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50 Jahre Auroville
Eine Stadt ohne Besitz, Geld und Regierung

Neujahrsversammlung im Tibetan Pavillion
Neujahrsversammlung im Tibetan Pavillion | © David Klammer

Ein „Labor der Menschheit“, das sollte die vor 50 Jahren gegründete Kleinstadt Auroville in Südindien werden: Grundeinkommen für alle, keine Hierarchien, Entscheidungen werden im Konsens gefällt. Frederick Schulze-Buxloh war von Anfang an dabei.

Von Gerhard Richter / Fotos von David Klammer

Gerade hat Frederick ein Rührei im Café gefrühstückt, und geht zurück zu seiner Wohnung. Er ist groß, schlank. Seine Haltung wirkt irgendwie aristokratisch. Die Haare grau und kurz, seine Augen blicken milde auf sein Lebenswerk.

In den Pionierzeiten war es ja so, dass wir 95 Prozent unserer Zeit damit verbracht haben zu überleben, das Wasser zu kriegen, Strom zu kriegen, das Brot zu kriegen, Unterkunft zu finden, den Transport zu haben, du hast fast keine Zeit gehabt was für den Aufbau der Stadt zu machen.“

Aus den Bambushütten von damals rund um den einzigen Baum inmitten einer Halbwüste ist in den letzten 50 Jahren ein ansehnlicher Ort geworden. Es sind zwar nicht die 50.000 Einwohner, wie in der Vision angepeilt, aber immerhin 3.500. Die meisten Häuser sind verstreut zwischen den Millionen Bäumen, die mittlerweile angepflanzt wurden. Auroville ist kein Dorf mehr, schon eher eine kleine Stadt. Frederick wohnt in einem der neuen Mehrfamilienhäuser. Seine Wohnung ist ein Geschenk der Gemeinschaft an ihn. Zwei Zimmer, Küche, Bad, Balkon.
 
  • Aspiration © David Klammer
    Aspiration
  • New creation © David Klammer
    New creation
  • Schule in Auroville © David Klammer
    Schule in Auroville
  • Das Haus von Roger Angers Frau © David Klammer
    Das Haus von Roger Angers Frau
  • Haus aus Stahl © David Klammer
    Haus aus Stahl
  • Schlumpfhaus in Ami © David Klammer
    Schlumpfhaus in Ami
  • Krupas Haus © David Klammer
    Krupas Haus
  • Schule © David Klammer
    Schule
  • Progress Architekten © David Klammer
    Progress Architekten
  • Sadhana Forest © David Klammer
    Sadhana Forest
 

Das wurde total ausgestattet, ich meine ein paar wenige Sachen sind meine persönlichen Sachen, und wenn ich die Tür aufmache, dann denke ich: thank you, thank you!“

Dankbarkeit ist ein wertvolles Gefühl

Dankbarkeit ist ein viel wertvolleres Gefühl, sagt Frederick, als viel Geld zu haben und sich alles leisten zu können. Er war früher einmal reich, sehr reich sogar, er hätte sich ein paar Dutzend solcher Wohnungen leisten können.

Fredericks Vater hat ein Vermögen im Bergbau gemacht. Die Familie verschlägt es nach dem Krieg nach München. Aber das Nachkriegsdeutschland bietet dem jungen Feingeist keine Orientierung.

Damals in der Entnazifizierungszeit von den Amerikanern wurden wir als Kinder jeden Monat mindestens einmal nach Dachau geschickt, um zu sehen was da alles geschehen ist. Und das hatte schon auch eine Wirkung gehabt.“

  • Ganga in ihrem Büro © David Klammer
    Ganga in ihrem Büro
  • Ganga zu Hause © David Klammer
    Ganga zu Hause
  • In den Matrimandir Gardens © David Klammer
    In den Matrimandir Gardens
  • Aviram spricht zu Freiwilligen im Sadhana Forest © David Klammer
    Aviram spricht zu Freiwilligen im Sadhana Forest
  • Feier im Matrimandir © David Klammer
    Feier im Matrimandir
  • Das Inuksut beim Tibetan Pavillion © David Klammer
    Das Inuksut beim Tibetan Pavillion

