János Weiss
Kampf um die Freiheit

Ágnes Heller
Ágnes Heller | Foto: Robert Newald; © picture alliance/APA/picturedesk.com

Es muss kurz nach 2010 gewesen sein, wir saßen nach einer Sitzung an einem Donnerstagnachmittag in Budapest in einer Kneipe, unweit von der Akademie der Wissenschaften. Ich sagte, ich meine, ich kann diesen Abbau oder diese Zurücknahme der politischen Wende nicht mehr überleben. Sie hat heimtückisch gelächelt und gesagt, dass man in dieser Region sowieso und fast immer mit Diktaturen oder diktaturähnlichen Konstruktionen zu kämpfen hat. Sie wusste das besser als ich, Sie gehörte zu der Generation meiner Eltern.

Arno Widmann hat in seinem Nekrolog geschrieben: „Die Erfahrung der Unfreiheit hat sie geprägt.“ (Frankfurter Rundschau) Sie musste 1949 als junge Studentin die Lukács-Debatte miterleben, als anerkannte junge Forscherin hat sie 1973 in einem „Philosophenprozess“ (mit anderen Lukács-Schülern) ihre Stelle verloren und ist letztendlich zur Emigration gezwungen worden, 2011 ist sie dann wieder (mit anderen) in einem sogenannten Philosophenskandal schikaniert worden. Ich würde trotzdem sagen, dass nicht die Erfahrung der Unfreiheit, sondern vielmehr der Kampf um die Freiheit sie geprägt hat. Vor allem in einem theoretisch-philosophischen. aber auch in einem politischen Sinne. Es ist mit Sicherheit zu sagen: Sie gehört zu den größten Dissidenten der Mitteleuropäischen Region.  

Alle die Ágnes Heller kannten, waren tief beeindruckt von ihrer Energie und Vitalität. Reisen, Einladungen, Gesprächsrunden, Fernsehauftritte, größere und kleinere Tagungen. Und viele-viele Publikationen. Und Sie hat nie den Überblick verloren; Sie trat immer gut vorbereitet auf, zu den Publikationen hat sie viel Neues gelesen und recherchiert. Diese Energie war eine Folge des Freiheitskampfes, der auch seine Ausstrahlung gehabt hat. Wie Jürgen Habermas über Heller geschrieben hat: Sie macht auch der jüngeren Generation Mut. (Frankfurter Allgemeine Zeitung) Daraus ist zwar keine philosophische Schule, aber eine ausgebreitete fachliche Solidarität entstanden. In einer zukünftigen Monographie über Heller müssten diese drei Gebiete zu ihrem Recht kommen: die philosophischen Werke, der Kampf um die politische Freiheit und die Herstellung einer fachlichen Solidarität.

Der Tod war Angesichts der unglaublichen Energie nicht vorauszusehen; zu sehen ist jetzt aber eine unglaubliche Lücke. Nehmen wir an, dass Rilke mit dem Satz recht hat: „Vielleicht sind die Tote solche, die sich zurückgezogen haben, um über das Leben nachzudenken“, dann hätte das „Leben“ im Fall von Ágnes Heller die oben genannten drei Dimensionen.

Jetzt würde ich gerne innehalten und Ágnes fragen, was Sie dazu sagt. Sie würde aber nur abwinken: Alles ist still.
 

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