Magyar Gárda („Ungarische Garde“) | Vorbotin der Gewalt

Magyar Gárda („Ungarische Garde“)
Grafik: Réka Elekes © Goethe-Institut Budapest

Die Magyar Gárda („Ungarische Garde“) spielte eine Schlüsselrolle in der Geschichte der extremen Rechten nach der politischen Wende. Sie stellte das Gewaltmonopol des Staates infrage, fußte offen und stolz auf rassistischer Ideologie, sah ihre wichtigste Funktion in der Einschüchterung, legitimierte Gewalt – allen voran die Gewalt gegen Roma. Sie bereitete ein gesellschaftliches Milieu vor, in dem es zu den schwerwiegendsten rassistisch motivierten Straftaten nach der Wende kommen konnte: zur Mordserie an Roma zwischen Juni 2008 und August 2009.
 
Einer der Gründer und der erste Vorsitzende des Vereins Magyar Gárda Hagyományőrző és Kulturális Egyesület („Ungarische Garde – Verein für Brauchtumspflege und Kultur“) war Gábor Vona, der zugleich auch stellvertretender Vorsitzender der zur Partei formierten Jobbik und dann ab 2006 Parteivorsitzender war. Unter den Vereinsgründern befand sich auch András Bencsik, Fidesz-Mitglied und Chefredakteur der Wochenzeitschrift Demokrata, der später aus der Organisation ausschied.
 
Hauptziel des Vereins Magyar Gárda war die Gründung der Bewegung Magyar Gárda Mozgalom („Bewegung Ungarische Garde“). Während sich die Bewegung selbstständig organisierte, sollte der Verein – wie Gábor Vona es formulierte – „über die Ideale der Garde wachen“. Im Rahmen des später zwecks Auflösung des Vereins eingeleiteten Gerichtsverfahrens kam dem Gericht auch die Aufgabe zu, darüber Klarheit zu schaffen, ob die Bewegung als eine vom Verein unabhängige Organisation betrachtet werden kann. Zum Schluss stellte das rechtskräftige Urteil eindeutig fest, dass „der Verein die Magyar Gárda als organisatorische Einheit mit einschließt“.
 
Der ehemalige Verteidigungsminister Lajos Für, Vertreter der katholischen, evangelischen und reformierten Kirchen sowie die Fidesz-Parlamentsabgeordnete Mária Wittner – sie waren es, die sich an die Seite der Magyar Gárda stellten, indem sie am 25. August 2007 bei der Vereidigungsfeier der Garde anwesend waren und sogar aktiv daran teilnahmen. Lajos Für nahm den Gardisten den Eid ab. Die Kirchenmänner segneten die Banner der Garde. Im Nachhinein wurde diese Bannersegnung von den betroffenen Kirchen als eigenverantwortliche Aktion der anwesenden Geistlichen dargestellt; diese hätten bei den kirchlichen Entscheidungsträgern keine Genehmigung eingeholt. Mária Wittner hielt eine Festrede. Das alles ereignete sich anlässlich des Gründungsaktes einer Organisation von militärisch anmutenden Uniformierten, die die Symbole und die Sprache der finstersten Epochen der ungarischen Geschichte heraufbeschworen. Viktor Orbán erklärte bezüglich der Garde, der Ausdruck „Distanzierung“ sei „schlecht gewählt“, deshalb wolle er selbigen auch nicht verwenden.
 
Die Mitglieder der Garde legten ihren Eid auf die Szent Korona („Heilige Krone“) ab und erkannten die Dienstordnung der Garde als für sich verbindlich an. Laut Gründungserklärung soll die Garde „all das, was in Richtung unseres nationalen Erwachens und Aufstiegs weist, ins Leben rufen und unterstützen, aber die geistige und physische Schwächung des ungarischen Volkes unerschütterlich verhindern. Die Magyar Gárda möchte ein Ausrufungszeichen sein! Sie sendet eine Botschaft an all jene hierzulande und in der großen, weiten Welt, die an unserer nationalen Zergliederung, Verkümmerung und Vernichtung interessiert sind: Nem hagyjuk! („Wir lassen das nicht zu!“). Sie sendet eine Botschaft an all jene, die faulenzen, ziellos herumirren oder sich ducken, wenn es um das Schicksal unserer Nation geht: Ébresztő! („Wacht auf!“). Schließlich sendet sie eine Botschaft an all jene, die schon lange eine schönere ungarische Zukunft herbeisehnen: Eljött az idő! („Die Zeit ist gekommen!“).“
 
Unzufriedenheit über die Gyurcsány-Regierung – bis hin zur Hinterfragung ihrer Legitimation –, feindselige Emotionen gegenüber Roma sowie die antisemitische Verschwörungstheorie über eine gegen das ungarische Volk gerichtete Konspiration lassen sich gebündelt aus diesen Sätzen heraushören.
 