Um die innere Leere zu füllen, liest er östliche Philosophen wie Sri Aurobindo. Der sanfte Gelehrte und Yogameister lockt mit seinen Lehren vom höheren Bewusstsein. Nach dem Abitur fährt Frederick mit einem Frachter von Genua nach Bombay. Das war 1959. Ein Jahr später trifft er Aurobindo persönlich und lebt in dessen Ashram. Dort trifft er Mutter Alfassa, seine Partnerin.

...und hat das mein Leben verändert.“

Sein Vermögen steckt in der gemeinsamen Vision

Mutter Alfassa gibt Frederick eine Richtung. Er schenkt ihr dafür sein ganzes Vermögen und stellt sein Leben in den Dienst ihrer gemeinsamen Vision. Und die heißt Auroville – eine Stadt, die niemandem gehört, in der Menschen aus allen Nationen zusammen leben, ohne Besitz, ohne Geld und ohne Regierung. Frederick ist mit Leib und Seele dabei, gründet eine Familie, und baut auf Mutter Alfassas Wunsch das erste feste Haus.

Die wollte einfach mal was Solides haben, nicht nur Bambus, sondern ein richtiges Steinhaus, um der Welt zu zeigen, dass wir hier für immer sind. Und dann wurde das für die nächsten 20 Jahre hier mein Marschbefehl: ‚Garantiere mal, dass da eine Kontinuität ist.‘“

  • Sonntags-Brunch bei Johnny © David Klammer
    Sonntags-Brunch bei Johnny
  • Küche im Youth Center © David Klammer
    Küche im Youth Center
  • Aviram und seine Frau Rozan © David Klammer
    Aviram und seine Frau Rozan
  • Gilles in der Solar Bowl der Solar-Kitchen © David Klammer
    Gilles in der Solar Bowl der Solar-Kitchen
  • Achilles in seinem Haus © David Klammer
    Achilles in seinem Haus
  • Ein Gast im Café "La Terrace" © David Klammer
    Ein Gast im Café "La Terrace"
  • Marissa genießt den Monsunregen © David Klammer
    Marissa genießt den Monsunregen
  • Jugendliche nach einer Schlammschlacht im Monsun © David Klammer
    Jugendliche nach einer Schlammschlacht im Monsun
  • Party im "Well-Café" © David Klammer
    Party im "Well-Café"
  • Bewohner des Schlumpfhauses in Ami © David Klammer
    Bewohner des Schlumpfhauses in Ami
  • Marissa im Kalabhumi Sportsground © David Klammer
    Marissa im Kalabhumi Sportsground
  • Sonntags-Brunch bei Johnny © David Klammer
    Sonntags-Brunch bei Johnny
  • Babu trainiert in Kalabhumi © David Klammer
    Babu trainiert in Kalabhumi
  • Sonntagsausflug zu einem nahe gelegenen Teich bei Fertile © David Klammer
    Sonntagsausflug zu einem nahe gelegenen Teich bei Fertile
  • Achtsamkeit mit Hilfe von Körperübungen mit Schülern © David Klammer
    Achtsamkeit mit Hilfe von Körperübungen mit Schülern
  • John nach harter Feldarbeit © David Klammer
    John nach harter Feldarbeit
  • Vera spielt die Russian bells beim Matrimandir © David Klammer
    Vera spielt die Russian bells beim Matrimandir
  • Tanzimprovisationen bei Solitude © David Klammer
    Tanzimprovisationen bei Solitude
  • Achtsamkeit mit Hilfe von Körperübungen © David Klammer
    Achtsamkeit mit Hilfe von Körperübungen

