handgelenke, deren Bewegungen stets elegant wirken. In der linken Hand hält sie eine Zigarette, ihr einziger Schmuck sind eine Uhr, ein Armband und der Ehering. An ihrer dunklen Jacke ist eine Anstecknadel in Form eines Edelweiß befestigt. Trotz des dicken Brillengestells ist durch die Gläser deutlich das intelligente Funkeln in ihren Augen zu erkennen. Ihre Stimme ist rau vom Rauch und der leisen Ironie, mit der sie freundlich und frei von jeglicher Unsicherheit ihre Gedanken darlegt.

Von Ilaria Gaspari

Arendt, die Philosophin

„Mein Beruf – wenn man davon überhaupt noch sprechen kann – ist politische Theorie. Ich fühle mich keineswegs als Philosophin, wie Sie freundlicherweise meinen. Es kann sein, dass Sie damit recht haben, dass die Philosophie landläufig eine männliche Beschäftigung ist. Aber das braucht ja nicht immer so zu bleiben!“

Sie lächelt ihren Gesprächspartner, den Journalisten Günther Gaus, an. „Es könnte ja durchaus sein, dass eine Frau einmal eine Philosophin sein wird.“ Vielleicht ist ihr nicht klar, dass fünfzig Jahre nach ihrem Tod, einundsechzig Jahre nach diesem Interview, Einigkeit darüber bestehen wird, dass sie zu den größten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts zählt. Sie, Hannah Arendt, die ihre Ausbildung in einer reinen Männerwelt erhielt. An der Universität Marburg lernte sie Martin Heidegger kennen, mit dem sie für kurze Zeit eine Liebesbeziehung führte: sie blutjung, er ein fünfunddreißigjähriger Professor. Wenn über Arendt gesprochen wird, wird irgendwann immer auch diese Liebe thematisiert, die nicht lange hielt und wahrscheinlich ziemlich grausam war. Es wird thematisiert, dass Heidegger Anhänger des Nationalsozialismus war, und fast nie, mit welcher Eleganz Arendt – als mittlerweile hochrangige Intellektuelle – sich von seiner Kälte gegenüber ihrem Erfolg nicht verbittern ließ. Im Gegenteil: Edelmütig erkannte sie stets den Stellenwert ihres Meisters an.

Eine typisch männliche Frage

Sie promoviert unter der Betreuung von Karl Jaspers in Heidelberg. Mit 23 Jahren heiratet sie den Philosophen Günther Anders, aber die Ehe hält nicht lang. Anders als die mit Heinrich Blücher, ebenfalls Philosoph und Dichter, mit dem sie 1941 in die Vereinigten Staaten auswandert, wo die beiden bis zu seinem Tod im Jahr 1970 zusammenleben. Im Interview mit Gaus gibt sie offen zu „ein bisschen altmodisch“ zu sein, mehr oder minder bewusst halte sie bestimmte Beschäftigungen für Frauen nicht schicklich. Fügt dann aber hinzu: „Dieses Problem hat für mich persönlich keine Rolle gespielt. Sehen Sie, ich habe einfach gemacht, was ich gerne machen wollte.“

Und so war es auch: Zur Philosophie brachte sie allein der Wunsch, zu verstehen. Auf subtile Weise hält sie ihrem Interviewer vor, das Fach aus einer männlichen Perspektive zu betrachten: „Sie fragen nach der Wirkung meiner Arbeit auf andere. Das ist eine typisch männliche Frage. Männer wollen immer furchtbar gern wirken, aber ich sehe das gewissermaßen von außen.“ Hannah Arendt hat ihren Weg gemacht und ist sich dabei stets treu geblieben. Sie folgte ihrem Drang nach Erkenntnis, nicht einem Streben nach Einfluss. Den sie jedoch weiterhin hat, auch fünfzig Jahre nach ihrem plötzlichen Tod.

Aus der Perspektive einer Freundin

Wie alle Personen, die sich selbst treu bleiben, besticht Arendt mit einer magnetischen, starken Präsenz. Im Interview für die Sendung Zur Person, die im Oktober 1964 ausgestrahlt wurde, erinnert sie auf eindrucksvolle Weise an das Portrait, das Mary McCarthy später verfassen wird. Die Schriftstellerin ist eine gute Freundin, über dreißig Jahre stehen die beiden in ständigem Briefkontakt, telefonieren, lesen Korrekturfahnen, tauschen Rezepte aus und spenden einander Trost, während ihre Leben praktisch parallel zueinander verlaufen. Mary, geboren in Seattle, schreibt vor allem aus Europa. Hannah, geboren in Hannover, schreibt aus New York, weil sie aus Europa fliehen musste, um der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie zu entfliehen. Im Interview mit Gaus fasst sie mit entwaffnender Schlichtheit zusammen, wie sie erfuhr, dass sie Jüdin war: „Das Wort ‚Jude‘ ist bei uns nie gefallen, als ich ein kleines Kind war. Es wurde mir zum ersten Mal entgegengebracht durch antisemitische Bemerkungen von Kindern auf der Straße.“

Bei Arendts Begräbnis am 8. Dezember 1975 in der Riverside Memorial Chapel widmet Mary ihrer Freundin ein berührendes Portrait. Verfasst aus der liebevollen Perspektive einer Frau, die sie besser verstand als der Mann, der immer genannt wird, wenn die Rede auf ihr Leben kommt – ihr Lehrer und Geliebter Heidegger. Es ist ein Portrait, das Arendts einzigartige Strahlkraft bestätigt: „Sie war eine faszinierende Frau. Vor allem ihre Augen: funkelnd, wenn sie glücklich oder aufgeregt war, aber auch tief, dunkel, fern. Sie hatte etwas Unergründliches, das in den reflektierenden Tiefen dieser Augen zu liegen schien. […] Hannah hatte etwas von einer großen Schauspielerin an sich. […] Und doch hätte niemand weniger mit einem Exhibitionisten gemein haben können. Jedes Mal, wenn sie in der Öffentlichkeit sprach, litt sie unter schrecklichem Lampenfieber und fragte danach nur: ‚War es in Ordnung?‘“
 

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