Am 9. Dezember 2007 marschierte die Garde durch den im Komitat Pest gelegenen Ort Tatárszentgyörgy und forderte die Segregation der Roma. Die gegen die angebliche „Zigeunerkriminalität“ organisierte Kundgebung lief unter dem Motto „Für die Sicherheit auf dem Lande“. Die Független Hírügynökség („Unabhängige Nachrichtenagentur“) berichtete: „Dreihundert Gardisten marschierten in schwarzer Uniform mit rot-weiß gestreiften Árpád-Fahnen unter Trommelwirbel durch das Dorf, von der Kirche bis zum Veranstaltungsort. Begleitet wurden sie von einigen Hundert Sympathisanten und Ortsansässigen. Die Redner protestierten gegen die ,Zigeunerkriminalität‘ und nannten diese eine ,Seuche‘, die das Land in Angst und Schrecken versetzt.“ Den durch Roma bewohnten Teil der Siedlung zu betreten war dem Aufmarsch untersagt, jedoch veranstalteten die Teilnehmer anschließend „ein Spießgrillen im Garten eines Hauses in einer mehrheitlich von Roma bewohnten Straße“.
 
In den darauffolgenden Monaten organisierte die Magyar Gárda Demonstrationen in mehreren zum Teil von Roma bewohnten Siedlungen. Es gab Aufmärsche zur Einschüchterung der Roma in Nyírkáta, Városnamény, Pátka und Sarkad.
 
2008 spaltete sich die Garde. Das Auftreten einiger Garden-Mitglieder war der Jobbik als Partei mittlerweile peinlich geworden; zugleich war im radikalen Flügel der Bewegung der Vorwurf laut geworden, die Jobbik habe die Garde zur Steigerung ihrer Popularität instrumentalisiert. Unter der Führung des früheren „Hauptmanns“ der Garde (ung.: főkapitány), István Dósa, entstand die sogenannte Őrző Magyar Gárda Mozgalom („Bewegung Ungarische Schutzgarde“), die weder mit der Magyar Gárda Mozgalom („Bewegung Ungarische Garde“) noch mit der Jobbik kooperierte. Der verbleibende andere Flügel schloss mit der Jobbik eine neue Kooperationsvereinbarung ab und agierte – angeführt von Róbert Kiss – unter dem Namen Magyar Gárda Mozgalom weiter.
 
Bereits 2007, nach dem Aufmarsch in Tatárszentgyörgy, leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen den Verein Magyar Gárda ein und riet dem Gericht, die Organisation aufzulösen. Im Dezember 2008 kam das Gericht diesem Ersuchen in erster Instanz nach. Durch das im Juli 2009 erlassene rechtskräftige Urteil wurde dies schließlich bestätigt; im juristischen Sinne hat die Garde aufgehört zu existieren. Laut dem Urteil habe die Magyar Gárda das Gewaltmonopol des Staates angezweifelt, in ihren Veranstaltungen sei stets das hohe Risiko gewaltsamer Aktivitäten zu spüren gewesen, durch ihre Äußerungen seien regelmäßig das Recht auf Sicherheit und Freiheit der an den Veranstaltungsorten anwesenden Personen wie auch die Übereinkommen zum Verbot von Rassendiskriminierung verletzt worden.
 
Einer der erschreckendsten Momente der ungarischen Geschichte nach der politischen Wende war der Auftritt der uniformierten, als paramilitärische Organisation agierenden Magyar Gárda. Sie sprach dem Staat die Funktionsfähigkeit ab und vertiefte zugleich die Kluft zwischen den Roma und der Mehrheitsgesellschaft. Die Aktivitäten der Garde waren ein entscheidender Faktor in der Vorgeschichte der 2008/09 an Roma begangenen Mordserie.
 

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