Zum Mittagessen geht Frederick in die Solar-Kitchen, eine Kantine, in der jeden Tag 1000 vegetarische Gerichte mit Sonnenenergie gekocht werden. Er trägt ein leichtes Hemd, Shorts und Flip-Flops. Hier trifft er Bekannte, tauscht Informationen aus. Wie alle anderen hier bekommt er eine Art monatliches Grundeinkommen, das ganz passabel zum Leben reicht. Dafür soll jeder vier Stunden täglich etwas für die Gemeinschaft leisten. Frederick kümmert sich um die sensiblen Beziehungen zwischen der indischen Regierung, der Unesco und den Gremien Aurovilles. Das indische Bildungsministerium unterstützt Auroville, gibt etwas Geld, hat aber kaum was zu sagen. Die Aurovillianer pflegen eine Selbstverwaltung, beruhend auf dem Konsensprinzip. Ein ständiges Experiment.

Die können nicht kommen und sagen: ‚Das geht jetzt so. Wir treffen die Entscheidung.‘ Weil wir dann sagen, nein das könnt ihr nicht. Das ist nicht eure Entscheidung, es ist unsere.“

  • Krishna Mckenzie führt durch die Organic Farming Gärten von Solitude © David Klammer
    Krishna Mckenzie führt durch die Organic Farming Gärten von Solitude
  • Abendstimmung im Center Guesthouse © David Klammer
    Abendstimmung im Center Guesthouse
  • Rote Staubstraße in Auroville © David Klammer
    Rote Staubstraße in Auroville
  • Ein Volunteer beim Sadhana Forest © David Klammer
    Ein Volunteer beim Sadhana Forest
  • Baumpflanzung im Sadhana Forest © David Klammer
    Baumpflanzung im Sadhana Forest
  • Ausflug in den Wald von Deepams "Children with special needs" © David Klammer
    Ausflug in den Wald von Deepams "Children with special needs"
  • Rote Staubstraße © David Klammer
    Rote Staubstraße


Was hilft der Menschheit zukünftig?

Wie in der Entwicklungsabteilung eines Unternehmens, testen die Aurovillianer auf ihrem weitläufigen Gelände, was der Menschheit künftig helfen kann. Aufforstung, alternative Energien, sanfte Heilverfahren, Kleinkläranlagen, Schulformen, Bautechnik, organischer Landbau, Integration und Musik. Und das solidarische Zusammenleben.

Wie lebt und plant man miteinander, wie löst man Konflikte? Was hier in Auroville im Kleinen funktioniert, hat eine Ausstrahlung auf das große Ganze, glaubt Frederick:

Wenn du zum Beispiel eine Art von Selbstverwaltung im kleinen Rahmen entwickeln kannst, wo jeder Einzelne individuell wahrgenommen wird und sich zu Wort melden kann, ohne dass jemand wertet, dann hat das sicher seine Bedeutung auf einer größeren Ebene. Die ganze Welt sucht nach einer wirklich bewussten Selbstverwaltung.“

  • Kanika meditiert am Matrimandir © David Klammer
    Kanika meditiert am Matrimandir
  • Das Matrimandir in der Nacht © David Klammer
    Das Matrimandir in der Nacht
  • Andy hat viel am Matrimandir gebaut © David Klammer
    Andy hat viel am Matrimandir gebaut
 

Für sein Projekt über Auroville verbrachte der Fotograf David Klammer auf mehreren Reisen drei Monate in dem utopischen Dorf. Bei seinen Begegnungen vor Ort traf er viele kommunikationsoffene und diskussionsfreudige Menschen. Die Ergebnisse seiner Arbeit zeigt Klammer in dem Bildband Good morning Auroville: Die utopische Stadt der Morgendämmerung, erschienen bei Edition Bildperlen.
David Klammer lebt in Köln und wurde für seine Bilder immer wieder mit wichtigen Preisen ausgezeichnet, so u.a. mit einem World Press Photo Award 2007. Seine Arbeit über die Aktivisten im Hambacher Forst wurde 2019 beim Fotopreis für politische Fotografie "Rückblende 2018" mit dem 1. Preis für die beste Serie ausgezeichnet.
Neben Auftragsproduktionen fotografiert er auch persönliche Langzeitprojekte.

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