7. Thomas Manns erster Besuch in Budapest

Von Hegedüs Anna

Am 5. Dezember 1913 traf Thomas Mann um 6 Uhr abends mit dem Schnellzug aus Wien in Budapest ein, nachdem er zuvor in der Urania in Wien eine Lesung gehalten hatte. Der damals 38-jährige Schriftsteller und Vater von vier Kindern war einer im August ausgesprochenen Einladung des Großhändlers und Journalisten Ödön Halasi Fischer gefolgt, der bei der Zeitung Világ angestellt war. Zu dem Zeitpunkt waren die Werke Thomas Manns der gebildeten ungarischen Leserschaft bereits einigermaßen bekannt. Sein großer Familienroman Die Buddenbrooks sowie Der Tod in Venedig und seine ersten erfolgreichen Erzählungen waren bereits erschienen.

Der im kleinen Saal der Musikakademie veranstaltete Leseabend war Zeitungsberichten zufolge überaus erfolgreich: Der Saal war voll besetzt, von einem Publikum von 300 „äußerst gebildet erscheinenden”, „intellektuellen” Personen. Thomas Mann las zunächst zwei Auszüge aus seinem Werk Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull vor, daraufhin folgten Erzählungen: Der Kleiderschrank und Das Wunderkind.

In den Zeitungsberichten wird Thomas Manns Beliebtheit in seinem Heimatland hervorgehoben und man bezeichnet ihn als „einen der gefeierten Modehelden der deutschen Literatur”. Nahezu alle Berichte gehen auch auf seine körperliche Erscheinung ein: „Ein großer, breitschultriger Mann mit einem Gesicht, das scharf hervorsticht, einer großen Höckernase und einem kurz geschorenen braunen Schnurrbart”, so beschreibt ihn die Zeitung Magyarország. Zwischen den vielen erörternden finden sich auch einige wertende Zeilen. So stellt ein Journalist der Zeitung Budapesti Hírlap enttäuscht fest, dass anstelle eines „tiefsinnigen, träumerischen und in die Tiefen der Seele eindringenden Dichters” ein „harter, steifer, langer Norddeutscher mit knarzender Stimme” erschienen war, während ein Publizist von Pesti Hírlap urteilt, die Lesung sei „zwar nicht wonnig aufregend wie ein Gesangswettbewerb, aber dafür angenehm und recht fesselnd” gewesen.

Während seines Aufenthalts in Budapest wohnte Thomas Mann – wie auch bei seinem zweiten Besuch im Jahr 1922 – bei József Lukács, dem Vater des Philosophen György Lukács. Auf seiner Reise lernte er zahlreiche ungarische Schriftsteller und Künstler kennen, so etwa Dezső Kosztolányi, Hugó Ignotus, Ferenc Herczeg und József Rippl-Rónai. Kosztolányi traf Thomas Mann am 6. Dezember zum ersten Mal.

Quelle: 

https://litera.hu/magazin/osszeallitas/snajdig-mint-egy-civilbe-oltozott-szazados-thomas-mann-budapesten-1913.html (szerző: Nagy Gabriella) 

Fotos:

  • Parlament, 1910. Fortepan / Plohn József
  • Ignotus – Veigelsberg Hugó. Fotó: Székely Aladár / OSZK Klap.45e_Irodalom/7

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